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Deutscher Gründerpreis 2021 Das sind die beiden Frauen, deren Unternehmen den Gründerpreis gewonnen haben

Anna Yona (l.) und Maria Birlem führen erfolgreiche Unternehmen
Anna Yona (l.) und Maria Birlem führen erfolgreiche Unternehmen
© Franziska Krug
Barfußschuhe und Rocket Science: Erstmals setzen sich beim Deutschen Gründerpreis zwei von Frauen aufgebaute Unternehmen durch.

Ein Atelier für Barfußschuhe hätte man hier wirklich nicht vermutet – gleich an der S-Bahn Köln-Nippes und neben einer Bude für muskelfördernde Proteinpülverchen. Sprayer haben in fetten Buchstaben ein "Hizig" auf den Rollläden hinterlassen. Um kurz vor neun schließt Anna Yona, 43, Chefin und Gründerin von Wildling Shoes, den Laden auf und lässt fünf Kolleginnen rein. Normalerweise arbeiten sie wie alle rund 200 Mitarbeiter des Start-ups komplett remote, doch ab und zu treffen sie sich, etwa um neue Kollektionen zu planen. "Dann bunkern wir uns tagelang hier ein, stellen die Smartphones aus und klappen die Laptops zu", sagt Yona. An der großen Pinnwand hängen Scribbles von neuen Modellen, Wollmuster von alten Landschafrassen, "deren Wollen niemand verarbeiten will, weil sie kratzig und hart sind, die aber einen tollen, haltbaren Stoff ergeben", sagt die Gründerin. Über Farbvorlagen hängt ein Zettelchen mit einem Pfeil 'Pia und Cosima finden DAS am besten'. In einem Regal liegen ultradünne Schuhsohlen, Einlagen aus Hanf und jede Menge Wildlinge – jene minimalistischen Schuhe, um die sich hier alles dreht.

Von Hartz IV zur Unternehmerin mit Millionen-Umsätzen

Die Idee dazu kam Anna Yona und ihrem Mann Ran, als sie 2013 mit ihren drei Kindern aus Israel zurück nach Deutschland zogen. Die Kleinen, die zuvor fast nur barfuß gelaufen waren, brauchten erstmals richtige Schuhe und kamen damit nicht klar. Zu fest, zu wenig ergonomisch, fanden Anna und Ran, der als Sporttherapeut in Israel ein Fitnessstudio betrieben hatte. Tatsächlich nehmen dicke Sohlen und Schuhe mit Dämpfung den Füßen einen Großteil der Arbeit ab, was die meisten von uns als angenehm empfinden. Doch der Luxus hat einen Preis. "Babys kommen eigentlich mit gesunden Füßen auf die Welt, aber zwei Drittel aller Erwachsenen leiden unter Fußproblemen", sagt Yona. Senk-, Spreiz- und Plattfüße, Hallux valgus sind in Deutschland weitverbreitet. Schuld daran sind in der Regel Schuhe, die den Zehen jede Freiheit nehmen und die Fußmuskulatur sträflich unterfordern, die zu spitz, zu eng, zu klein, zu hoch sind.

Platz eins in der Kategorie "Aufsteiger": Anna und Ran Yona, Wildling Shoes GmbH, Engelskirchen
Platz eins in der Kategorie "Aufsteiger": Anna und Ran Yona, Wildling Shoes GmbH, Engelskirchen
© Dirk Bruniecki

