First Lady der Ukraine Unterwegs mit Olena Selenska: "Wir können im Krieg nicht die Pausentaste drücken"

Die First Ladies Olena Selenska und Elke Büdenbender treffen sie sich in Berlin wieder
Die First Ladies Olena Selenska und Elke Büdenbender verbindet eine besondere Beziehung. Nun treffen sie sich in Berlin wieder
© Marlena Waldthausen / stern
Überraschungsgast in Berlin: Die Frau des ukrainischen Präsidenten, Olena Selenska, besuchte zusammen mit der deutschen First Lady Elke Büdenbender krebskranke Kinder in der Charité. Der stern konnte sie begleiten.

Es ist ein aufregender Tag für Alina. Am Vormittag hat sie die Gebrüder-Grimm-Schule besichtigt. Vom 12. Februar an wird sie hier die sechste Klasse besuchen – nach mehr als einem Jahr Krebsbehandlung in der Kinderklinik der Berliner Charité. Sogar den Namen ihrer Klassenlehrerin kennt sie schon.

Jetzt, ein paar Stunden später, wartet Alina gemeinsam mit ihrer Mutter auf eine andere Frau. Olena Selenska hat sich angemeldet, Ehefrau von Wolodymyr Selenskyj. Die First Lady der Ukraine ist in Berlin und kommt gemeinsam mit Elke Büdenbender, der Ehefrau von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, zur Visite. Der behandelnde Arzt wirft einen letzten prüfenden Blick auf Alina. Ein bisschen mehr essen solle sie noch. "Ja", antwortet das 12-jährige Mädchen mit ernstem Lächeln, "Waage ist sehr niedrig".

Alina ist eines von mittlerweile 350 Kindern, die seit Kriegsbeginn aus der Ukraine zur medizinischen Behandlung nach Deutschland gebracht wurden. 23 von ihnen werden an der Charité behandelt. Alina ist eine echte Erfolgsgeschichte, obwohl es lange nicht danach aussah. Olena Selenska kommt auch, um sich dafür bei den Ärzten zu bedanken.

Selenskas Reise wurde geheim gehalten

Die 45-jährige First Lady ist am Donnerstagabend ohne größere Vorankündigung in Berlin eingetroffen. Wie bei ihrem Mann werden Reisen so lange wie möglich geheim gehalten. Die Sicherheitsvorkehrungen sind hoch, Selenska bekommt neben dem Schutz durch eigene Leibwächter auch noch Beamte des Bundeskriminalamts zur Seite.

Olena Selenska sitzt in einem Zimmer der Charité und lächelt
Der stern begleitet Olena Selenska an diesem Tag in Berlin
© Marlena Waldthausen / stern

Im Schloss Bellevue traf Selenska zunächst Elke Büdenbender zu einem Abendessen. Eine Begegnung mit Frank-Walter Steinmeier war für den Freitagabend geplant. Das Miteinander der Präsidentenpaare war nicht immer unkompliziert. Das Verhältnis von Selenskyj und Steinmeier litt nach Kriegsbeginn unter den Vorwürfen des ukrainischen Präsidenten, die frühere Kanzlerin Angela Merkel und ihr langjähriger Außenminister Steinmeier trügen wegen einer zu nachgiebigen Russland-Politik Mitverantwortung für Wladimir Putins Angriffskrieg.

Der Bundespräsident war in Kiew zunächst nicht erwünscht. Erst nach einem längeren Austausch mit Selenskyj am Telefon reiste Steinmeier schließlich im Oktober 2022 erstmals seit Kriegsbeginn in die Ukraine. Parallel dazu entwickelten die beiden Frauen ihre eigene Beziehung – nicht unabhängig vom Verhältnis der Männer, aber doch mit eigenen Akzenten. 

Selenska und Büdenbender kennen sich seit dem Antrittsbesuch Selenskyjs in Berlin 2019, der nicht zuletzt wegen des Zitteranfalls von Kanzlerin Merkel während der Nationalhymne in Erinnerung geblieben ist. Im Oktober 2021 begleitete Büdenbender ihren Mann zu den Feierlichkeiten zum Gedenken an das Massaker von Babyn Jar nach Kiew. Später nahm sie an mehreren von Selenska organisierten sogenannten First-Lady-Gipfeln teil, wegen der Pandemie und des Krieges allerdings meist nur per Video zugeschaltet. Selenska kam seit Kriegsbeginn bislang einmal nach Deutschland: Im Herbst 2022 besuchte sie die Frankfurter Buchmesse, wo sie Büdenbender ebenfalls begegnete.

Olena Selenska: "Ein sehr emotionaler Besuch" – Ehefrau von Selenskyj besucht Kinderklinik in Berlin
"Ein sehr emotionaler Besuch" – Ehefrau von Selenskyj besucht Kinderklinik in Berlin

Wichtige Rolle der First Lady im Krieg

Selenska ist eine Macherin. Ihren Mann trifft sie schon aus Sicherheitsgründen selten. Aber eine Rolle in diesem Krieg hat sie trotzdem. "Es ist unsere Pflicht, aktiv zu sein", sagt sie in Berlin. In den ersten Wochen nach dem russischen Angriff hätte die Wut und der hohe Adrenalinspiegel die Ukrainer angetrieben. "Jetzt suchen wir uns einen neuen Brennstoff". 

