Neue Ausbildungschance Wo Konstantin sein Lehrgeld zahlt

  • von Mathias Rittgerott
Im Schwarzwald kehrt das Lehrgeld zurück. Die Firma Winkler bietet Jugendlichen eine Lehre an - und kassiert dafür rund 500 Euro. Die Industrie- und Handelskammer aber verwehrt der Ausbildung ihren Segen.

Konstantins Händedruck ist kaum zu spüren. In der Schule reichte es in Deutsch nur für eine Vier, obwohl er doch ein passables Deutsch lernte in den zwölf Jahren, seit er mit seinen Eltern von Kasachstan nach Deutschland kam. Zwei Jahre suchte der schüchterne Junge im Schwarzwald nach einer Lehrstelle als Elektriker. Als er eine Stelle hatte, verlor er die nach drei Monaten, weil sein Meister zwei Azubis eingestellt hatte, aber nur einen ausbilden konnte.

Auch Michelle wollte keiner. Die Schülerin lernte langsam, war extrem schreckhaft und menschenscheu, in der Schule wurde sie oft gehänselt. Sie besuchte nach der Hauptschule eine Fachschule für Pflegeberufe, hangelte sich von Praktikum zu Praktikum, in einer Arztpraxis, beim Rechtsanwalt, im Büro.

Jetzt hat Konstantin einen Ausbildungsplatz als Mechatroniker und Michelle lernt Bürokauffrau. Im grauen Arbeitsmantel steht der Zwanzigjährige an der Werkbank und dreht sorgfältig einen Gewindebohrer in eine Metallplatte. "Ich dachte schon: Alle in meiner Klasse lernen was, nur ich nicht", sagt er leise.

Fiktive Übungsfirma mit 5000 anderen vernetzt

Ein Stockwerk tiefer sitzt Michelle, 20, in der Einkaufsabteilung der "Schwarzwälder Kunsthandwerk GmbH", einer fiktiven Übungsfirma, die mit 5000 anderen fiktiven Ausbildungsfirmen vernetzt ist, am Schreibtisch. Gerade hat Michelle 67 Taschenrechner zum Stückpreis von acht Euro für ihre Firma bestellt. Zurzeit ist sie im Einkauf, danach kommt sie ins Personalwesen. "Ich bin glücklich, dass ich diese Stelle bekommen habe", sagt sie.

Konstantin und Michelle bekommen von ihrem Arbeitgeber keinen Cent. Im Gegenteil: Sie müssen bis zu 500 Euro im Monat Lehrgeld bezahlen. Die beiden lernen bei der Firma Winkler in Villingen-Schwenningen. Mit vier weiteren Jugendlichen sind sie die ersten "Selbstzahler".

Seit 1970 lebt die "Ausbildungs-GmbH", die in einem modernen Büro- und Werkstattgebäude zwischen den Schwarzwaldstädtchen Villingen und Schwenningen sitzt, von Weiterbildung. Jetzt wagt sich Winkler an ein Tabu: Berufsausbildung gegen Bares. Zwölf Kurse in soliden Handwerks- und Dienstleistungsberufen wie Tischler, Mechatroniker, IT- Spezialist oder Technischer Zeichner, für die sonst eine Ausbildungsvergütung bezahlt wird, hat Winkler im Angebot.

"Wir sind keine Abzocker", stellt Eckhard Salowsky, 47, klar. "Wenn Eltern bereit sind, für eine Ausbildung zu zahlen, warum nicht?" Der verbindlich lächelnde Geschäftsführer will sein Programm als "zusätzliches Angebot" für Jugendliche verstanden wissen, die keine Lehrstelle finden. Weil die im Schwarzwald auch nicht besonders dicht gesät sind und nicht jeder bereit ist, hundert Kilometer nach Karlsruhe oder Stuttgart zu fahren. Und weil sich manche einfach zu schlecht verkauften. "Die haben persönliche Probleme oder sind zu schüchtern und gehen im Heer der Bewerber unter." Ihnen bleibt nur die übliche Warteschleife wie ein Berufsvorbereitungsjahr, "wo die Motivation zum Teufel geht".

