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Reinhild Fürstenberg Der Kollege hat ein Alkoholproblem. So reagieren Sie richtig

Alkoholkrank im Büro
Wie kann man einem alkoholkranken Mitarbeiter sinnvoll helfen?
© Getty Images
Mitarbeiter L. hat ein Alkoholproblem und es wird immer schlimmer. Chef und Kollegen wollen ihm helfen - doch intuitiv tun sie genau das Falsche. Beraterin Reinhild Fürstenberg erklärt, was wirklich hilft.

Herr S. (52) weiß nicht mehr weiter. Seit über 15 Jahren ist er in seinem Unternehmen, seit über zwölf Jahren in leitender Position. Sein Team ist klein, gut eingespielt und fast freundschaftlich verbunden. Er konnte sich immer auf "seine Leute" verlassen. Nun beobachtet er aber bei Herrn L., ein sonst zuverlässiger und beliebter Mitarbeiter und Kollege, auffällige Veränderungen: In den vergangenen Monaten fehlte Herr L. immer wieder an Montagen. Meist entschuldigte ihn dann seine Frau wegen verschiedener Kurzerkrankungen.

Beschwerden von Kund*innen und Kolleg*innen häuften sich und in den letzten Wochen rief er zwei Mal an und bat um Urlaub für den gleichen Tag. Herr L. wurde immer unzuverlässiger, seine Projekte blieben liegen. Auch im Büro war die Wesensveränderung von Herrn L. für alle offensichtlich: Er wirkte gereizter und nervöser als früher, neigte in Gesprächen zu Aggression. Statt wie früher bei Teamrunden aktiv mitzudiskutieren, zog er sich zurück.

Reinhild Fürstenberg
Reinhild Fürstenberg ist Gesundheitswissenschaftlerin, systemische Beraterin und Familientherapeutin. Das von ihr geleitete Fürstenberg Institut aus Hamburg berät Unternehmen, Führungskräfte und Mitarbeiter, wie sie psychische Belastungen reduzieren, Veränderungen gesund gestalten und die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben verbessern können. Für den stern berichtet die Expertin in loser Folge von Fällen aus ihrer Beratung - und erklärt, was wir daraus lernen können. 
© Verena Reinke

Mit Alkoholfahne im Büro

Herr S. wollte seiner Verantwortung als Chef nachkommen und hat mehrfach versucht, mit Herrn L. ins Gespräch zu gehen und ihm Unterstützung anzubieten. Immer  wieder hatten sie sich zusammengesetzt. Dabei erfuhr Herr S. von Schwierigkeiten in der Ehe von Herrn L.

Um Herrn L. zu entlasten, entschloss sich der Chef, die wichtigsten Projekte auf mehrere Schultern zu verteilen, bis die akute Ehekrise abgemildert sein würde. Dabei hatten die Kolleg*innen Herrn L. in letzter Zeit schon verschiedene Arbeiten abgenommen, um ihn zu schonen.

Gegenüber Kund*innen und Kolleg*innen nahm er Herrn L. in Schutz. Immerhin hatte es viele Jahre gut geklappt und einen Durchhänger kann ja jeder mal haben… Besorgniserregend waren jedoch die Vorkommnisse in den letzten Wochen: Nach der Mittagspause, die Herr L. immer häufiger alleine verbrachte, fiel er mehrmals mit einer Alkoholfahne auf. Bei einer Betriebsfeier musste L. volltrunken nach Hause gefahren werden. Andere Kolleg*innen waren danach auf Herrn S. zugekommen, um über die Ausfälle des Kollegen zu sprechen. Aber ist er wirklich Alkoholiker? Herr S. entschließt sich zu einem Beratungsgespräch. Er möchte wissen, ob Herr L. alkoholkrank ist und wie er das am besten erkennen kann.

Was Chefs und Kollegen tun können

Nun sitzt sein Chef, Herr S., im Beratungsgespräch und sucht meine Hilfe. Ich erkläre ihm, dass es selbst für erfahrene Ärzt*innen und Therapeut*innen oft nicht einfach ist, die Frage nach der Alkoholsucht zu beantworten und dass es für Führungskräfte und Kolleg*innen keinesfalls darum gehen sollte, dies herauszufinden.

Ich erkenne jedoch im Verhalten von L. ein Muster. Der Verlauf der Alkoholauffälligkeit ist sehr typisch: Wenn jemand im Büro eine Fahne hat, ist davon auszugehen, dass diese Person schon länger zu Hause ein Thema mit Alkohol hat. Das kann auch Auslöser für die Ehekrise sein. Der Alkoholmissbrauch ist auf jeden Fall das Thema, das zuerst angegangen werden sollte. Nur so können auch die dahinterliegenden Probleme, wie die Streitigkeiten mit der Ehefrau, überhaupt gelöst werden. Führungskräfte und Kolleg*innen möchten Betroffene unterstützen, ihnen helfen und deren Not lindern – und verstärken damit unbewusst das Suchtproblem: Damit, dass sie dem Betroffenen Probleme und Projekte abnehmen, sorgen sie dafür, dass er in Ruhe weiter seinem Alkoholkonsum nachgehen kann. Es passiert ihm ja nichts.

