Projektionsbericht der Regierung Der deutsche Ökotraum ist so gut wie ausgeträumt

Autos stehen im Stau. Beim Klimaschutz ist der Verkehrssektor das größte Problem in Deutschland
Dauerstau auf Autobahn: Bis 2051 soll vor allem der Güterverkehr noch einmal um die Hälfte zulegen.
© IMAGO/Jöran Steinsiek
Eine neue Analyse im Auftrag der Bundesregierung deckt auf, dass Deutschland seine Klimaschutzziele wohl krachend verfehlen wird. Schuld daran ist vor allem der Verkehrssektor. Das Übel ist weitgehend hausgemacht. 

Es klingt wie Selbstgeißelung: Deutschland droht seine Klimaziele 2030 sowie 2045 krachend zu verfehlen. Diese Erkenntnis muss die Ampelkoalition nun öffentlich machen.

Sie steht im Projektionsbericht der Bundesregierung, den das Öko-Institut und das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ausgearbeitet haben. Das Papier wird gerade in den Ministerien abgestimmt und anschließend der EU-Kommission übermittelt. Projektionsberichte sollen den Stand der europäischen Klimaanstrengungen erfassen und werden künftig einmal im Jahr nach Brüssel geschickt.

Die Latte für den Klimaschutz in Deutschland hängt unerreichbar hoch 

Wirklich überraschend kommt die schlechte Nachricht nicht. Denn seit Jahren wird immer klarer, dass die Latte für den Klimaschutz, die im Wesentlichen noch die schwarz-rote Vorgängerregierung aufgelegt hat, in Deutschland unerreichbar hoch hängt. 2030 soll das Industrieland nur noch 440 Millionen Tonnen Klimagas ausstoßen – 65 Prozent weniger als 1990; 2045 soll sogar Klimaneutralität herrschen.

Der Weg dahin ist schon jetzt mühsam – und er wird immer mühsamer, da die Deutschen offenbar immer öko-müder werden, was auch der Stärke der AfD in Umfragen unterstreicht. Vor diesem Hintergrund kann niemand, der auch nur halbwegs mit dem deutschen Klimaschutz vertraut ist, annehmen, dass die Republik 2030 und 2045 die geplante ökologische Punktlandung hinlegt.

Die Versprechen der Ampelkoalition, es gebe noch sehr viele Klimaschutzmaßnahmen, die erst in der Zukunft greifen und die Lage verbessern, scheint kaum mehr als ein Hoffnungswert zu sein.

Größtes Problem: der Verkehrssektor

Das Scheitern ist zu großen Teilen hausgemacht. Und damit vorhersehbar. Vor allem der Verkehrssektor trägt Schuld daran, denn in ihm bleibt weitgehend immer alles beim Alten, dafür sorgen die etablierten politisch-ökonomischen Strukturen.

Laut dem Projektionsbericht werden die Bundesbürger 2030 rund 200 Millionen Tonnen mehr Klimagas verursachen als geplant – das ist ziemlich genau der Betrag, mit dem der Verkehrssektor seinen Klimaschutzvorgaben hinterherhinkt. Noch 2030, so heißt es im Projektionsbericht, wird er mindestens 187 Millionen Tonnen mehr Treibhausgas ausstoßen als er eigentlich darf.   

Bundesverkehrsminister Volker Wissing bewertet diese Erkenntnis mit einem Schulterzucken. Der FDP-Mann betrachtet es wie sein Schicksal, dass die Verkehrsleistung auf der Straße – gemessen am Vor-Corona-Jahr 2019 – bis 2051 noch einmal um 54 Prozent zunimmt. Das liege vor allem am Wachstum des Güterverkehrs, gegen das auch sein Ministerium kein wirksames Rezept aufweisen kann.

So werden noch mehr Lkw auf immer kaputteren Straßen, die noch mehr Staus und damit noch mehr Abgase verursachen, die Ökobilanz seines Ressorts weiter verschlechtern. Den Güterverkehr durch intelligente Logistikkonzepte stärker auf die Bahn zu bringen, scheitert nicht nur am Engagement Wissings, sondern auch an dem ebenfalls maroden und überlasteten Schienennetz.

Die E-Auto-Blamage der Politik

Wachsen wird aber auch der private Autoverkehr. Das wäre zu verkraften, wenn es mit der E-Mobilität in großen Schritten voranginge. Tut es aber nicht (mehr).

