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E-MAIL AUS NEW YORK Die Meister des Smalltalks

Auf dem Gebiet des Smalltalks sind die Amerikaner unbesiegbare Champions. Ihnen fällt es leicht, wildfremde Menschen anzusprechen.

»Hi, my name is Scott. I am with Ridgestone Capital.« »Ja, und?!« denke ich. »Nice meeting you, Scott«, höre ich mich jedoch sagen,» my name is Emma...« Und schon sind wir in dem schönsten Smalltalk verfangen, wie ihn nur die Amerikaner so wirklich beherrschen.

Vor ein paar Tagen fand hier in New York die große Technologie-Konferenz statt, gesponsort von einer bekannten Investmentbank.

»Komm' unbedingt ein bisschen früher«, sagte ein Freund von mir noch einen Tag zuvor. »Dann hast du genügend Zeit zum ?Minglen'.« Ich sollte mich also ein wenig unter die Leute mischen. Das bedeutet ?minglen' nämlich. Das berühmte sich vorstellen, lächeln, interessiert dreinschauen, Visitenkarten verteilen und nebenbei wertvolle Kontakte knüpfen.

Das sei sowieso der einzige Zweck solcher Veranstaltungen, klärte mich mein Begleiter vorher auf. Wahrscheinlich war ihm nicht bewusst, dass mir ?minglen', Smalltalk und dieses ganze Socializing nicht in die Wiege gelegt worden ist. Auf diesem Gebiet sind die Amerikaner meiner Meinung nach unbesiegbare Champions. Ihnen fällt es einfach leicht, wildfremde Menschen anzusprechen und sich in kürzester Zeit über Gott und die Welt, oder auch über ganz gezielte Themen zu unterhalten. Ich beneide sie darum, denn ich bin da anders. Ich kann so was nicht. Ich komme mir während des ganzen ?Prozesses' einfach unheimlich doof vor, so als ob ich in einer schäbigen Vorabend-Serie die falsche Rolle erwischt hätte.

Es läuft also folgendermaßen ab: Ich gehe auf mein Opfer zu und stelle mich vor. Und dann? Woher weiß ich, ob derjenige, den ich mir willkürlich ausgesucht habe, sich auch mit mir unterhalten will? Was ist, wenn ich ihn überhaupt kein Stück interessiere? Wie wird man ungebetene Gesprächspartner wieder los? Aus eigener Erfahrung kenne ich mein Verhalten in solchen Situationen: Ich schalte einfach ab, meine Mimik erfriert zu einem monotonen Lächeln und alles, was man von mir hört, ist »oh, yeah?!«

Nun ist der Amerikaner an sich ja sehr höflich. Also würde man zum Beispiel nie ins Gesicht gesagt bekommen »I don't want to talk to you.« Aber genau das macht es eben auch schwierig, denn es gilt, zwischen den Worten zu lesen. Zu erkennen, wann eine gewisse Bemerkung so gemeint war, dass das Gegenüber keine genaueren Details wissen will, ist insbesondere in einer Fremdsprache nicht leicht. Wahrscheinlich war das einer der Gründe, weshalb ich mich so unwohl fühlte. Kurzum, das Zu-früh-Kommen war eindeutig ein Fehler.

Nachdem ich schließlich zum fünften Mal meine Vorstellung heruntergeleiert hatte, zum fünften Mal Interesse vorgetäuscht hatte, zum fünften Mal meine Kärtchen gezückt hatte, verdrückte ich mich schließlich in Richtung Buffet. Hier gab es zumindest lecker aussehende dicke Käsestücke. Und ich war nicht mehr verpflichtet zu lächeln, sondern tat es aus Vorfreude ganz von alleine. Ein gutes Stück Gouda und ein Glas Rotwein und die ganze Veranstaltung fing an, mir zu gefallen. Überrascht stellte ich nur fest, dass ich nahezu die einzige war, die sich an der Futterquelle zu schaffen machte.

Der Rest der Konferenz verlief durchaus interessant. Jedoch war meine größte Erkenntnis des Abends, dass ich im Smalltalk noch viel von den Amerikanern lernen kann.

Fortsetzung folgt ...

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