"Ich habe in der Hotellerie gelernt und jahrelang mit gefühlt 50 Tellern auf dem Arm auf High Heels und im Minirock gearbeitet", sagt Katharina Wernscheid, 35. Ihre Fußschmerzen wurden so stark, dass sie einen Arzt aufsuchte. "Der meinte, 'wenn Sie so weitermachen, können wir den Zeh auch abnehmen'." Heute organisiert die Textilmanagerin sogenannte Wear-Tests für die Wildling-Kunden: Wie ist das Tragegefühl, wie groß oder klein fallen die Modelle aus, was halten sie aus, wie lassen sie sich reinigen? Sabine Adamy, 51, arbeitete lange als Designerin in der Schuhindustrie. "Ich hab die hundertste Turnschuhsohle entworfen und dachte, das braucht kein Mensch, das ist null innovativ." Sie fand Annas Idee brillant, hatte aber ihre Zweifel. "Schuhe mit einer so dünnen Sohle, ohne Leder, dafür mit Obermaterialien aus Wolle, aus japanischem Reispapier, aus Holzfasern. Wie soll das gehen? Ich dachte, Anna ist verrückt." Anna lächelt und sagt sanft: "Ich würde mich eher als kompromisslos bezeichnen." Als sie und Ran die Firma gründeten, lebte die Familie von Hartz IV. Sechs Jahre später verkaufen sie rund 500 000 Minimalschuhe und machten damit im vergangenen Jahr einen Umsatz im zweistelligen Millionenbereich.

Für diesen Erfolg gab es am Dienstag in Berlin den Deutschen Gründerpreis in der Kategorie "Aufsteiger". Erstmals in der über 20-jährigen Geschichte des Preises, der vom stern gemeinsam mit den Sparkassen, Porsche und dem ZDF verliehen wird, konnten sich damit zwei maßgeblich von Frauen gegründete Unternehmen durchsetzen. Denn auch Platz eins in der Kategorie "Start-up" ging an eine Frau, an Maria Birlem und ihr Team aus Meckenbeuren am Bodensee.

Erdverbunden und völlig losgelöst

580 Kilometer trennen die Unternehmen der beiden Gründerinnen voneinander – und noch viel mehr. Die Barfußschuhe von Anna Yona sind im wahrsten Sinne des Wortes "down to earth", erdverbunden. Die Raumfahrtingenieurin Maria Birlem, 39, dagegen, aufgewachsen in einem kleinen Dorf in Brandenburg in der damaligen DDR, träumte schon als Kind von der Schwerelosigkeit. Ihre erste Verbindung zur Welt der Astronauten war Yuri Gagarin: "In der ersten Klasse war in unserer Lesefibel ein ganzseitiges Bild von Gagarin zu sehen", sagt sie. Im Astronautenanzug, mit Helm. Sie vergaß es nie. Bewarb sich als Luftwaffenpilotin bei der Bundeswehr; als das nicht klappte, studierte sie Luft- und Raumfahrttechnik in Aachen. Und nahm schließlich eine Stelle bei Airbus in Immenstaad an.

Dort tüftelte sie zusammen mit ihrem Kollegen Christian Bruderrek an neuen Ideen. "Die Raumfahrt zu kommerzialisieren, das war unser Thema", erzählt Birlem. In den USA lief das schon an, in Deutschland war alles, was mit dem All zu tun hatte, eine ernste, sehr teure Sache für Grundlagenforscher. Sie und Bruderrek wussten, dass es in Raumkapseln neben den riesigen Forschungsprojekten der Nasa oder Esa durchaus oft noch Kapazitäten für kleinere Experimente oder Geschäfte gab.

Abenteuerluft statt Kantinenessen

Sie gaben die sichere Karriere bei Airbus auf, holten sich den "Weltraum-Nerd" Mark Kugel ins Gründungsteam und mieteten ein Loft in einem Industrieviertel in Meckenbeuren: Auf 500 Quadratmetern herrscht hier Start-up-Atmosphäre, wie man sie eher in Berlin vermuten würde. Aus einer Schule haben sie alte Turnböcke, Sprungkästen und Medizinbälle geholt, es gibt eine Theke und zum Kaffee Hafermilch, Becher und Shirts tragen das Unternehmenslogo: "yuri".