Ein Grund: Die Bundesregierung stiftet inzwischen mehr Verwirrung als Klarheit auf dem Weg in die Elektrifizierung. Eigentlich wollte sie bis 2030 mindestens 15 Millionen E-Autos auf die Straße bringen – laut Projektionsbericht werden es nun bestenfalls 8,2 Millionen sein. Derzeit sind in Deutschland gerade einmal rund eine Million Stromer unterwegs, und nur knapp 16 Prozent aller Neuzulassungen waren im ersten Halbjahr reine E-Fahrzeuge.

Die Zurückhaltung liegt nicht zuletzt an der inkonsequenten Förderpolitik. Vergangenes Jahr wurde der Umweltbonus für E-Autos drastisch von 6750 auf maximal 4500 Euro pro Fahrzeug gesenkt (kommendes Jahr: 3000 Euro). Zugleich hat Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) den Subventionstopf gedeckelt. Kein Verbraucher weiß genau, wann er leer ist und ob er dem Zuschuss noch erhält, wenn der neue Wagen nach langer Lieferzeit eintrifft.

Das erzeugt nicht gerade Kauflaune, zumal vor allem kleine Stromer teils doppelt so teuer sind wie vergleichbare Benziner. Dass die Gesamtkosten über die Haltezeit des E-Fahrzeugs etwa wegen Steuerbefreiung oder geringerer "Spritkosten" in der Regel deutlich niedriger sind als beim Verbrenner, ist bei der Bevölkerung noch nicht in voller Breite angekommen.

Völlig unzureichend ist auch noch die Ladeinfrastruktur vor allem in ländlichen Gebieten ausgebildet. Kritiker werfen der Ampel vor, am Ende lieber in Beton und Asphalt zu investieren als in Stromleitungen für ein üppiges Ladenetz.

Wann kommt der Billig-E-Wagen?

Schon die Vorgängerregierung hatte 2021 ein "Deutschlandnetz" mit Schnellladepunkten an 1100 Orten angekündigt, doch viel mehr als die Ankündigung gibt es bislang nicht. Erst Ende 2023 sollen die ersten Ladesäulen hochgezogen werden. Die ursprünglich versprochene, attraktive Preisdeckelung bei 44 Cent pro Kilowattstunde Fahrstrom wurde auch wieder kassiert.

Von Seiten der Ampel gibt es keine Signale, an der Förderpolitik für E-Autos etwas ändern zu wollen; es heißt, die Hersteller stünden nun in der Pflicht, die Preise zu senken. Da ist Wahres dran. Auf dem Weltmarkt gibt es nämlich viel zu wenig preiswerte E-Modelle, um eine schnelle, umfassende Verkehrswende herbeizuführen.

Vor allem die deutschen Hersteller stehen komplett blank da. VW hat derzeit keinen elektrischen "Volkswagen" unter 30.000 Euro im Programm, geschweige denn unter 25.000 Euro, was viele Experten als Preisobergrenze für das Entstehen eines Massenmarktes betrachten. Audi, Mercedes sind sowieso nur im Hochpreissegment unterwegs. Nicht einmal die Chinesen können wirklich preiswerte kleine Wagen liefern. Immerhin: Kommendes Jahr will Tesla einen Kleinwagen für unter 25.000 Euro auf den Markt bringen, VW frühestens 2025.

Generelles Tempolimit auf Autobahnen bleibt politisch tabu

Wer glaubt, das 49-Euro-Deutschlandticket, vom Staat mit drei Milliarden Euro gefördert, könne die Verkehrswende deutlich beschleunigen, wird vom Projektionsbericht eines Besseren belehrt. Es halte die Leute kaum davon ab, ein eigenes Auto zu kaufen, heißt es. Der Klimaeffekt liege bei deutlich unter einer Million Tonnen Einsparung im Jahr.

Kaum verständlich, warum viel einfachere Methoden, die Emissionen zu senken, immer wieder am Widerstand nicht zuletzt von Wissings FDP scheitern: Ein generelles Tempolimit von 120 km/h auf Autobahnen würde für mindestens 4,7 Millionen Tonnen weniger CO₂ pro Jahr sorgen. Doch obwohl sich selbst die Mehrheit der ADAC-Mitglieder inzwischen dafür ausspricht, ist ein Limit politisch nach wie vor tabu.

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