Hartmut Mehdorn "Ich bin ein robustes Kerlchen"

Auch nach der Kritik an seiner forschen Gangart ist Hartmut Mehdorn kein bisschen leise: "Wenn die Welt einen Eunuchen zum Bahnchef wollte, wäre ich der Falsche." stern-Gespräch über den verschobenen Börsengang, verspätete Züge und teurere Fahrkarten.

Herr Mehdorn, warum sind Sie eigentlich immer noch Bahnchef?

Weil ich das gerne bin und einen ordentlichen Job mache. Warum sollte ich es nicht mehr sein?

Wir hätten Sie für konsequenter gehalten. Bundesregierung und Aufsichtsrat haben den von Ihnen vehement propagierten Börsengang verschoben. Das ist ein Grund zum Rücktritt.

Nein. Eigentümer und Aufsichtsrat sehen die Bahn auf gutem Weg. Im Übrigen: Wenn jeder sein Amt so leicht hinschmeißen würde, wären die Führungsetagen menschenleer.

Sie wollen Ihren Vertrag als Bahnchef bis 2008 erfüllen?

Ja, auch wenn da ein paar Kassandrarufer waren. In einer Aktiengesellschaft zählt, was Eigentümer und Aufsichtsrat sagen. Und die haben sich über die Diskussionen gewundert. Für sie und für mich hat sich die Frage des Rücktritts keine Sekunde gestellt. Und der Aufsichtsrat hat soeben einstimmig die Fortsetzung unseres Kurses in Richtung Kapitalmarktfähigkeit bestätigt.

Die vorläufige Absage des Börsengangs bedeutet für Sie keine schwere Niederlage?

Überhaupt nicht. Wir haben doch selbst immer gesagt: Unsere Aufgabe ist es, das Unternehmen wirtschaftlich fit zu machen, den Zeitpunkt des Börsengangs bestimmt der Eigentümer. Wir waren zuletzt in einer Situation, in der wir keine normale unternehmerische Entscheidung mehr treffen konnten, ohne dass diese auf den Börsengang bezogen wurde. Das ging so weit, dass behauptet wurde, der Vorstand hätte einen totalen Investitionsstopp verhängt, um die Bahn an die Börse zu bringen. Die Realität ist, dass wir in diesem Jahr 8,4 Milliarden Euro investieren und größter Investor des Landes sind. Aber das wollte niemand wissen. Wir mussten einfach Druck vom Kessel der veröffentlichten Meinung nehmen.

Die Entscheidung haben Bundeskanzler Gerhard Schröder und Aufsichtsratschef Michael Frenzel doch über Ihren Kopf hinweg getroffen.

Nein. Das macht man ja nicht mal eben so hopp, hopp. Wir haben die Frage des Zeitplans seit längerem gemeinsam diskutiert - wobei: Es ist und bleibt die ureigenste Entscheidung des Bundes. Niemand zweifelt, dass der Börsengang richtig ist. Der Bund kann der Bahn künftig nicht das nötige Eigenkapital geben - deshalb müssen wir, um die notwendigen Investitionen zu leisten und die Modernisierung fortzuführen, privates Kapital mobilisieren. Dabei bleibt es. In diesem Jahr wird die Bahn erstmals aus eigener Kraft ein Plus machen, in den nächsten Jahren wollen wir fit werden. Wenn der Bund jetzt das Zeitfenster für den Börsengang mit 2006 bis 2008 definiert, ändert sich ja deshalb nichts an unseren internen Planungen. Für mein ganzes Berufsleben gilt: Mehdorn hält seine Planung ein.

Wer soll überhaupt die Bahnaktie kaufen?

Wir machen schon heute Roadshows. Da treffen wir große Pensionsfonds, etwa von den amerikanischen Lehrern, und die sagen: Kommt! Solche Anleger lieben Firmen wie die Bahn. Die stecken einen Teil in Software und Biotechnologie und den anderen in konservative Werte. Die Bahn wird an der Börse niemals große Kurssprünge machen. Unser Geschäft ist kalkulierbar und solide, ein Witwen- und Waisenpapier.

Musste der Eisenbahn-Rambo Kreide fressen, um weitermachen zu dürfen?

Überhaupt nicht. Ich kämpfe aber für die Bahn und meine Mitarbeiter, wenn wir ungerecht behandelt werden. Da fällt vielleicht mal ein falsches Wort, aber mir geht es um die Sache. Und wer mich kennt, weiß, dass ich kein Handtuchwerfer bin. Die Bahn ist eine Erfolgsgeschichte, und die werden wir weiterschreiben.

