Absatzeinbruch Es fließt nicht! Deutschlands Ladenetz hemmt den Verkauf von E-Autos

Ladestation für E-Autos bei Düren
Diese Ladesäulen für E-Autos wurden teilweise von Steuergeld bezahlt. Dabei würde sich ihr Bau so oder so rechnen
© Matthias Jung
Die jüngsten Zahlen zeigen: Die Deutschen verschmähen das E-Auto. Das liegt auch am löchrigen Ladenetz. 

Linda Boll wirkt zufrieden. Die Deutschlandchefin des Ladenetzbetreibers Fastned lehnt an einer Zapfstelle im neuen Ladepark an der A 4, Abfahrt Düren, einem für sie besonderen Ort. Nicht, dass es die erste deutsche Schnellladestation der Niederländer wäre; sie betreiben bundesweit schon fast 40. Aber es ist die erste, für die Fastned Subventionen vom Bund eingestrichen hat.

Staatsgelder für einen Ladepark? Das musste die 33-jährige Managerin ihren erstaunten Kollegen in Amsterdam erst einmal erklären: "Die wundern sich, warum uns hier so viel Geld hinterhergeschmissen wird. In Holland bekommen wir keinen Cent für den Ladenetzausbau."

Warum? Diese Frage stellen sich auch deutsche Experten. 

Hier, im Großraum Köln, nahe der Grenze zu Belgien und den Niederlanden, ist der Verkehr so dicht, dass sich der Verkauf von Ladestrom auch ohne Beihilfe rechnet. Deshalb haben die Energieriesen Aral und EnBW auf der anderen Seite der A 4 längst mehrere High-Speed-Ladestationen aufgestellt. Auf eigene Kosten. Die Subventionen streicht Linda Boll natürlich dennoch ein. Sie nennt sie "das Tüpfelchen auf dem i".

An diesem Ort zeigt sich, wie ungeschickt die Bundesregierung an der Verkehrswende und beim Ausbau der Ladeinfrastruktur herumdoktert. Überall will sie lenken und regulieren, wo Vereinfachung angesagt wäre. Die Regierung jongliere lieber mit Subventionen, klagen Anbieter, als den Wettbewerb nachhaltig von der drückenden Bürokratie zu entlasten. In der Folge verlaufe der Ausbau des Ladenetzes ineffizient, anstatt zügig voranzugehen.

Linda Boll an einer E-Auto Ladestation
Fastned-Chefin Linda Boll: Bald versorgen die Niederländer auch Autobahnparkplätze
© Matthias Jung

Ein Beispiel dafür ist das Förderprogramm "Deutschlandnetz", von dem Linda Boll profitiert. Es stammt aus dem Jahr 2021, als Angela Merkel noch regierte. Die Idee lautete: Der Staat muss nur ordentlich zubuttern, dann werden Anbieter auch Schnellladesäulen in der Provinz installieren. 1,9 Milliarden Euro Steuergeld wurden bereitgestellt. Beamte definierten "Suchräume" für 1000 Standorte und starteten ein Losverfahren. Am Ende dauerte es fast zweieinhalb Jahre, bis die erste "Deutschlandnetz"-Station lief, jene auf der A 4 bei Düren.

Kerstin Andreae, ehemals grüne Bundestagsabgeordnete und jetzt Vorsitzende des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), sagt ernüchtert: "Eine staatliche Steuerung, wie sie aktuell mit dem Deutschlandnetz angestrebt wird, macht den Ausbau des Ladeangebots nicht schneller, besser oder günstiger."

Ausbaupakt statt Subventionen

Wie es besser laufen kann, zeigt ein Blick in die Niederlande. In fast jedem Dorf finden sich Ladestationen. Auch dort gibt es einen nationalen Pakt: 2020 haben Gemeinden, Provinzen, Zentralregierung, Netzbetreiber sowie Industrie- und Handelsverbände die "Nationale agenda laadinfrastructuur" (NAL) aufgesetzt. Anders als in Deutschland verpulvert die aber kein Steuergeld, sondern sorgt für Baugrund und kurze Behördenwege. Heute kommen in den Niederlanden statistisch 5,1 E-Autos auf eine Ladesäule; in Deutschland sind es 20,5.

Ohne eine flächendeckende Ladeinfrastruktur wird der deutsche Umstieg auf die Elektromobilität nicht gelingen, darüber herrscht Konsens in der Politik. Doch es gibt weiterhin zu viele Löcher. 38 Prozent der Deutschen schrecken laut dem DAT-Report 2024 aus diesem Grund vor dem Kauf eines E-Autos zurück. Das bringt die deutsche Autoindustrie in Schwierigkeiten. Sie durchlebt gerade einen heftigen Absatzeinbruch bei E-Autos und könnte dadurch weltweit ins Hintertreffen geraten.

Mit welchem Ladeanbieter man auch spricht, auf keiner Wunschliste stehen Subventionen. Alle bevorzugen einen freien Markt, willige Kommunen, weniger Formularkram. Sie wünschen sich auch technische Entlastung, vor allem Standards für Transformatoren, die Schnellladeparks benötigen. Heute definiert jeder der 866 deutschen Stromnetzbetreiber (in den Niederlanden gibt es sechs) selbst, welche Bauteile der Trafo aufweisen muss. Das kostet die Investoren Zeit, Geld und Nerven.

