Die Debatte nimmt erneut Fahrt auf: Sollen russische Athleten und Athletinnen an den Olympischen Spielen 2024 in Paris teilnehmen? Das Internationale Olympische Komitee unter seinem deutschen Präsidenten Thomas Bach verfolgt offenbar dieses Ziel. Unter der Woche gab es bekannt, dass sich zahlreiche Verbände und Athletenvertreter in Beratungen dafür ausgesprochen haben, die Teilnahme von russischen und belarussischen Sportlern "unter strengen Bedingungen" zu prüfen.
Vorgeprescht bei der Lockerung des Russen-Banns war der asiatische Dachverband OCA (Olympic Council of Asia), der Russen und Belarussen in seinen Wettbewerben starten lassen will, die für die Olympia-Qualifikation vorgesehen sind. Das OCA begründete seinen Vorschlag damit, dass in dieser Weltregion die Gründe für die Suspendierung nicht mehr gegeben seien. Warum das so sei, wurde nicht bekannt. Die russische Armee führt weiterhin einen brutalen Krieg gegen die Ukraine und ihre Menschen, sie bombardiert zivile Einrichtungen und Wohnhäuser und überzieht das Land mit Kriegsterror. Dennoch solle nach Ansicht des OCA eine Teilnahme unter neutraler Flagge und ohne das Abspielen der Hymnen Russlands und Belarus' möglich sein.
Ähnlich formulierte es nun das IOC. Die Bedingungen seien, dass sich die betroffenen Athleten die Olympische Charta und die bestehenden Sanktionen gegen Russland akzeptieren.
Wut in der Ukraine über das IOC
Die Reaktion der Ukraine fiel entsprechend aus. Sportminister Wadym Gutzajt drohte mit einem Boykott ukrainischer Sportler. "Mit Vertretern von terroristischen Ländern kann es keine Vereinbarungen geben", betonte Gutzajt. Solange Krieg in der Ukraine herrsche, werde sich sein Land weiter für Sanktionen gegen Russland und Belarus einsetzen. Sportler aus diesen Ländern dürften auch nicht unter neutraler Flagge an Wettbewerben teilnehmen. "Ich hoffe, dass alle Verbände, Athleten und die ganze zivilisierte Welt genau aufgepasst haben und wir nicht zu diesem extremen Mittel greifen müssen", warnte Gutzajt.
Die Wut in der Ukraine über das IOC kocht schon länger. Schon im Dezember hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einem Telefonat mit IOC-Präsident Thomas Bach die Position des angegriffenen Landes deutlich gemacht. "Viele ukrainische Sportler sind in diesem Krieg getötet worden. Viele von ihnen sind heute noch in russischer Gefangenschaft. Und gleichzeitig unterstützen russische Athleten und Athletinnen diesen Krieg und den Völkermord in der Ukraine", sagte Hochsprung-Europameisterin Jaroslawa Mahutschich dem "Münchner Merkur".
Der DOSB passt sich der IOC-Linie an
In Deutschland ist die Front gegen eine Olympia-Teilnahme der Russen keineswegs geschlossen. Der Deutsche Olympische Sportbund nimmt, wenn auch zurückhaltender formuliert, ebenfalls die Position des IOC ein, nur die Bedingungen klingen strenger: Die als neutral deklarierten Sportler müssten ohne Flaggen, Farben, nationale Symbole und Hymnen antreten. Athleten, die im Krieg gekämpft hätten oder den Krieg offen unterstützten, müssten sanktioniert bleiben.

Klar gegen eine Teilnahme positioniert sich die deutsche Innenministerin Nancy Faeser. "Der Sport sollte in seiner Verurteilung des brutalen Krieges, den Putin gegen die ukrainische Zivilbevölkerung führt, klar sein", sagte sie der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". "Große Sportereignisse finden nicht im luftleeren Raum statt", so Faeser. "Diesen furchtbaren Krieg inmitten Europas darf niemand ausklammern oder zwiespältige Signale senden. Die internationalen Sportverbände bleiben in der Verantwortung, sich eindeutig zu positionieren."
Die Sprecherin der deutschen Athleten-Vereinigung, die Beachvolleyballerin Karla Borger, ist ebenfalls gegen eine Teilnahme. "Der Völkerrechtsbruch, der da begangen wird, wiegt viel zu schwer", sagte sie vor kurzem. Borger warnte zusätzlich davor, wegen des Krieges in der Ukraine ein zweites Thema zu vergessen: das massive Staatsdoping in Russland, dass 2016 aufgedeckt worden war. Deswegen hatten russische Athleten und Athletinnen bereits an den Winterspielen in Pyeonchang 2018 und an den Sommerspielen in Tokio 2021 nur unter neutraler Flagge teilgenommen. Die russische Hymne war ebenfalls verboten.
Quellen: DPA, , Reuters, NDR, "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Blick", "Welt"