Sie wurden vor den Verkehrsausschuss des Bundestages zitiert, um Buße zu tun und sich für Ihre harten Attacken gegen die Politik zu rechtfertigen.

Der Verkehrsausschuss hat den Verkehrsminister und mich eingeladen. Ich bin der Einladung gern gefolgt. Das hat mit Buße nichts zu tun. Mir ging es um Klärung der Atmosphäre. Einige Politiker waren ein bisschen verstört wegen einiger Äußerungen, und ich war auch nicht glücklich mit dem, was da immer über die Bahn verbreitet wurde.

Sie hatten in einem Brief verkehrspolitische Sprecher als "so genannte Verkehrsexperten" bezeichnet.

Na gut, das war vielleicht nicht sehr nett, aber auch nun wieder nicht so schlimm. Da fallen im Parlament ganz andere Aussprüche. Und lesen Sie mal in Ihrem Archiv nach, was manche Leute über mich alles gesagt haben. Da wäre "so genannter Bahnchef" noch harmlos. Aber das ist gefallener Schnee. Wir gucken nach vorn.

Geht es Ihnen als Bahnchef manchmal so wie dem Fußball-Bundestrainer - jeder weiß es besser?

Dazu kann ich Ihnen eine kleine Anekdote erzählen. Einer meiner Nachbarn hier in Berlin ist der frühere Direktor des Zoos. Von dem fand ich neulich einen Brief im Postkasten, in dem stand sinngemäß: Lieber Herr Mehdorn, ich fahre seit 50 Jahren Bahn. Es ist fantastisch, wie sich das entwickelt hat. Lassen Sie sich nicht von Ihrem Kurs abbringen. Ich habe im Zoo jahrzehntelang Besucher gehabt, die hatten zu Hause ein kleines Aquarium und wollten mir immer erzählen, wie ich den Zoo leiten sollte. Da sehen Sie, wie viel Bahnchef und Zoodirektor gemeinsam haben.

Ist Bahnchef ein Job, der einsam macht?

Immer wenn Sie die Nummer eins einer Firma sind, sind Sie ein Stückchen einsam. Sie tragen die Endverantwortung, Sie müssen viele Entscheidungen treffen, und Sie müssen Risiken eingehen. Da sind Sie einsam. Und wenn Sie Fehler machen, dann sind Sie manchmal noch einsamer. Ich habe gewusst, dass der Job schwierig wird. Für das Sanieren bekommen Sie keinen Applaus.

Sie sind für viele eine echte Hassfigur.

Es gibt viel leichtfertige Kritik gegen die Bahn. Wenn in Wanne-Eickel auf dem Damenklo der Wasserhahn tropft, dann heißt es gleich: Der Mehdorn hält seine Bahnhöfe nicht in Ordnung. Wir haben über 5.400 Bahnhöfe, und ich schwöre Ihnen...

... irgendwo tropft's immer.

Ja. Und wir arbeiten hart daran, die Dinge zu verbessern. Aber es ist ein Phänomen, dass das Thema Bahn so personalisiert wird.

Börse bleibt Ziel

Hartmut Mehdorn, 62, steht seit rund fünf Jahren an der Spitze des Staatsunternehmens. Mit seiner raubauzigen Art hat er sich intern wie extern viel Kritik eingehandelt, aber auch dem schwerfälligen Konzern neuen Schwung beigebracht. Zu seinen größten Flops zählt das neuartige Preissystem, das er im vergangenen Jahr eingeführt hatte und wenige Monate später bereits korrigieren musste. Mit der Verschiebung des von ihm geforderten Börsengangs erlebte er jetzt einen weiteren Rückschlag - von dem er sich aber unbeirrt zeigt: Mehdorn will die Bahn weiter Richtung Börse steuern

Das haben Sie sich mit Ihrer Art, die Bahn zu führen, doch selbst zuzuschreiben.

Ich sage ja nicht, dass ich ein geschickter Diplomat bin. Aber mit Wattebäuschchen an den Händen kann man kein Unternehmen sanieren. Man hat mich auch deshalb zur Bahn gerufen, weil man wusste, dass ich ein robustes Kerlchen bin. Bei einem so großen Unternehmen können Sie nicht immer hinterm Vorhang stehen und meinen, die ganze Firma ahnt, was Sie gerade sagen wollen. Wir sind eine Unternehmensleitung und keine Unternehmensbegleitung.