Michelles Eltern, ein Lehrer und eine Arzthelferin, fanden die Idee schlicht "genial" und nennen die Offerte einen "Glücksfall". Für die zwanzigjährige Michelle "war es die letzte Chance, einen Beruf zu erlernen", sagt ihre Mutter Sylvia: "Wir sind gern bereit, für ihre Ausbildung zu bezahlen. Auch wenn 425 Euro viel Geld sind".

Kein Druck, wie in anderen Betrieben

Ihre Tochter profitiere zudem vom "geschützten Raum" bei Winkler: Sie wird ausgebildet und spüre dabei nicht den Druck, wie er in anderen Betrieben herrscht. "So gewinnt sie an Selbstvertrauen", sagt die Mutter über die Tochter: "Und kann hoffentlich mal in einen normalen Betrieb arbeiten."

Konstantins Eltern, Aussiedler aus Kasachstan, haben mehr Mühe, das Lehrgeld von 500 Euro pro Monat zu bezahlen. "Unser Erspartes ist nach einem halben Jahr aufgebraucht", sagt Mutter Olga, 48, eine gelernte Krankenschwester, die einen Halbtagsjob als Arbeiterin hat. Mit ihrem Einkommen und dem Lohn ihres Mannes Leo, 49, Maschinenbediener, kann die Familie keine großen Sprünge machen. Wie sie die 500 Euro künftig aufbringen soll, ist offen. Schließlich muss auch Konstantins Schwester von den Eltern gesponsert werden, weil sie noch studiert. Konstantin hat einen Antrag auf Bafög gestellt, und überlegt, einen Nebenjob anzunehmen. "Wir hoffen, dass Konstantin weiter lernen kann. Es ist ja seine Zukunft", sagt Olga bang.

"Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil meine Eltern für mich zahlen müssen", gesteht Konstantin. "Ungerecht", findet es seine Mutter, dass ihr Sohn nichts verdient. Aber sie hätten keine Alternative. Jetzt wird der Junge nicht nur ausgebildet, sondern bekommt auch Nachhilfe in Deutsch. "In anderen Betrieben kann sich ein Meister ja schlecht hinsetzen, und mit dem Azubi Grammatik lernen", sagt Salowsky.

Droht die Wiederkehr des Lehrgeldes? "Hirngespinste", sagt Geschäftsführer Salowsky, "die Unternehmen sind immer noch in der Verantwortung, auszubilden." Kritik kommt von der örtlichen Industrie- und Handelskammer (IHK). "Das ist keine Ausbildung", sagte Hauptgeschäftsführer Thomas Albiez, "sondern eine Qualifizierungsmaßnahme."

Das Berufsbildungsgesetz schreibe einen Lohn für Lehrlinge vor. Deshalb könne ihnen niemand garantieren, dass sie am Ende eine Prüfung bei der IHK ablegen dürfen. Salowsky ist sauer. Die IHK müsse die Prüfung abnehmen, wenn die Inhalte der Ausbildung stimmen. "Aber wir haben da eine Rechtsunsicherheit", räumt er ein.

Salowsky hält die Aufregung für übertrieben

Der Erfinder der Bezahl-Ausbildung hält die Aufregung für übertrieben."Ein normaler Ausbildungsplatz ist immer erste Wahle, sagt Salowsky. Und überhaupt will er seine "Selbstzahler" am liebsten vorzeitig entlassen. "Bewerbt Euch!", fordert er sie auf. Dabei hilft er ihnen mit seinen Kontakten zu Firmen.

Bei der zwanzigjährigen Mareike haben die Anstrengungen schon Früchte getragen. Ab dem zweiten Ausbildungsjahr wird sie im Rathaus von Villingen-Schwenningen ihre Ausbildung zur Bürokauffrau fortsetzen. "Ich hatte mich unendlich oft beworben. 50 Mal bestimmt. Jetzt hat's geklappt mit einem echten Ausbildungsplatz", sagt sie glücklich. Sie freut sich auf das erste Lehrlingsgehalt. "Das spare ich, für meine Wohnung."

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