Auf die Bundesregierung kommen zum Jahresangang schwere Zeiten zu. Überschriften wie "Fünf Millionen Arbeitslose in Deutschland" halten dann der Sachverständigenrat für möglich, die Gewerkschaften für wahrscheinlich und die Union für sicher. Aber: Das Reißen der psychologisch wichtigen Hürde ist auf rein statistische Gründe zurückzuführen, denn mit In-Kraft-Treten von Hartz IV könnten bis zu 380.000 erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger mit einem Schlag von der Arbeitsmarktstatistik erfasst werden.
Zwischen Hoffen und Bangen
Wirtschaftsminister Wolfgang Clement ist überzeugt, dass die Fünf-Millionen-Grenze nicht erreicht wird. Er setzt auf den Erfolg der Arbeitsmarktreform, bei der zum 1. Januar Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II (ALG II) zusammengelegt werden. "Wenn Hartz IV richtig greift, dann wird man den Arbeitsmarkt im kommenden Jahr nicht mehr wiedererkennen." Er rechnet Ende 2005 mit rund 200 000 weniger Erwerbslosen als im Dezember dieses Jahres. Im Jahresdurchschnitt soll die Zahl der Arbeitslosen um 25 000 niedriger sein als dieses Jahr.
Von konjunktureller Seite ist kurzfristig keine Schützenhilfe zu erwarten. Selbst bei der optimistischen Wachstumsprognose der Regierung von 1,7 Prozent dürften beschäftigungswirksame Effekte ausbleiben. Einer Faustregel zufolge entstehen erst bei einem Anstieg des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um mindestens zwei Prozent auch neue Jobs. Der Sachverständigenrat erwartet 2005 sogar nur 1,4 Prozent Wachstum. Die Regierung bleibt trotz dieser verhaltenen Aussichten bei ihrem Langzeitziel "Vollbeschäftigung". Dieser Zustand beschreibt - nach grober Definition - einen Arbeitsmarkt, auf dem jedem Arbeitswilligen ein sozial abgesichertes Arbeitsangebot gemacht werden kann.
Vollbeschäftigung ist immer noch erklärtes Ziel
"Eine Vollbeschäftigung in der Perfektion der 60er Jahre werden wir wohl nicht mehr bekommen", sagt der Direktor der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Deutschland, Wolfgang Heller. In den 60er Jahren gab es fast keine Arbeitslosen und selbst noch 1970 lag die Zahl der Menschen ohne Job in der Bundesrepublik bei 150.000. Seit den siebziger Jahren wuchs das Heer der Arbeitslosen jedes Jahrzehnt um knapp eine Million auf heute über 4 Millionen. Trotzdem herrscht weitgehend ein parteiübergreifender Konsens, dass die Vollbeschäftigung als Ziel nicht aufgeben werden darf. "Das wäre tragisch", sagt der Unions-Wirtschaftsexperte Ronald Pofalla.
Die meisten Parteien und selbst die Gewerkschaften sind auch einig darin, wie das ehrgeizige Ziel erreicht werden kann: "Wachstum, Wachstum, Wachstum", heißt das zentrale Motto. "It's the economy, stupid", formuliert sogar ein DGB-Funktionär in Anlehnung an einen US-Wahlkampfslogan, der die Wirtschaft als treibende Kraft aller gesellschaftlichen Dynamik sieht. Die Wege für mehr Wachstum sind allerdings so unterschiedlich wie die Zahl der politischen Akteure. Union und Arbeitgeber fordern mehr Freiheit für betriebliche Bündnisse, weniger Kündigungsschutz und längere und flexiblere Arbeitszeiten.
Ruf nach staatlichen Investitionen - und Lenkung
Die Arbeitnehmerseite sieht verstärkt den Staat in der Pflicht. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di mahnt für kommendes Jahr sogar ein Konjunkturprogramm mit einem Volumen von 20 Milliarden Euro an. Auch ohne eine solche Flankierung hält der scheidende Industriepräsident Michael Rogowski ein "neues Wirtschaftswunder" in Deutschland für möglich: In zehn Jahren werde das Wachstum zwischen 3 und 4 Prozent liegen und die Arbeitslosigkeit, derer, die arbeiten wollen, weitgehend überwunden sein, schreibt Rogowski in einer Passage seines neues Buches, die mit den Worten beginnt: "Ich habe einen Traum..."