Sie liegen mit Verkehrspolitikern, Wirtschaftsverbänden und den meisten Experten über Kreuz. Haben Sie sich mit zu vielen angelegt?

Also, ich habe mich eigentlich mit gar keinem angelegt. Alle diskutieren über die Bahn, jeder hat eine Meinung, aber nicht alle haben das entsprechende Fachwissen und die nötige Fairness. Ich rede Klartext, kann aber auch was wegstecken. Wenn die Welt der Meinung wäre, dass sie einen Eunuchen zum Bahnchef haben müsste, dann wäre ich der Falsche.

Sie haben über "persönlichkeitsgetriebenes Mobbing" geklagt.

So empfinde ich es manchmal. Immer wieder erfindet jemand irgendeinen Klamauk, und der steht dann in den Zeitungen. Auf eine Attacke muss man auch mal eine Gegenattacke reiten dürfen. Ich spiele gern Schach. Wer gewinnen will, muss angreifen. Wenn Sie nur hinten stehen bleiben, werden Sie Bäuerchen für Bäuerchen von der Platte geputzt. Wenn es dauernd Falschmeldungen über die Bahn gibt, dann wehre ich mich. Ich habe deshalb keinen Herzinfarkt. Wenn ich alles in mich reinschlucken würde, könnte ich das hier gar nicht überstehen.

Zu Ihren Gegnern zählen Sie den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).

Wenn der BDI zum Thema Bahn einen Kongress veranstaltet und ein Gutachten in Auftrag gibt, ohne mit uns darüber zu reden, spricht das in der Tat nicht für das beste Einvernehmen. Beim BDI mag eine Rolle spielen, dass es in Deutschland eine starke Autoindustrie gibt. Und die wittern in uns einen Feind, der wir aber gar nicht sind.

Sie sind Konkurrenten.

Nein, Partner. Die Bahn ist Deutschlands größter Busunternehmer und Europas größter Spediteur mit den meisten Lkws. Wir vermieten in jeder größeren Stadt Autos. Wir fahren auf der Straße und der Schiene. Die ganze Reise- und Logistikkette ist unser Geschäft. Wir sind nicht gegen das Auto. Warum sind die Leute so verkrampft? Ich fahre, wenn ich kann, Bahn. Aber ich erkläre hiermit als Bahnchef auch: Ich fahre gern Auto! Doch der Chef des Verbandes der Automobilindustrie, Herr Gottschalk, meint öffentlich erklären zu müssen, dass er mehr Kilometer mit dem Auto fährt als Herr Mehdorn mit der Bahn. Also wirklich, ist so was normal?

Diese Frage stellen sich viele Menschen auch, wenn sie Bahn fahren. Müssten Sie nicht schon deshalb zurücktreten, weil Sie das Bahnfahren immer komplizierter, teurer und unpünktlicher gemacht haben?

Das halte ich für ein Gerücht.

Dann sind Sie noch nie zu spät zu einem Termin gekommen, weil der Zug Verspätung hatte?

Von unseren täglich über 30000 Personenzügen sind weit mehr als 90 Prozent pünktlich, gemessen an maximal fünf Minuten Abweichung. Es gibt mal einen Tag, da kracht ein Gewitter runter, dann wirft das 100 oder 200 Züge für den Rest des Tages aus dem Fahrplan. Aber das sind Ausnahmen. Wir sind noch nie so pünktlich gefahren wie derzeit, sieben bis zehn Prozentpunkte besser als vor einem Jahr. Fragen Sie mal Autofahrer, wie oft die im Stau stehen. Und wenn ein Zug mal zehn Minuten Verspätung hat - ich merke das oft gar nicht. Aber ich bin ja auch nicht so wichtig.

In letzter Zeit klagen Kunden vermehrt darüber, dass sie beim Umsteigen den Anschlusszug verpassen. Warum warten die Züge nicht?

Weil wir ansonsten durch verspätete Züge noch weitere Verspätungen produzieren würden. Wir sorgen dafür, dass diese Züge pünktlich bleiben. Da sitzen auch Kunden drin. Unser Problem ist, dass zum Umsteigen manchmal nur vier oder fünf Minuten bleiben. Da muss nur ein bisschen was passieren, und der Anschlusszug ist weg. Darum arbeiten wir am Fahrplan, um da mehr Pufferzeiten fürs Umsteigen reinzubringen.