Sie engagiert sich vor allem für die psychische Gesundheit ihrer vom Krieg gequälten Landsleute. Und sie organisiert immer wieder Kontakte mit Ehefrauen anderer Staatsoberhäupter. Das First-Ladies-Netzwerk, zu dem mittlerweile auch einige First Gentlemen gehören, versteht sich als eine Art Verbund für praktische Hilfe. So organisierte Elke Büdenbender im März 2022, also kurz nach Beginn des Krieges, gemeinsam mit der Ehefrau des polnischen Präsidenten, Agata Kornhauser-Duda, die Evakuierung von fast 40 schwerbehinderten Kindern aus einem Heim in Odessa nach Deutschland. Sie leben mittlerweile in einer Einrichtung in der Nähe von Koblenz. "Unsere Freundschaft", so beschreibt Selenska die Verbindung unter den First Ladies in Berlin, "verwandelt sich in wichtige Taten, die Leben retten".

Olena Selenska beugt sich über ein Kind auf der Kinderkrebsstation der Charité
Jedes Kind, das wieder gesund wird, bedeutet einen Tod weniger für die Ukraine
© Marlena Waldthausen / stern

Am Freitagvormittag besuchen Büdenbender und Selenska zunächst eine deutsch-ukrainische Konferenz über mentale Gesundheit – ein Thema, um das sich Selenska nach Beginn des Krieges mit einer von ihrer Stiftung finanzierten Initiative zu kümmern begann. In einer Rede vor rund 100 Experten warnt sie vor dem Irrglauben, in der Ukraine gebe es eine Kriegsfront im Osten und im restlichen Land verliefe das Leben relativ normal. Viele Städte litten unter Raketenangriffen, die ganze Bevölkerung nehme nach solchen Bombardements über die Medien Anteil an der Bergung der Opfer und dem Leid der Hinterbliebenen.

So wie am Schicksal eines Mannes aus Odessa, der seine Mutter, seine Frau und eine Tochter verlor. Er habe sich danach freiwillig zur Armee gemeldet, "um den Tod zu suchen", erzählt Selenska. Inzwischen sei er gefallen.

Initiative für mentale Gesundheit im Krieg

Es seien solche traumatisierenden Nachrichten, denen die Menschen in der Ukraine nicht aus dem Wege gehen könnten. "Wir können im Krieg nicht auf eine Pausetaste drücken", sagt Selenska. Mit ihrer Initiative für mentale Gesundheit fördert die Präsidentengattin Anlaufstellen für Betroffene, aber auch die Ausbildung von Fachpersonal. Denn aus psychischen Belastungen würden alsbald körperliche Probleme. So steige in der Ukraine die Zahl der Schlaganfälle und Herzinfarkte, was auch auf Stress zurückzuführen sei, so Selenska.

Sie und Büdenbender haben gemeinsam die Schirmherrschaft für die Fachtagung mit internationalen Experten im Gesundheitsministerium übernommen. Der Krieg in der Ukraine werde mit Waffen geführt, "aber es ist auch ein Krieg in den Köpfen", sagt die deutsche Präsidentengattin. Vor allem traumatisierte Kinder bedürften des besonderen Schutzes. Man müsse erkennen, wenn sie von dem Erlebten überwältigt würden. Dazu gehöre auch die Unterstützung der Eltern. "Es tut ihnen gut, wenn sie sehen, dass ihren Kindern geholfen wird."

Am Nachmittag dann der gemeinsame Besuch der Kinderstation der Charité. Insgesamt sind laut Gesundheitsministerium in Kiew etwa 3700 ukrainische Patienten seit Kriegsbeginn ins Ausland gebracht worden. Mehr als 1000 von ihnen werden in Deutschland behandelt, mehr als in jedem anderen Land.

Bei Alina, der baldigen Sechstklässlerin, wurde im August 2022 eine besonders aggressive Leukämie festgestellt. Im November brachte man sie und ihre Mutter nach Deutschland. Der Vater, der in einem Agrarbetrieb arbeitet, blieb in der Ukraine. Sie telefonierten viel miteinander, erzählt Alina, "fast jeden Tag".

Elke Büdenbender besuchte Kinderkrebsstation schon einmal

In Berlin erhielt Alina eine Knochenmark-Transplantation – und die Therapie schlug an. Für Elke Büdenbender hat der Besuch bei Alina eine Vorgeschichte, die sie jetzt auch Olena Selenska erzählt. Büdenbender traf das Mädchen schon im Sommer 2023 bei einem Besuch an der Charité. Damals lag sie noch im Zimmer nebenan – und es ging ihr sehr schlecht. Ein "sehr intensiver Besuch" sei das damals gewesen, erinnert sich Büdenbender, und freut sich über die Fortschritte Alinas: "Was für ein tolles Mädchen."

Olena Selenska umarmt ein krebskrankes Mädchen in der Charité Berlin
Die Berliner Charité behandelt 23 krebskranke Kinder aus der Ukraine. Es wird deshalb ein besonders emotianaler Besuch für Olena Selenska
© Marlena Waldthausen / stern

Auch Olena Selenska ist begeistert – und gerührt. Zum Abschied gibt es eine Umarmung. Wenn es Alinas Gesundheitszustand zulässt, wollen sie und ihre Mutter im Sommer zurück in die Ukraine. Beide vermissen den Vater sehr.