Konfrontieren statt schonen

Was wirklich hilft, ist tatsächlich das Gegenteil: Die Not verstärken! Denn nur so merkt der Mitarbeiter, dass es so nicht mehr weitergehen kann und er etwas ändern muss. Zur Suchtkrankheit gehört eine Realitätsverzerrung: Die Betroffenen leugnen meist, dass sie getrunken haben und  machen andere für ihre Probleme verantwortlich. Durch eine Konfrontation mit der Realität, also das direkte Ansprechen der beobachteten Auffälligkeiten, kann eine Krankheitseinsicht herbei geführt werden.

Herrn S. fällt es sichtlich schwer, meinem Vorschlag zu folgen und seinen geschätzten Mitarbeiter hart anzugehen und ihn mit den Vorkommnissen zu konfrontieren. Hier hake ich ein: Es geht nicht darum, ihm zu schaden oder ihn fallen zu lassen. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wegsehen würde bedeuten, ihn mit seinen Problemen alleine zu lassen. Ich gebe Herrn S. als Orientierung ein "gestuftes Vorgehen" für den Dialog mit suchtauffälligen Mitarbeiter*innen an die Hand: Dabei handelt es sich um eine vorgegebene Struktur von vier Gesprächen, die stufenweise den Druck auf den Mitarbeiter erhöhen, seiner Sucht aktiv entgegenzuwirken, um seine Arbeitsleistung und seine Arbeitskraft zu erhalten.

Homeoffice

Im Rahmen der Gespräche, zu denen Betriebsrat und Personalabteilung dazugezogen werden sollten, werden daher auch eventuell folgende arbeitsrechtliche Konsequenzen wie Abmahnung und Entlassung angekündigt. Ziel ist immer, den Mitarbeiter zu motivieren, das Suchtverhalten zu erkennen und etwas gegen die Suchtproblematik zu tun.

Für die Führungskraft ist diese konsequente Vorgehensweise oft ungewohnt. Die festgelegte Struktur hilft jedoch, Person und Sache zu trennen und den Fokus von dem (für eine Führungskraft unmöglichen) Nachweis der Sucht auf die unzureichende Arbeitsleistung zu verschieben.

Herr S. ist nach unserem Gespräch sichtlich erleichtert! Er braucht nicht mehr herausfinden, ob Herr S. Alkoholiker ist oder nicht. Er hat jetzt eine klare Struktur an der Hand, weiß, wie er vorgehen kann und wie er seinem geschätzten Mitarbeiter helfen kann: Indem er ihm nicht mehr "hilft"! Eine ziemlich seltsame Erkenntnis, wie er findet, aber nun doch sehr nachvollziehbar. Ihm ist eine Last von den Schultern genommen. Herr S. entscheidet sich dafür, keine Aufgaben von Herrn L. mehr an die Kolleg*innen zu delegieren und ermutigt sie, direkt auf Herrn L. zuzugehen, wenn ihnen etwas an ihm auffällt.

Hier meine Tipps für Sie:

  • Holen Sie sich Hilfe! Arbeitsrechtlich und auch in der Führung insgesamt ist der sinnvolle Umgang mit Suchterkrankten anders als bei allen anderen Erkrankungen.
  • Versuchen Sie als Führungskraft nicht, eine Alkoholsucht nachzuweisen. Fokussieren Sie sich auf die nicht erfüllten Arbeitsanforderungen und verweisen Sie auf externe Hilfsangebote.
  • Vermeiden Sie "gute Ratschläge" und halten Sie sich im Prozess an das "gestufte Vorgehen".
  • Nur durch Druck kann bei Suchterkrankten eine Einsicht zur Veränderung erzeugt werden.
  • Machen Sie sich klar, dass Hilfe im Sinne von "Not lindern" das Sucht-System stützt! Wenn Kolleg*innen Alkoholkonsum am Arbeitsplatz oder eine Fahne auffällt, sollten sie den Betroffenen offen ansprechen statt hinter seinem Rücken darüber zu tuscheln. Sie sollten ihm sagen, was sie beobachten, damit der Betroffene eine Chance erhält, das auch selber zu erkennen. Wenn sich nichts verändert, sollte der Vorgesetzte mit einbezogen werden.

Anonymisiertes Fallbeispiel aus der Beratungspraxis des Fürstenberg Instituts. Der Fall wurde mit dem Einverständnis des Betroffenen anonymisiert.

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