Sie wollen zum zweiten Mal in diesem Jahr die Fahrpreise erhöhen. Warum so gierig?

Das ist betriebswirtschaftlich geboten. Zeigen Sie mir ein Verkehrsmittel - Flugzeug, Taxi, Straßenbahn, ganz egal -, das nicht teurer geworden ist. Wir leiden wie alle unter steigenden Kosten, vor allem unter den Energiekosten, die allein in den vergangenen zwölf Monaten um 30 Prozent gestiegen sind.

Die Energiekosten machen bei der Bahn nur sieben Prozent der Gesamtkosten aus. Das rechtfertigt nicht ...

... wer sagt Ihnen denn so etwas? Wir kaufen für 1,5 Milliarden Euro im Jahr Energie. Und unser Energiekostenanteil ist, je nach Zuggattung, deutlich höher.

Das rechtfertigt trotzdem nicht, binnen eines Jahres die Preise um insgesamt sieben Prozent zu erhöhen.

Unsere Kunden fahren heute zu Preisen von 1995. Wenn wir die realen Kosten weitergeben würden, dann müssten die Preise weit stärker steigen. Connex, unser größter Wettbewerber im Fernverkehr, hat seine Preise zum 1. Mai um 14,5 Prozent erhöht. Regen Sie sich eigentlich auch darüber auf oder über die in diesem Jahr kräftig steigenden Strompreise?

Aber sicher.

Oh, den öffentlichen Aufschrei habe ich aber kaum gehört.

Warum machen Sie es Ihren Kunden so schwer, an Fahrkarten zu kommen?

Ich weiß nicht, warum Sie das sagen. Früher war die einzige Verbindung zur Bahn das kleine, runde Loch in der Glasscheibe am Schalter. Nicht sehr schön, nicht sehr persönlich, warum sich danach alle zurücksehnen, ist mir ein Rätsel. Heute haben wir sieben Vertriebskanäle.

Schalter werden dichtgemacht, und Sie möchten, dass die Kunden am Automaten oder im Internet ihre Fahrkarten kaufen.

Schalter und Reisebüros gibt es nach wie vor in großer Zahl. Nur, da, wo weniger Menschen kommen, kann man den Fahrkartenverkauf vielleicht mit einem Zeitungskiosk oder einem kleinen Laden kombinieren. Wo ist das Problem?

Wer seine Fahrkarte im Internet kauft und dann einen Gutschein wegen Verspätung bekommt, muss sich zur Einlösung in die Schlange am Fahrkartenschalter einreihen. Ziemlich unlogisch, oder?

Derzeit aber nicht anders zu machen. Aber davon ist nur ein Promilleanteil unserer täglich 320000 Kunden im Fernverkehr betroffen. Die Technik wird sich weiterentwickeln, trotzdem werden Sie es nicht schaffen, bei einem Massenverkehrsmittel alles perfekt zu machen. Das kann keiner bezahlen.

Vielleicht wollen Sie es den Leuten schwer machen, die Entschädigungsgutscheine einzureichen.

Wieso? Wer mit dem Zug fahren will, muss sich sowieso auf den Weg zum Bahnhof machen. Und wir achten sehr darauf, dass an den Schaltern die durchschnittliche Wartezeit fünf Minuten nicht überschreitet.

Wer seine Fahrkarte im Reisebüro kauft, muss demnächst wohl noch mehr bezahlen, weil Sie die Provisionen kürzen wollen.

Natürlich reden wir mit den Reisebüros. Wir müssen wie alle Unternehmen Kosten sparen und haben uns jetzt ja auch geeinigt. Aber Sie müssen ja nicht im Reisebüro kaufen. Sie können sich ihre Fahrkarte an unseren Schaltern, im Zug, am Automaten, im Internet kaufen oder bei der Hotline bestellen und nach Hause schicken lassen. Aber glauben Sie mir, wir gucken uns alle Kritik an und nehmen sie ernst. Es gibt natürlich auch Dinge, wo die Bahn zu Recht kritisiert wird.

Hört, hört.

Niemand glaubt, dass hier kein Platz mehr für Verbesserungen wäre. Das wissen alle Bahner. Wir kennen unsere Probleme am besten, und - seien Sie sicher - wir arbeiten daran.

print
Frank Thomsen und Lorenz Wolf-Doettinchem