Platz eins in der Kategorie "Start-up": Mark Kugel, Maria Birlem, und Christian Bruderrek, Yuri GmbH, Meckenbeuren
Platz eins in der Kategorie "Start-up": Mark Kugel, Maria Birlem, und Christian Bruderrek, Yuri GmbH, Meckenbeuren
© Dirk Bruniecki

Vor sich auf dem Konferenztisch hat Maria Birlem neben ihrer Teetasse einen grünen, metallisch glänzenden Würfel stehen, zehn mal zehn mal zehn Zentimeter groß. Und wenn man ihr zuschaut, ist es ein bisschen wie bei einer Zaubershow. Sie öffnet mit einem zierlichen Schraubenzieher sehr konzentriert den Deckel. Innen befindet sich ein schmales, schwarzes Kästchen mit winzigen Klappen und Kammern – ein Minilabor, das Maria Birlem für Experimente in über 400 Kilometer Höhe entwickelt hat: Voraussichtlich noch im Oktober werden einige dieser Labore zusammen mit dem deutschen Astronauten Matthias Maurer mit der SpaceX-Rakete auf die Internationale Raumstation ISS geschossen und um die Erde fliegen.

Hier oben, unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit, sollen dann in der Box Experimente ablaufen. Maria Birlem sagt: "Es ist faszinierend, was da alles möglich ist." Kristalle, die man zum Beispiel bei der Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten braucht, wachsen nach allen Richtungen, sehr viel sauberer und weniger fehlerbehaftet als unten auf der Erde. Stammzellen lassen sich hier züchten, die später für Gewebe, Knochen oder Organe verwendet werden könnten. Glasfasern, produziert im All, sollen etwa hundertmal leistungsfähiger sein als solche von der Erde.

Birlem und ihre Mitgründer haben ein Wissenschafts-Taxi ins All entwickelt. Mit ihren universell nutzbaren und wiederverwendbaren Minilaboren werden Experimente in der Schwerelosigkeit günstiger, schneller, einfacher. Das Interesse an ihren Produkten ist groß. Im Herbst wird die Charité mit der Hilfe von "Yuri" auf der ISS zu Muskelzellen forschen, ebenso die Frankfurter Goethe Universität zu Organzellen. Das Land Luxemburg hat ihnen gerade vier Millionen Euro bereitgestellt. "Nach anfänglichem Holpern läuft es sehr gut. Wir sind wahnsinnig zuversichtlich", sagt die Ingenieurin.

Wenig Geld für Gründerinnen

Maria Birlem und Anna Yona haben sich in einer männerdominierten Szene durchgesetzt – noch immer sind nur 15 Prozent der Gründer in Deutschland weiblich, noch immer erhalten Frauen nur einen Bruchteil jener Milliarden, die Investoren hierzulande als Risikokapital an Start-ups vergeben. Doch die beiden strahlen dabei eine unerschütterliche Gelassenheit aus, und man fragt sich: woher der Mut? Woher die Power?
Anna Yona zieht viel Selbstbewusstsein aus der Unterstützung durch ihre Kundinnen. „Wir haben die ersten Schuhe durch eine Crowdfunding-Kampagne finanziert und waren sofort profitabel", sagt sie. Keine Investoren reden ihr rein, und sie kann in ihr großes Ziel investieren: Kreislaufwirtschaft. Langfristig sollen sämtliche Wildling-Materialien abbaubar oder wenigstens recycelbar sein. "In der Natur gibt es keinen Abfall, nur der Mensch produziert Müll. Wir wollen zeigen, dass es auch anders möglich ist."

Maria Birlem dagegen wird angetrieben von ihrem Kindheitstraum. Noch kann sie nicht so einfach für ein paar Wochen in die Luft gehen, sie hat drei Kinder, zwischen sechs und einem Jahr alt. Die kommen oft im Büro vorbei, das nur wenige Kilometer von ihrem Haus entfernt liegt. Die Größeren hüpfen dann auf dem Trampolin, klettern auf die Böcke und wundern sich, was man mit Metallwürfeln anfangen soll, die man ohne Schraubenzieher nicht aufkriegt. Sie tragen mit großem Stolz die T-Shirts mit dem Aufdruck "yuri". "Sie lernen von klein an, dass man auch als Mutter eine berufliche Leidenschaft haben kann und die nicht so leicht aufgibt", sagt Maria Birlem. Wann wird sie tatsächlich auf einer Station im All sein und dort selbst forschen? Das ist, sagt sie lachend, "nur eine Frage der Zeit". 

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