Es gibt Nachrichten, über die man mittlerweile gerne hinwegliest. Einfach, weil wir sie schon so oft gehört haben, dass wir sie achselzuckend als bekannt abhaken, ohne großartig darüber nachzudenken, was das eigentlich genau für uns bedeutet. Die aktuellen Ergebnisse des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zum immensen Fachkräftemangel gehören zweifelsohne in diese Kategorie. Und trotzdem sollten wir sie nicht einfach so hinnehmen, sondern handeln. Denn wenn Fachkräfte fehlen, trifft das nicht nur die Wirtschaft, sondern am Ende jeden einzelnen von uns.
Aber von vorne. Die Geschichte des Fachkräftemangels ist keine Neue. Schon seit Jahren fehlen in vielen Branchen fachkundige Arbeitskräfte, vor allem im Handwerk, im Sozialen Bereich und in der Gesundheitsbranche. Durch die Coronavirus-Pandemie hat sich die Lage auch in der Gastronomie, im Handel und im Tourismus zusehends verschärft. Laut der aktuellen Studie konnten im vergangenen Jahr mehr als 630.000 offene Stellen für Fachkräfte nicht besetzt werden. Gleichzeitig steigen die Zahlen von psychischen Erkrankungen und Arbeitnehmern im Krankenstand. Zufall? Wohl kaum.
Nicht umsonst arbeitet die Bundesregierung seit geraumer Zeit daran, die Einwanderung für Fachkräfte aus dem Ausland einfacher zu gestalten. Ein Bemühen, das auf kurz oder lang sicher helfen wird. Trotzdem stehen wir nun mit einer klaffenden Fachkräftelücke da. Und die wird vor allem von den Arbeitnehmern gefüllt, die schon in den betroffenen Branchen arbeiten.
Wenn der Fachkräftemangel den Alltag erreicht
Im ersten Moment mag das nach einem Problem klingen, das in erster Linie die Unternehmen betrifft, die keine neuen Fachkräfte gewinnen können. Aber wer einmal genauer hinsieht, dem wird schnell auffallen, dass vor allem systemrelevante Bereiche wie Gesundheit, Handel und Soziales vom Fachkräftemangel betroffen sind. Damit wird der Fachkräftemangel recht schnell auch zu unserem Problem.
Zum Beispiel, wenn der Krankenpfleger auf der Intensivstation überarbeitet ist, weil er aufgrund von Personalmangel Überstunden schiebt. Oder wenn Jugendliche auf sich allein gestellt sind, weil aufgrund von Lehrermangel die Schulstunde ständig ausfällt. Oder einfach, wenn wir unseren Rohrbruch selbst flicken müssen, weil der nächste Handwerker erst in fünf Tagen einen freien Termin hat.
Wir stehen vor einem Problem, das wir am Ende auch nur gemeinsam lösen können. Denn neben den politischen und wirtschaftlichen Bemühungen um leichtere Einwanderung und einen einfacheren Zugang zu Bildung, sollten wir uns auch einmal fragen, wie wir die betroffenen Branchen gesamtgesellschaftlich wahrnehmen. Ja, für das Krankenhauspersonal haben wir während der Pandemie auf dem Balkon geklatscht.
Aber auch nur, weil uns dann das erste Mal kollektiv bewusst geworden ist, welchen Wert ihre Arbeit hat. Dass jeder von uns im Krankenhaus landen kann und wir dann darauf angewiesen sind, dass die Pflegekraft und der Arzt ausgeschlafen sind. Aber die Welle der Wertschätzung ist, so ehrlich müssen wir sein, auch schnell wieder abgeebbt.
Wertschätzung kostet nichts
Wenn wir ehrlich sind, vergessen wir oft, welchen Wert die Arbeit von anderen Menschen für unser eigenes Leben hat. Und das ist irgendwie auch menschlich. Wir nehmen nicht bewusst wahr, dass Menschen sich in der Schule darum kümmern, dass unsere Kinder etwas lernen. Dass der Handwerker noch einen Termin in seinen überfüllten Kalender quetscht, damit unsere Tür repariert wird. Dass die Gastronomen uns gutes Essen auf den Tisch zaubern, Barkeeper uns mit einem guten Drink einen schönen Abend bereiten und Hoteliers dafür sorgen, dass wir eine kleine Auszeit vom Alltag bekommen. Klar machen diese Menschen ihren Job. Aber sie geben uns damit eben auch etwas. Vielleicht lohnt es sich, ihnen manchmal etwas mehr Wertschätzung zurückzugeben.
Natürlich ist das nicht das Allheilmittel gegen den Fachkräftemangel. Es wird uns erst gelingen, die Lücken wieder zu schließen, wenn wir eine bessere Bezahlung und fairere Arbeitsbedingungen in den entsprechenden Branchen durchsetzen. Auch flexible Arbeitszeitmodelle sind sinnvoll, um auch die Arbeitnehmer der jungen Generationen für einen Arbeitsplatz zu begeistern.
Sie haben etwas Wichtiges verstanden: Arbeit ist nicht alles. Wichtig ist sie trotzdem. Und zwar jede Form von Arbeit: die des Hausmeisters genauso wie die des Bank-Managers. Wenn es uns gelingt, das auch im Miteinander wieder mehr zu verinnerlichen, dann haben vielleicht auch mehr Menschen Lust, Fachkraft zu werden.