Je günstiger das Marktumfeld, desto leichter laufe es von allein, sagt Verbandsfrau Andreae: "Der Markt findet die besten Lösungen. Die Unternehmen bauen schon aus Eigeninteresse jene Art Ladesäule an den Standorten auf, die für die Kundinnen und Kunden attraktiv ist. Sie wollen diese schließlich wirtschaftlich betreiben." So hätten Anbieter bereits in mehr als der Hälfte aller staatlich definierten "Deutschlandnetz"-Suchräume auf eigene Faust Schnelllader installiert – weil es sich lohne. Oft gemeinsam mit Super-, Möbel- und Baumärkten, deren Parkplätze sie nutzen.

Und doch werden die Steuermilliarden weiter fließen. Wer ein Los fürs "Deutschlandnetz" gezogen hat, muss Ladesäulen bauen, so lautet der Deal. Das kann sich allerdings hinziehen, der Bund hat den Gewinnern keine verbindlichen Termine für die Fertigstellung gesetzt. Nach Einschätzung von Fastned-Managerin Boll, deren Firma zwei Lose und damit 92 Suchräume errungen hat, dürfte der Prozess erst 2027 vollendet sein.

Kaum ein E-Auto-Nutzer kommt auf die Idee, zum Laden eine Tankstelle anzufahren

Unterdessen arbeitet die Bundesregierung schon am nächsten Markteingriff. Sie will jede Tankstelle dazu verdonnern, mindestens eine Schnellladesäule aufzustellen. Christian Küchen, Hauptgeschäftsführer des Verbands Fuels und Energie (En2x), der auch Tankstellenbetreiber vertritt, wird deutlich: "Ein Ladesäulenzwang an Tankstellen wäre reine Symbolpolitik." Die Tankstellengesellschaften bauten längst mit an der Ladeinfrastruktur, dort, wo es sinnvoll sei: "Nicht nur an Tankstellen, sondern auch an Supermärkten, am Straßenrand, zu Hause und am Arbeitsplatz", sagt Küchen.

Tatsächlich belegen Untersuchungen, dass kaum ein E-Auto-Nutzer auf die Idee kommt, eine Tankstelle zum Laden anzufahren. Bundesverkehrsminister Volker Wissing, FDP, ficht das nicht an: Der Referentenentwurf für das neue Gesetz befinde sich derzeit in der Ressortabstimmung, so eine Sprecherin.

Auch in den Niederlanden stehen die Ladesäulen kaum an klassischen Tankstellen. Selbst an Autobahnraststätten haben sie gesonderte Areale. Wer das Nachbarland öfter mit einem E-Pkw bereist, findet nahezu immer eine freie Steckdose. In Deutschland dagegen bilden sich gerade zur Reisezeit oft lange Schlangen vor den Zapfpunkten der Raststätten. 1484 Ladepunkte auf 13.200 Autobahnkilometer sind viel zu wenige für ein Durchreiseland.

Zumal nicht alle Säulen Höchsttempo liefern, was die Ladezeiten kurz hielte. Nur 809 Ladepunkte schaffen 150 Kilowatt-stunden (kW). Hängen zwei Autos an einer Säule, halbiert sich die Leistung in der Regel. Dann tröpfeln die Elektronen gefühlt vor sich hin. Fastned baut inzwischen nur noch Säulen mit 400 kW Ladeleistung, andere ziehen nach. Auch das "Deutschlandnetz" verlangt 200 kW für eine Förderung.

Der Rückstand ließe sich rasch beheben, wenn man den Bestand erweiterte. Nur: Der Ladenetzausbau an den Autobahnraststätten ruht. Auch das verantwortet die ehemalige Bundesregierung. 2021 hat sie dem privaten Unternehmen Tank & Rast, das 410 der rund 440 Raststätten betreibt, die Konzession zum Ausbau der Ladeinfrastruktur exklusiv überlassen. Ohne eine Ausschreibung. Fastned und Tesla halten das für unrechtmäßig, sehen den Wettbewerb verzerrt und haben geklagt. Linda Boll sagt: "Wir sind recht sicher: Wir gewinnen!"

"Ein Desaster mit Ansage"

Im Juni 2023 hat das Düsseldorfer Oberlandesgericht das Vergaberechtsverfahren ausgesetzt und will die Frage grundsätzlich vom Europäischen Gerichtshof klären lassen. Niemand rechnet damit, dass vor Mitte 2025 juristisch Klarheit herrscht. Und so wird mindestens ein weiteres Jahr lang an keiner deutschen Raststätte eine neue Ladesäule entstehen. Tank & Rast äußert sich auf Anfrage nicht zu der misslichen Lage, man werde "zu gegebener Zeit" Weiteres kommunizieren.

Victor Perli, Bundestagsabgeordneter der Linken und Raststättenspezialist, hält die Verzögerung für "ein Desaster mit Ansage. Es rächt sich, dass sich der Bund an den Raststätten auf Gedeih und Verderb Tank & Rast ausgeliefert hat. Es ist keine Überraschung, dass sich Wettbewerber gegen die Bevorzugung wehren."

Fastned-Managerin Linda Boll lässt sich trotz allem die gute Laune nicht nehmen. Ihre Firma hat bei einem weiteren Losverfahren des "Deutschlandnetzes" mitgemacht: 1000 Schnellladepunkte auf 200 Autobahnparkplätzen, wo Tank & Rast nicht zuständig ist. Sie lächelt wieder: "Wir haben 34 Parkplätze gewonnen." Das macht 34 weitere Tüpfelchen auf dem i.

Erschienen in stern 16/2024

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