Ellen DeGeneres war perfekt vorbereitet. Als die US-Talkmasterin Victoria Azarenka nach ihrem Triumph bei den Australian Open empfing, stand alles bereit. In ihrer Show "Ellen", in der sonst schon mal Seal über sein Ehe-Aus mit Heidi plaudert oder Michelle Obama zu Gast ist, bekam die Weißrussin ihren Auftritt.
Ein kurzer Plausch über die Champagner-Duschen bei der Feier, dann kam das Präsent: Entsprechend Azarenkas Sammel-Leidenschaft gab es einen Teddybär, fast so groß wie die Spielerin selbst. Und natürlich würde sie auch ein Flugticket dazu kriegen, damit der große Freund mitkommen kann.
Victoria Azarenka ist das Tennis-Thema 2012 und entsprechend viel gefragt. Der 22-Jährigen ist ein perfekter Start ins neue Jahr gelungen. 17 Mal ging sie auf den Court, 17 Mal verließ sie ihn als Siegerin. Die Folge: Drei Turniersiege und die Eroberung der Weltranglistenführung. Und man kann nicht gerade behaupten, dass die Erfolge zufällig daher gekommen sind. Die Weißrussin gewann dabei sieben Mal gegen eine Top-Ten-Spielerin, verlor nur vier Sätze und gab zuletzt bei ihren Doha-Triumph in fünf Partien nur 18 Spiele ab.
Es sind Zahlen einer Weltklasse-Spielerin. Und sie sind vergleichbar mit dem, was Novak Djokovic 2011 hinlegte. Doch was Azarenka bisher zwei Monate lang schaffte, gelang Djokovic fünf. Er gewann vom Saisonstart weg 41 Partien in Folge.
Azarenka wird eine derartige Serie nicht hinlegen können, dafür ist das Damentennis allgemein zu unkonstant, dafür ist die 22-Jährige zu verletzungsanfällig und zu instabil. Aber Azarenka hat gute Chancen, mindestens bis zum Jahresende die Nummer eins zu bleiben. Mit derzeit 8980 Weltranglisten-Punkten hat sie schon einen guten Vorsprung auf Maria Sharapova (7680 Punke) und Petra Kvitová (7095). Und sie hat außer den Turniersieg in Miami und das Endspiel in Madrid vorerst keine größeren Erfolge zu verteidigen, gerade bei den kommenden drei Grand Slams gibt es noch Luft nach oben.
Kreisch-Königin Azarenka
Der große Vorteil der 22-Jährigen ist ihr extrem komplettes Spiel. Sie ist im Gegensatz zu beispielsweise Sharapova und Kvitova äußerst flink und beweglich. Sie verfügt im Spiel von der Grundlinie über Schläge, mit denen sie einen Ballgewinn einfach für sich entscheiden kann, anders als eine Caroline Wozniacki. Ihr Aufschlag ist hart, ihr Return dürfte der derzeit beste der Top-Spielerinnen sein, eine weitere Parallele zu Männer-Dominator Djokovic.
"Sie ist körperlich so hart wie Stahl", lobt US-Fed-Cup-Chefin Mary Joe-Fernandez, "und neuerdings hat sie auch die Nerven, um große Titel zu gewinnen."
Doch Azarenkas Spiel ist nicht nur gut, es ist auch laut. Nach Meinung einiger Konkurrenten zu laut. "Wenn du sehr laut stöhnst, kann die Gegnerin nicht hören wie du den Ball getroffen hast. Weil das Stöhnen so laut ist, denkst du, dass der Ball schnell kommt. Aber plötzlich kommt er nur sehr langsam an", beschwerte sich unlängst Wozniacki. WTA-Chefin Stacey Allaster versprach, "einen Blick auf die Thematik zu werfen", hält es aber nicht für ein exklusives Damenproblem: "Die Herren stöhnen ebenfalls, das ist keine Sache des Damentennis. Aber die weibliche DNA überträgt es in einer anderen Weise."
Azarenka, in Spitzenzeiten wie Sharapova schon mal rund 100 Dezibel laut, liefert eine dubiose Erklärung. Auf das Thema angesprochen antwortete sie einem Reporter: "Schnarchen Sie? Können Sie das kontrollieren? Es gibt Mittel dagegen, aber sie schnarchen trotzdem. Richtig? Deshalb ist das natürlich für sie? So, daher ist das stöhnen auch für mich natürlich."
Übertriebener Ehrgeiz
Ein gewagter Vergleich, zumal Azarenka im Training auch ohne derartige Laute auskommt. Es bleibt der Verdacht, die Gegnerin stören zu wollen. Es würde zu einer Spielerin passen, die ab und an noch die notwendige Reife vermissen lässt, die sich von ihrer Leidenschaft und ihrem Ehrgeiz treiben lässt. Anfang 2011 wollte sie nach einer Auftaktpleite in Doha ihre Karriere beenden. "Ich habe meiner Mutter gesagt, dass ich nicht mehr spielen will", berichtete Azarenka.
Auch in diesem Jahr präsentierte Azarenka schon ihre andere Seite. Bei den Australian Open zeigte sie sich in der dritten Runde gegen Mona Barthel ungehalten, fluchte wie wild. Der Erfolg konnte ihr nicht schnell genug kommen, sie verplemperte ihre Hawkeye-Möglichkeiten und sah sich schließlich, als diese aufgebraucht waren, falsch behandelt. In ihrer Rage produzierte sie sieben Doppelfehler in einem Satz und vergab vier Matchbälle. Die Folge: Barthel stand im zweiten Satz kurz vorm Ausgleich zum 5:5, obwohl Azarenka schon 5:2 geführt hatte. Am Ende siegte die Weißrussin 6:2, 6:4.
"Ich bin ein Spieler der mit viel Lust und Leidenschaft spielt", sagte sie mal über sich selbst. "Sie ist eine geborene Schau-Spielerin", sagt Trainer Sumyk, "sie liebt die große Bühne. Und jetzt noch mehr, wo sie nervlich so stabil geworden ist."
Diverse Wehwehchen
Sachlicher ist Azarenka im Umgang mit ihrem Körper, bei kleineren Verletzungen legt sie gerne eine Pause ein. Anfang Februar sagte sie die Fed-Cup-Partie gegen die USA mit einer Rückenverletzung ab, jüngst verzichtete sie wegen Knöchelproblemen auf den Start in Dubai. Kurios: Julia Görges umging so ein Duell mit der Top-Spieler in der zweiten Runde - und ein vermeintliches Aus. Sie erreichte bei dem gut besetzten Turnier schließlich das Finale.
Eines ihrer besten Resultate seit dem Turniergewinn in Stuttgart vergangenes Jahr. Auch da stand sie schon kurz vor dem Aus. In der zweiten Runde hatte sie den ersten Satz 4:6 verloren, dann gab ihre Gegnerin überraschend auf. Es war Victoria Azarenka.
Nils Lehnebach