Verdi-Streik Die Bürger als Druckmittel

  • von Karin Spitra
Stinkende Müllberge, ungeräumte Straßen, geschlossene Kitas und versperrte Ämter: ein Streik im öffentlichen Dienst hat direkte Auswirkungen auf die Bürger. Noch merkt man nichts von diesen Folgen - noch.

Wenn diese Woche die Müllabfuhr durch die Hamburger Straßen fährt, dann findet sie proppevolle Abfallkübel vor. Die stolzen Hanseaten stopfen vorsichtshalber ihre Mülleimer voll, denn es könnte das letzte Mal im Februar sein, dass sie geleert werden. Längst hat der Streik im öffentlichen Dienst auf weitere Gebiete übergegriffen: Nach Baden-Württemberg, das Montag den Streikreigen eröffnete, legten Mittwoch auch im Saarland 1500 Landesbeschäftigte unbefristet ihre Arbeit nieder. Und Verdi-Chef Frank Bsirske setzte bei einer Pressekonferenz in Stuttgart noch eins drauf: Bei erfolgreicher Urabstimmung könnten auch in Hamburg und Niedersachsen ab Montag die kommunalen Betriebe und Verwaltungen bestreikt werden.

Das Wetter hilft

In den Kommunen Baden-Württembergs ist die Lage entspannt. Noch. "Die Folgen so eines Streiks werden erst nach etwa zwei Wochen sichtbar," bestätigt Karl Franz, Pressesprecher des baden-württembergischen Umweltministeriums. Aber auch das Wetter hilft: "So kann es noch lange dauern, bis es zum Beispiel beim Müll zu einer Geruchsbelästigung kommt," prophezeit Franz.

Darum geht es Verdi

Mit dem Arbeitskampf wehrt sich ver.di gegen die von den Arbeitgebern geforderte Verlängerung der Arbeitszeit von 38,5 auf 40 Stunden in der Woche. Eine längere Arbeitszeit würde außerdem indirekte Lohnkürzungen und Vernichtung von Stellen bedeuten. Es ist der größte Ausstand im öffentlichen Dienst seit 14 Jahren.

Solche Folgen sind von der Gewerkschaft halb gewünscht, halb gefürchtet. "Wir sind bei einem Streik natürlich auch auf die Solidarität der Bürger angewiesen," stellt Verdi-Pressesprecher Ralf Berchtold klar. So ist der Unmut der Bevölkerung ein kalkuliertes Druckmittel im Arbeitskampf, das allerdings auch nach hinten losgehen kann: Wenn das Verständnis für die Streik-Motive von den persönlichen Nachteilen aufgewogen wird.

Nofallpläne für die Kliniken

Um solche Gefühle gar nicht erst hochkochen zu lassen, hat die Gewerkschaft von sich aus Lösungen angeboten. Außerdem sind laut Berchtold durchaus Einzelregelungen mit den bestreikten Betrieben möglich. So wird trotz Streiks in den Landeskliniken auf eine reibungslose Notversorgung geachtet, indem Notfallpläne ausgearbeitet wurden. Für das Stuttgarter Klinikum wurde zum Beispiel ausgemacht, dass Notfälle sofort behandelt werden. "Und infektiöse Krankenhausabfälle werden trotz des Streiks ständig abtransportiert," versichert Berchtold.

Auch beim Hausmüll dürfte die Lage nicht so schlimm werden - zumindest in Baden-Württemberg nicht. "Im Land fallen jährlich 1,5 Millionen Tonnen Hausmüll an," erzählt Franz. "Davon werden in den Kommunen sowieso schon zwei Drittel von privaten Firmen entsorgt." Nur bei einem Drittel greift also der Streik im öffentlichen Dienst überhaupt, denn nur hier entsorgt noch eine städtische Müllabfuhr. Dauert der Streik lange, könnte Verdi also noch mehr Kommunen auf die Idee bringen, Aufgaben des öffentlichen Diensts an private Betreiber zu vergeben. Oder wie Franz meint: "Das ist kontraproduktiv. Verdi treibt so ungewollt die Privatisierung voran." Sicher das Letzte, was die Gewerkschaft will.

Eltern müssen Urlaub nehmen

Immerhin stoßen die Streiks nach Angaben des Fernsehsenders n-tv bei einer knappen Mehrheit der Deutschen auf Ablehnung. Auch die "Neue Presse" zitiert eine Umfrage, wonach 52 Prozent gegen Ausstände wie in Baden-Württemberg sind, nur 43 Prozent halten die Streiks für gerechtfertigt. Dennoch blieben laut Verdi im Südwesten erneut die Müllfahrzeuge in Stuttgart, Mannheim, Ulm, Karlsruhe und Freiburg in ihren Depots. Es waren auch vereinzelt Kliniken und wieder zahlreiche Verwaltungen und Kindertagesstätten betroffen. "Die Eltern müssen Urlaub nehmen, weil sie ihre Kinder nicht mehr in die Kitas bringen können," hat Franz beobachtet. Spätenstens da hilft dann auch kein Notfallplan mehr.

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