Job-Beratung Ein Mann im Lockdown - wie Herr K. mit Homeoffice-Stress und Ehekrise kämpft

Von Reinhild Fürstenberg
Job-Beratung: Ein Mann im Lockdown - wie Herr K. mit Homeoffice-Stress und Ehekrise kämpft
© Getty Images
Im Homeoffice hält Herr K. es kaum aus. Er hat Existenzängste und Stress mit Frau und Kindern. Was kann er tun, um nicht durchzudrehen und die Situation zu meistern?

Vor mir sitzt Herr K.* Eigentlich weiß er nicht so ganz, ob er bei mir richtig ist. Ich kann ihm doch eh nicht helfen… Oder kann ich einen Job zaubern? Geld? Eine größere Wohnung? Kann ich den erneuten Lockdown verhindern? Wohl kaum. Ich sehe Resignation und Hoffnungslosigkeit – und einen Mann, der gerade keine Lösungsstrategien und damit auch keine Perspektive mehr für sich sieht.

Herr K. war bereits im Frühjahr einige Monate im Homeoffice in Kurzarbeit, seit zwei Monaten aber nun wieder zu normalen Arbeitszeiten im Unternehmen – endlich! Zu Hause ist Herrn K. die Decke auf den Kopf gefallen: In der kleinen Wohnung konnte er nicht richtig arbeiten, immer wollte eines seiner noch kleinen Kinder etwas von ihm – und mit seiner Frau hat es noch nie so viel gekracht wie in dieser Zeit: Frau K. wurde als Teilzeitkraft in einem Restaurant gekündigt. Ein neuer Job sollte nun endlich beginnen, wurde ihr aber auf Grund der aktuellen Entwicklung wieder abgesagt. Auch Herr K. befürchtet nun, wieder in die Kurzarbeit zu rutschen. Wie er seine Familie von 67 Prozent Kurzarbeitergeld ernähren soll, weiß er nicht.

Nicht nur die existenziellen Sorgen haben die Spannungen auf Paarebene so aggressiv werden lassen, dass Herr K. das Gefühl hat, diese Corona-Zeit kann seine Ehe zerstören. So eine Krise hatte er noch nie! Welche Gefühle es bei ihm auslöst, möchte ich wissen? Ohnmacht, Verzweiflung, Frustration, Hilflosigkeit … und sehr viel Angst, existenziell.

Reinhild Fürstenberg
Reinhild Fürstenberg ist Gesundheitswissenschaftlerin, systemische Beraterin und Familientherapeutin
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Auch körperlich geht es ihm nicht mehr gut: Herr K. leidet unter quälender Antriebslosigkeit bei gleichzeitiger innerer Unruhe. Er kann nicht mehr schlafen, sein Herz schlägt ihm manchmal wörtlich bis zum Hals, er ist aggressiv und dünnhäutig. Er erkennt sich selbst nicht wieder.

Corona bedroht zentrale menschliche Bedürfnisse

Die Geschichte von Herrn K. ist leider kein Einzelfall mehr in meinen Beratungen. Corona bedroht zentrale menschliche Bedürfnisse wie Sicherheit, Selbstbestimmtheit, Planbarkeit, Kontrolle, Freiheit, Struktur und Zugehörigkeit. Häusliche Isolation mit Kontaktbeschränkungen und Quarantäne sind Ausnahmesituationen, die viele noch nie erlebt haben – und nun passiert es schon wieder.

Und so macht uns diese Zeit ohnmächtig und passiv. Und Corona macht Angst. Viel Angst! Und Angst lähmt. Angst reduziert den Blickwinkel, verschmälert ihn bis zu einem kleinen Guckloch – auf das Worst-Case-Szenario. Angst lässt uns erstarren, als dritte Möglichkeit, die unser Überlebenshirn für uns vorgesehen hat.

Ich erkläre Herrn K., was ich meine: Zunächst setzt Angst eine Stressreaktion in Gang, die unser System auf "Fight or Flight" einstellt: Wir haben mehr Kapazitäten, können mehr schaffen, und sind schneller in der Umsetzung. Hält dieser Zustand aber, zum Beispiel durch Corona, dauerhaft an, erschöpfen sich diese Möglichkeiten. Unser Urhirn hat das Gefühl, es wäre dauer-umringt von Gefahr und müsste aufgeben. Wir fallen in eine Art Starre: spürbar an der inneren Unruhe bei gleichzeitiger quälender Antriebslosigkeit.

"Dichte-Stress" im Lockdown

Bei einem Lockdown und der Unsicherheit, wie lange dieser wirklich dauern wird, kommen zu der existenziellen Angst – gesundheitlich wie finanziell – weitere Stressoren hinzu: Angst davor, in der dunklen Jahreszeit nun wieder auf engem Raum leben zu müssen. Keinen eigenen Raum zu haben, keine eigene Zeit, keine Freiheit: "Dichte-Stress" nennt die Wissenschaft dieses Phänomen.

In Familien hält ein Corona-Lockdown zudem die Lupe auf schwelende Konflikte und verschärft sie. Es fehlt an Lösungsansätzen, denn alte Krisenbewältigungsstrategien greifen meist nicht. Was Herr K. nun braucht, ist Stabilisierung und die Entwicklung von Wahlmöglichkeiten und Perspektiven, von Dingen, die er immer noch tun kann. Selbstwirksamkeit genannt. Hier setze ich an und lasse Herrn K. eine Timeline aufzeichnen, sozusagen seine Lebenslinie. Auf dieser Line soll er mir drei Krisen, die er in seinem Leben bereits bewältigt hat, einzeichnen und beschreiben, genauso wie drei große Erfolge, die er erreicht hat.

