Von russischen Frauen wie der 23-jährigen Moskauer Fremdsprachen-Sekretärin Nastja träumen Bekleidungshersteller in Deutschland, Frankreich oder Italien. "Ich kaufe nur Markenqualität", sagt die große, schlanke Russin mit Vorliebe für feminine Schnitte. Wie Hunderttausende andere Frauen in Moskau auch gibt Nastja jeden freien Rubel für westliche Mode aus. Sowjetische Nylonblusen und kratzende Hosen sind längst passé. Der Absatzmarkt Russland boomt. Die EU-Bekleidungsindustrie exportiert jährlich Waren für fast eine Milliarde Euro in das größte Land der Erde.
Gute Kleidung ist teuer
Die dunkelhaarige Nastja würde niemals auf die mit Billigwaren aus China und der Türkei voll gestopften Moskauer Kleidermärkte gehen. "Ich kaufe mir lieber einen Rock aus der Boutique. Da weiß ich, dass keine andere in meinem Freundeskreis das Gleiche trägt", sagt sie. Umgerechnet knapp 800 Euro verdient die junge Frau monatlich. Das ist in der teuren Metropole Moskau kein Reichtum. Da Nastja weiterhin bei den Eltern wohnt und mit der U-Bahn zur Arbeit fährt, kann sie bis zu drei Viertel ihres Gehalts für Kleidung ausgeben.
Nur Japaner sind anspruchsvoller
Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung und der wachsenden Mittelschicht steigt in Russland die Nachfrage nach modischer, qualitativ hochwertiger Kleidung. "Die russischen Einkäufer verlangen Topqualität, ein modisches Profil und exklusive Produkte", sagt Reinhard Döpfer, Geschäftsführer des Europäischen Dachverbands der Bekleidungsindustrie. Anspruchsvoller seien nur noch die Japaner.
Ästhetik steht im Vordergrund
Im Gegensatz zum deutschen Markt stehe in Russland die Ästhetik im Vordergrund. "Die Russen betrachten Bekleidung als eine ernste Sache", betont Döpfer. So spiele der Anzug noch eine große Rolle. Wer über Moskaus Prachtmeile Twerskaja spaziert, sieht Exklusivität und Luxus auf Schritt und Tritt. Der Bürgersteig gleicht im Sommer und Winter einem Laufsteg. Die Damenmode spielt mit der Erotik. Werbeplakate für Dessous gleichen Titelseiten von Herrenmagazinen.
Wichtigster Absatzmarkt für Westeuropa
Russland ist zum wichtigsten Absatzmarkt für westeuropäische Bekleidungshersteller außerhalb der EU aufgestiegen. Nach 20 Prozent Wachstum im Vorjahr rechnen Experten langfristig mit einem jährlichen Zuwachs von 5 bis 6 Prozent. "Wie gut, dass es bei der andauernden Flaute in Westeuropa diesen Markt gibt", betonten Exporteure auf der CPM-Modemesse Ende September in Moskau. In den übrigen ehemaligen Sowjetrepubliken steigt der Umsatz derzeit noch um 20 Prozent.
Privater Facheinzelhandel dominiert
In Russland dominiert der Facheinzelhandel in Privatbesitz das Geschäft. Während im Westen dem Einkäufer bis zu drei Monate Zahlungsfrist eingeräumt werden, läuft das Russlandgeschäft weiterhin über Vorauskasse. Die Kosten sind mit 25 Prozent Zoll und 20 Prozent Umsatzsteuer hoch. Entsprechend teuer sind dann auch die Waren.
Frühjahr und Herbst überflüssig
Sorge bereiten den Exporteuren die am Rande der Millionenstädte entstehenden Einkaufs-Malls, die mit relativ "normalen" Preisen das bisherige Preisgefüge in Gefahr bringen. Das russische Klima mit seinen heißen Sommern und kalten Wintern macht zwei der vier im Westen üblichen Jahreskollektionen überflüssig - Frühjahr und Herbst.
Auch als Produktionsstandort interessant
Auch als Produktionsstandort gewinnt Russland für die westliche Bekleidungsindustrie an Bedeutung. Erste Unternehmen wie Steilmann oder Comazo lassen bereits in Russland fertigen. Eine russische Näherin verdiene außerhalb von Moskau 50 bis 150 Euro monatlich, sagt Döpfer. In China seien die Löhne mittlerweile deutlich höher.