Deutsche in Holland Koffie statt Krawatte

Globalisierung einmal anders: Immer mehr Deutsche zieht es zum Arbeiten in die Niederlande. Dabei müssen sie sie erst an den lockeren Umgang gewöhnen: Der Chef wird geduzt, die Hierarchie ist nicht so wichtig, die Krawatte kann im Schrank bleiben.

Ein Auto mit dem gelben Kennzeichen der Niederlande und dazu ein Fan-Aufkleber von Bayern München auf der Rückscheibe - "das versteht keiner", sagt Heinrich Clören. Dabei ist die Erklärung ganz einfach: Clören gehört zu der wachsenden Zahl von Berufstätigen, die in Deutschland wohnen, aber in den Niederlanden arbeiten. Ihre Zahl hat sich binnen zehn Jahren verzehnfacht, auf jetzt 15.000.

Jeden Tag 190 Kilometer Fahrstrecke

Mitten im Ruhrgebiet, in Duisburg, steigt Clören morgens ins Auto und fährt los. Nach einer halben Stunde sieht die Welt draußen schon anders aus: Kanäle und weißgestrichene Zugbrücken gleiten vorbei, Giebelhäuser aus Backstein und Treibhausanlagen. "Wenn ich in Duisburg erzähle, dass ich in Holland arbeite, glauben alle, ich hätte da jeden Tag eine Wahnsinnsreise vor mir", sagt Clören. Zu seinem Arbeitsplatz in Helmond sind es 95 Kilometer. Die Grenze ist kaum noch zu erkennen: Irgendwann steht auf den Autobahnschildern eben nicht mehr "Ausfahrt", sondern "Uit". Das Betriebsgelände in einem Gewerbegebiet vor den Toren der Stadt wirkt dann genauso anonym und beliebig wie in Deutschland.

Der 51-jährige Clören ist Geschäftsführer des Röhrenproduzenten Mannesmann Robur, einer Tochter der Salzgitter AG. An diesem Morgen sieht er sich erst einmal in der Werkshalle um. Alle, die hier arbeiten, tragen Ohrenschützer gegen den Maschinenlärm. Wenn man miteinander redet, muss man ziemlich schreien. Der Umgangston ist folglich laut - aber auch herzlich. Alle duzen den Chef, der ähnlich leger gekleidet ist wie die anderen. Anfangs musste er sich daran erst mal gewöhnen. "Es ist hier alles viel weniger hierarchisch", erzählt er. "Da hatte ich anfangs schon Probleme mit. Ich war daran gewöhnt, den Leuten zu sagen, wie's läuft, aber hier muss man viel mehr überzeugen, und wenn man das nicht kann, hat man keinen Erfolg."

Ohne Kaffee geht es nicht

Nie wird Clören seinen ersten Rundgang durch den Betrieb vergessen: "Die Leute haben mich alle sofort völlig unbefangen angesprochen und geduzt. Daran habe ich mich bis heute noch nicht ganz gewöhnt, da bin ich immer noch sehr deutsch." Dafür trägt er jetzt keine Krawatte mehr: "Nach zwei Jahren habe ich festgestellt, dass ich der einzige bin."

Und noch etwas hat er gelernt: "Wenn man sich mit jemandem zusammensetzt - und sei es noch so kurz - muss immer ein kopje koffie auf den Tisch. Ohne Kaffee geht es einfach nicht." Was auch nie auf dem Schreibtisch fehlt, ist das deutsch-niederländische Wörterbuch. Viele kommen in der Grenzregion allerdings auch mit ihrem Dialekt weiter. Den rheinischen Singsang etwa gibt es auch im Platt der südniederländischen Provinz Limburg.

Zwei Jahre Krankengeld

Außer dem Chef arbeiten noch sieben andere Deutsche bei Robur, das insgesamt etwa hundert Leute beschäftigt. Ingo Janser (29) und José Antonio Amador Cavaco (40) vom Niederrhein bedienen die Maschinen in der Montagehalle. Vorbehalte gegen Deutsche haben sie noch nie kennengelernt. "Das Betriebsklima ist super hier", sagt Janser. "Hier wird viel mehr gefeiert, hier gibt’s Tennis-, Fußball- und sogar Angelturniere. Wir spielen regelmäßig im Oranje-Trikot." Dass so viel Wert auf ein gutes Betriebsklima und sportlichen Ausgleich gelegt wird, hat unter anderem damit zu tun, dass niederländische Unternehmen bis zu zwei Jahre lang Krankengeld zahlen müssen. Damit will der Gesetzgeber sie dazu zwingen, besser auf die Gesundheit der Arbeitnehmer zu achten. Ein Burnout kann teuer werden.