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Die restliche Zeit der Stunde lasse ich mir von Herrn K. erzählen, wie er diese vergangenen Krisen gemeistert und seine Erfolge erreicht hat. Genau genommen, welche Fähigkeiten ihm dabei geholfen haben. Dabei fällt auf, dass ihm vor allem seine Sturheit immer wieder geholfen hat, Lösungswege für seine Ziele zu finden und zu verfolgen. Zum Abschluss bitte ich Herrn K., aus allen Fähigkeiten, die ihm in den vergangenen Krisen und erreichten Erfolgen geholfen haben, diejenigen zu markieren, die ihm auch in der jetzigen Krise wieder helfen könnten. Herr K. markiert nicht nur seine Sturheit, sondern noch eine Fähigkeit: sich Hilfe zu holen und auch mal neue Wege zu gehen. Außerdem kann er sehr gut für sich selbst sorgen – ein schwieriges Elternhaus hatte ihn das schon früh lernen lassen.

Wege aus der Hilflosigkeit

Als Hausaufgabe bitte ich Herrn K., diese Fähigkeiten wieder lebendig werden zu lassen – auf sie kann er sich verlassen. Sie geben ihm Sicherheit. So kann er auch in der Corona-Zeit und im Lockdown etwas für sich tun. Die "neuen Wege" könnten individuell entwickelte Strategien sein, die ihn die neue Situation besser bewältigen lassen, wie zum Beispiel eine neue Sport-Routine oder ein wöchentliches "Koch-Duell" mit der Familie.

Aus dieser Kraft heraus könnte er gemeinsam mit seiner Frau überlegen, wie sie sich die Räumlichkeiten besser aufteilen, sodass jeder auch mal einen eigenen Raum hat. Und können manche Regeln in der Kindererziehung aktuell vielleicht pausieren? Einfach, um es sich leichter zu machen? Herr K. könnte auch ganz stur, als eine seiner Kernkompetenzen, eine neue Struktur in seinem Alltag verfolgen, mit festen Zeitkontingenten für sich, für die Arbeit und für die Familie – das gäbe ihm Planbarkeit.

All dies lässt Herrn K. aus der Hilflosigkeit und Resignation herausfinden und wieder selbstwirksam werden. Die Angst, rate ich ihm, ruhig da sein zu lassen: Sie will ihn ja nur schützen. Aber vielleicht könnte er der Angst ja seine wiedergewonnene Sicherheit an die Seite stellen? Wir verabreden uns für eine weitere Stunde. Dann wollen wir uns die Paar-Ebene vornehmen: Mehr Augenhöhe, mehr Ich-Zeit für jeden, mehr Frei-Räume, im Innen und Außen. Und wieder mehr Be-Ziehung statt Er-Ziehung. 

Hier sind 10 Tipps für die Corona-Zeit für Sie:

  1. Wenn es zu Isolationszeiten kommt: Gestalten Sie diese Zeit möglichst aktiv! Machen Sie sie trotz allem zu Ihrer. So werden Gefühle der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins maßgeblich reduziert.
  2. Haben Sie ihr "Why" im Blick: Den Grund, warum sie die Maßnahmen gut finden könnten.
  3. Besinnen Sie sich auf Ihre ganz individuellen Fähigkeiten: Die Krise mag neu sein, ist jedoch nicht die erste im Leben. Sie haben sich mit jeder Krise zuvor längst auf die aktuelle vorbereitet. Unser System ist darauf angelegt, zu überleben, Krisen zu bewältigen.
  4. Betreiben Sie aktiv Selbstfürsorge: Tun Sie, was Ihnen schon immer guttat und achten Sie auf sich: Gesunde Ernährung, Heim-Sport mit Hilfe von Online-Trainings und eine gute Schlafhygiene helfen, um das Gefühl zu haben, etwas "getan" zu haben. Es hält Sie darüber hinaus gesund und dient dem Abbau des emotionalen Stresses.
  5. Behalten Sie Routinen wenn möglich bei – und entwickeln Sie individuelle neue.
  6. Setzen Sie sich Termine: für Aufstehen, Mahlzeiten, Sport oder Telefonate mit Freunden. Halten Sie soziale Kontakte aufrecht!
  7. Gehen Sie – bei Bedarf mit Unterstützung – raus aus dem Widerstand: Finden Sie eine annehmende Haltung gegenüber den Tatsachen, die Sie nicht ändern können und fokussieren Sie Ihre Energie statt dessen auf Dinge, die Sie für sich zum Besseren wandeln können.
  8. Übernehmen Sie Verantwortung! Helfen Sie, wo Sie helfen können, beruhigen Sie und sprechen Sie sich und anderen Mut zu. Es gibt Ihnen eine wertvolle Aufgabe und tatsächlich hört Ihre Seele mit…
  9. Halten Sie unbedingt die Augen auf, wenn Ihnen Kinder in Ihrem Umfeld seltsam verändert vorkommen oder eine Frau in Not scheint – fragen Sie unbedingt nach, bieten Sie Hilfe an.
  10. Und zögern Sie nicht, sich bei Bedarf Hilfe zu holen. Wenn zum Beispiel Angst oder Niedergestimmtheit unaushaltbar werden, wenden Sie sich an das Patiententelefon der kassenärztlichen Vereinigung (116117) oder die Telefonseelsorge (0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222). Sollten Sie akute Suizidgedanken haben, nehmen Sie sofort Kontakt mit dem Notdienst Ihrer örtlichen psychiatrischen Klinik oder dem Rettungsdienst (112) auf.

*Anonymisiertes Fallbeispiel aus der Beratungspraxis des Fürstenberg Instituts. Der Fall wurde mit dem Einverständnis des Betroffenen anonymisiert

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