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F. Behrendt: Der Guru der Gelassenheit Meine 87-jährige Schwiegermutter und meine 11-jährige Tochter teilen ein Gefühl: Angst vor dem Krieg

In der Schule werden "Friedenssteine" bemalt
In der Schule werden "Friedenssteine" bemalt
© privat
Durch den Krieg in der Ukraine hat ein Gefühl in unsere Köpfe Einzug gehalten, das in dieser Form bei vielen lange nicht mehr da war. In der letzten Woche sprachen sowohl meine 87-jährige Schwiegermutter als auch meine 11-jährige Tochter davon, dass sie Angst haben. Vor dem Krieg, vor Putins Krieg.
Frank Behrendt

Meine Schwiegermutter wohnt seit Jahren gegenüber von unserer Familie. Sie liebt es, für ihre Enkelkinder zu kochen, geht trotz ihres hohen Alters zu Fuß froh gelaunt zum Strickkreis und hat Freude an unserem Hund. "Mehrgenerationenhaus über die Straße" nennen wir das Modell, das in Anbetracht des demographischen Wandels und des Pflegenotsands mit Sicherheit ein überlegenswertes Modell für die Zukunft ist.

Man sieht sich, man hilft sich. Oma bügelt meine Hemden – und zwar so unfassbar gut, wie sie keine Reinigung der Welt hinbekommen würde. Ich schleppe ihre Wasserkästen herbei – "Mit Prickelsprudel bitte", wie ich es jede Woche aufs Neue eingebläut bekomme. Win-Win. 

Frank Behrendt: Der Guru der Gelassenheit

Frank Behrendt (58) gehört zu den bekanntesten Kommunikationsberatern Deutschlands. Der Absolvent der Deutschen Journalistenschule war Top-Manager in der Musikindustrie, beim Fernsehen und in großen Agenturen. Sein Buch "Liebe dein Leben und NICHT deinen Job" avancierte direkt nach Veröffentlichung zum Wirtschafts-Bestseller. Die Deutsche Public Relations Gesellschaft zeichnete den Mann, der immer gute Laune hat, als "PR-Kopf des Jahres" aus. Weitere Infos: www.frankzdeluxe.de Direkter Dialog: frankzdeluxe@gmail.com

Traumatische Erinnerungen

Letzte Woche war Oma nicht mehr die Alte, sie wirkte bekümmert, machte sich Sorgen. Sie hatte am Anfang die Tagesschau geschaut, so wie seit Jahrzehnten um Punkt Acht. Das lässt sie inzwischen. Die Bilder vom Krieg haben ihr zugesetzt, sorgten für ein Flashback in ihre Kindheit. Die Sirenentöne beim Fliegeralarm hat sie nie vergessen. Die Einschlaggeräusche der tödlichen und zerstörerischen Fliegerbomben sind nie aus ihrem Erinnerungsspeicher gelöscht worden. Die Bilder von Flüchtenden erinnerten sie daran, wie ihre eigene Mutter mit ihr einst auf der Flucht war, weit weg vom Angriffsziel Köln.

Eine dunkle Zeit voller Entbehrungen und Ängste. Sie hat nie davon gesprochen, weil sie hoffte, dass diese Zeiten nie wieder kommen. Nun sind sie wieder näher gerückt. Es ist davon die Rede, dass "ein dritter Weltkrieg" verhindert werden müsse. "Atomschläge können nicht ausgeschlossen werden" heißt es mit Blick auf den scheinbar unkontrollierbaren Kriegsverbrecher Putin. "Ich habe Angst", sagte sie leise. Nicht um ihre eigene Person, vor allem um ihre drei Kinder und die Enkelkinder. Weil sie sich erinnert, wie furchtbar damals ihre eigenen Erlebnisse waren, möchte sie die allen ersparen.

Ihre jüngste Enkeltochter hat auch Angst. Sie hat nie Krieg erlebt, keine Gewalt, nichts Böses. Sie schlief ihr ganzes Leben sorglos und umringt von zahlreichen Kuscheltieren in ihrem Prinzessinnenbett ein. Ein Lächeln auf den Lippen, wenn wir Eltern sie in der Nacht noch einmal zudeckten. Jetzt bekamen wir elektronische Post von der Schulleitung, es sollte aufgepasst werden, dass die Kinder nicht zu viele verstörende Bilder im Netz anschauen. 

Die Menschen in den von Krieg und Gewalt betroffenen Gebieten in der Ukraine brauchen unsere Hilfe. Die Stiftung stern arbeitet mit Partnerorganisationen vor Ort zusammen, die von uns geprüft wurden. Wir leiten Ihre Spende ohne Abzug weiter. Über diesen Link kommen Sie direkt zu unserem Spendenformular.
Die Menschen in den von Krieg und Gewalt betroffenen Gebieten in der Ukraine brauchen unsere Hilfe. Die Stiftung stern arbeitet mit Partnerorganisationen vor Ort zusammen, die von uns geprüft wurden. Wir leiten Ihre Spende ohne Abzug weiter. Über diesen Link kommen Sie direkt zu unserem Spendenformular.