Der Zustrom deutscher Arbeitskräfte in die niederländische Grenzregion begann Ende der 90er Jahre, als die wirtschaftliche Lage im Nachbarland deutlich besser war als in Deutschland. Damals stieg die Zahl der neu geschaffenen Stellen in den Niederlanden zehnmal schneller als im EU-Durchschnitt. Aber auch jetzt, da die Wirtschaft in Deutschland ebenfalls auf Hochtouren läuft, nimmt die Zahl der Grenzgänger noch zu. "Der Stundenlohn ist in den Niederlanden zwar teilweise niedriger, aber da die Abgaben geringer sind, bleibt unter dem Strich oft mehr übrig", erläutert Wilfried Kullmann von der Agentur für Arbeit in Emmerich. Es gibt auch keine 400-Euro-Jobs, dafür aber einen Mindestlohn. Die Niederländer wiederum schätzen an den Deutschen die oft bessere Ausbildung. Dazu kommen laut Kullmann "ureigenste deutsche Tugenden wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und hohe Motivation".

Niedriger Stundenlohn aber auch niedrige Abgaben

Das Büro startpeople in Venlo - das seine Arbeitsplätze im Schaufenster anpreist - hat sich sogar auf die Vermittlung von Deutschen spezialisiert. Inzwischen bewerben sich etwa 100 Deutsche pro Woche, wovon im Schnitt 60 untergebracht werden können. Während 2004 noch etwa 80 Arbeitssuchende pro Monat über die Grenze vermittelt wurden, sind es mittlerweile schon 235. Beim Lastwagenhersteller DAF in Eindhoven sind zehn Prozent der Beschäftigten Deutsche. Die weitaus meisten kommen aus Nordrhein-Westfalen, wo Aachen und Maastricht oder Kleve und Nimwegen Nachbarstädte sind, und das westliche Ruhrgebiet seit jeher zum Wochenendeinkauf nach Venlo fährt.

"Am Anfang glaubten die Unternehmen noch, sie müssten nur einen vorübergehenden Engpass überbrücken", sagt Lambert Weijs von startpeople. "Inzwischen wissen sie, dass die Deutschen auf Dauer da sind." Einige investieren mittlerweile in Sprachkurse anstatt darauf zu setzen, dass die Deutschen schon selbst irgendwie Niederländisch lernen oder die niederländischen Kollegen alle Deutsch sprechen.

Gefragt: Kreativität und Eigenständigkeit

"Der größte Unterschied ist aber, dass in Holland mehr Kreativität und Eigenständigkeit gefragt ist", sagt Weijs. "Wenn es irgendwo nicht klappt, dann wegen mangelnder Eigeninitiative. Manchmal kommt es auch vor, dass jemand denkt: "Hier ist alles so locker, da wird nicht groß was erwartet." Aber das ist natürlich ein Irrtum." Vorbehalte gegen Deutsche sind laut Weijs verschwunden: "Als ich Ende der 90er Jahre anfing, war das hin und wieder noch ein Thema, aber heute ist das vorbei. Deutschland ist mittlerweile das beliebteste Urlaubsland der Niederländer." Und die Zahl der Niederländer, die zur Arbeit nach Deutschland pendeln, liegt bei etwa 14.000.

Sogar Ingenieure, die in Deutschland doch händeringend gesucht werden, wandern mittlerweile manchmal über die Grenze. Stefan Schroeder wohnt in Heinsberg und arbeitet in Wijchen nahe Nimwegen bei Nooteboom, einem Hersteller von Lastwagenauflegern. Er sitzt jeden Tag zweieinhalb Stunden im Auto. "Aber das lohnt sich, weil mein Aufgabenfeld hier vielfältiger ist", sagt er, während er sich in der Kantine eine "Frikandel speciaal", einen typisch holländischen Imbiss, bestellt; das vermittelt ihm immer noch ein bisschen Urlaubsgefühl, weil er die Frikandeln früher immer am Strand gegessen hat. Aus den Lautsprechern erklingt Herman van Veen, zwei Kollegen plaudern über die holländische Fußball-Liga.

Arbeiten, aber stressfrei

In der Werkshalle hängt eine Oranje-Flagge mit dem niederländischen Löwen, wie sie immer im Fußballstadion geschwenkt wird. Aber selbst bei einem Länderspiel Deutschland-Niederlande gibt es in der Belegschaft keine Probleme mehr, wie beide Seiten versichern. Kerstin Heiber (25) aus Kevelaer, die neben einem Bodybuilder die schweren Maschinen bedient, will nie mehr nach Deutschland wechseln: "Hier wird die Arbeit auch gemacht", sagt sie, "aber stressfreier."

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Christoph Driessen/DPA

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