BRÜSSEL Griffen EU-Kommissare in die Kasse?

Brüsseler EU-Kommissare sollen jahrelang und ohne Rechtsgrundlage Gehaltsaufschläge erhalten haben. Die deutsche EU-Haushaltskommissarin Michaele Schreyer gerät in Erklärungsnot.

Brüsseler EU-Kommissare haben sich möglicherweise jahrelang Gehaltsaufschläge bezahlen lassen, ohne dass es dafür eine Rechtsgrundlage gab. Die Praxis, die die Kommission jetzt nach Kritik des Europäischen Rechnungshofes vorläufig gestoppt hat, war vor allem für Kommissare aus Großbritannien, Skandinavien und Frankreich von Vorteil. Mitverantwortlich ist die deutsche EU-Haushaltskommissarin Michaele Schreyer (Grüne). Die CSU-Europaabgeordnete Gabriele Stauner wirft ihr vor, dass die Kommission das Europäische Parlament »Jahr für Jahr in die Irre« geführt habe, indem fälschlich behauptet worden sei, diese zusätzlichen Zahlungen seien in den geltenden Regelungen für die Amtsbezüge der Mitglieder der Kommission vorgesehen.

Fetter Gehaltsaufschlag

Der neue Brüsseler Skandal dreht sich um den sogenannten Berichtigungskoeffizienten. Danach können sich EU-Beamte bis zu 35 Prozent ihres Nettogehaltes mit einem fetten Aufschlag auszahlen lassen. Immer dann, wenn die Funktionäre regelmäßige Ausgaben – etwa für Hypotheken oder den Unterhalt von Kindern - in ihrem Heimatland geltend machen können, zahlt ihnen die Kommission diese Summen mit einem je nach Land unterschiedlich hohen Kaufkraftausgleich aus: Für Zahlungen in Großbritannien beträgt der Aufschlag zur Zeit fette 64 Prozent, für Dänemark 33, für Finnland und Irland 22, für Frankreich 17,8 und für Schweden 16,6 Prozent. Bei Überweisungen nach Deutschland werden eher bescheidene fünf Prozent fällig.

»Privatsache« der Kommissare?

Während dieser Korrekturkoeffizient für Beamte in ihrem Statut rechtlich verankert ist, wird er in der Verordnung über die Kommissarsgehälter nirgends erwähnt. Trotzdem wandten die Brüsseler Politiker diese Regelung auch auf ihre - eigentlich ohnehin bereits sehr hohen - Grundgehälter zwischen 16.000 und 20.000 Euro an. Die deutschen EU-Kommissare Michaele Schreyer und Günter Verheugen (SPD) beteiligten sich daran nach Angaben ihrer Sprecher zwar nicht. Von den britischen EU-Kommissare Neil Kinnock und Chris Patten war eine derartige klare Antwort hingegen nicht zu erhalten. Beide wollten sich auf Anfrage von stern.de bisher nicht dazu äußern, ob sie selbst von den Extrazahlungen profitierten oder nicht. Dies sei »Privatsache« der Kommissare, sagte Kinnocks Sprecher zu stern.de. Immerhin könnte der Brite dank des Koeffizienten theoretisch bis zu etwa 3000 Euro pro Monat zusätzlich kassiert haben.

»Keine eindeutige Rechtsgrundlage«

Doch jetzt ist erst mal Schluß mit der fragwürdigen Praxis. Weil der Europäische Rechnungshof per Brief vom 17.Mai die Kommission warnte, dass »keine eindeutige Rechtsgrundlage« für diese finanziellen Vorteile bestehe, stoppten die Kommissare die Anwendung des Korrekturkoeffizienten mit Wirkung von Juli. Tatsächlich hätten sie nach Ansicht der CSU-Europaabgeordneten Gabriele Stauner bereits viel früher die Zusatzüberweisungen beenden müssen. Denn bereits 1998 fällte der Europäische Gerichtshof eine Entscheidung, wonach für jede Zahlung aus dem EU-Budget eine doppelte Rechtfertigung vonnöten sei: erstens einen Haushaltstitel, zweitens eine ausdrückliche Rechtsgrundlage.

Vorwürfe an Haushaltskommissarin Schreyer

Bisher hatte die Kommission gegenüber Parlament und EU-Ministerrat als gesetzliche Basis für die Zahlungen stets die Verordnung über die Kommissarsbezüge zitiert. Im Text dieser Regelung wird der Korrekturkoeffizient jedoch nirgends erwähnt. Insbesondere Budgetchefin Schreyer muß sich deshalb jetzt des Vorwurfs erwehren, unter ihrer Verantwortung seien die Abgeordneten falsch informiert. »Wir sind irregeführt worden«, beschwert sich Stauner. Zu diesem massiven Vorwurf wollte sich die grüne Politikerin bisher nicht äußern. Die CSU-Politikerin fordert die Kommissare jetzt außerdem auf, zu Unrecht erhaltene Gelder zurückzuzahlen. Auch zu dieser Forderung schweigen sich die Chefs der EU-Administration bisher vornehm aus.

Von Hans-Martin Tillack