Krieg ist überall Thema

Leichter gesagt bei einem Krieg, der auch digital ausgetragen wird und eigentlich in allen Medien rund um die Uhr stattfindet. Auf dem Weg zur Schule auf den elektronischen Plakatwänden. In der Schule, weil dort Mitschüler:innen, die Verwandte in der Ukraine haben, plötzlich im Unterricht weinen und statt der Vermittlung von Mathematiklehrstoff eine gemeinsame Gesprächsrunde zur Aufarbeitung der Geschehnisse erfolgt. Im Kunstunterricht haben die Kinder Steine in den Farben der Ukraine bemalt. "Stop War" und "Peace" steht drauf.

Die Gespräche am Mittagstisch haben sich verändert, die Kinder nimmt das Kriegsthema mit, sie wollen darüber reden, aber auch etwas tun. Eine frühere Agenturmitarbeiterin hatte auf Facebook um ein paar Spielzeugspenden gebeten. Ihre Schwester gibt einer geflüchteten Familie mit ihren Kindern eine temporäre Unterkunft. Meine Kinder haben sofort Kuscheltiere, Spiele, einen Basketball und vieles mehr eingepackt. Dazu haben sie ihr Taschengeld investiert, um den Kindern, die mit nichts nach Deutschland kamen, LEGO-Bausätze im Supermarkt zu kaufen. Ein kleiner Tropfen Hilfe, aber es ist beeindruckend zu sehen, wie viele Menschen in diesen Wochen den Ankommenden eine helfende Hand reichen, sich aufmachen, um im Grenzgebiet einen Beitrag zu leisten oder Geld und Sachspenden bereitstellen.

Aber so gut die Hilfe ist, die Angst geht dadurch nicht weg. Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage befürchten fast zwei Drittel der Deutschen, die NATO könnte in den Krieg hineingezogen werden. Dieser Gedanke kreist in vielen Köpfen und löst ganz unterschiedliche Reaktionen aus. Manche bekommen Panik und Stress, andere verfallen in eine Art Hilflosigkeitsstarre. Viele, so wie meine Schwiegermutter, trauen sich kaum noch, die News auf dem Handy, der Zeitung oder im Fernsehen zu verfolgen.

Besonders trifft die Angst Menschen, die bereits durch ein früheres Trauma vorbelastet sind oder unter Depressionen leiden. "Ganz wichtig ist", so sagte mir ein befreundeter Psychologe, der auch in der Trauma-Therapie aktiv ist, "die ankommende Angst wirklich ernst zu nehmen und sie nicht einfach wegzureden." Gerade die ältere Generation reagiert verstärkt traumatisch auf die neuen Kriegsnachrichten, weil lange in die tiefste Tiefe der Erinnerungen verdrängte Eindrücke wieder ans Tageslicht kommen. 

Nicht in der Endlosschleife verlieren

Auch diejenigen, die den Zweiten Weltkrieg oder die anschließende Flucht selbst gar nicht miterlebt haben, können durch die Erzählungen von Eltern und Verwandten unter deren traumatischen Erlebnissen leiden. Inzwischen macht sogar das Phänomen "Doomscrolling" oder "Doomsurfing" die Runde. Die Begriffe stehen für das exzessive Konsumieren negativer Nachrichten im Internet. Der gesteigerte Konsum vornehmlich negativer Schlagzeilen kann nach Sicht vieler Expert:innen gesundheitliche Schäden der persönlichen Psyche hervorrufen. Auch mein Psychologenfreund rät dazu, öfter – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes – mal abzuschalten. Es genügt seiner Meinung nach auch, sich zum Beispiel zweimal am Tag zu informieren und die Meldungen nicht in der Endlosschleife zu konsumieren.

Wichtig ist auch, nicht nur im Umgang mit Kindern, sich mit anderen auszutauschen. Es ist immer hilfreich festzustellen, dass man mit seinen Sorgen nicht alleine ist und es anderen genauso geht. Isolation und Einsamkeit machen Menschen für Ängste empfänglicher, daher sollten auch die, die vermeintlich keine direkten Ansprechpartner in ihrem Umfeld finden, sich Unterstützung suchen. Eine unterstützenswerte Initiative, für die ich auch schon als Supporter tätig war, nennt sich "Redezeit für dich". Auf der Website www.virtualsupporttalks.de bieten Coaches kostenlos ein offenes Ohr und leisteten schon während der Lockdown-Phase in der Corona-Krise einen wertvollen Beitrag. "Die Angst geht nicht weg durch das miteinander reden", sagt mein kluger Psychologenfreund Bertold, "aber es lässt sich besser mit ihr umgehen." In diesem Sinne: Bleiben wir alle miteinander im Gespräch, hören zu und helfen. Mit Worten und mit Taten.

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