Drohende Pleite So kann die EU Griechenland retten

Die jüngsten Staatsanleihen Griechenlands bedeuten nicht das Ende der Krise. Dennis Snower, Chef des Weltwirtschaftsinstituts, fordert die Einsetzung einer strengen Schuldenkommission. Im Interview mit stern.de erklärt Snower die Risiken einer griechischen Pleite für Deutschland.

Griechenland hat eine Staatsanleihe erfolgreich auf den Markt gebracht und damit fünf Milliarden Euro eingenommen. Ist die Pleite damit abgewendet?
Mit Sicherheit nicht. Die Zinsen, die gezahlt werden, sind sehr hoch, ungefähr zweimal so hoch wie die, die Deutschland zahlen würde. Und die Frage, wie die Schulden zurückgezahlt werden, ist noch immer offen.

Haben die angekündigten Sparmaßnahmen das Vertrauen der Investoren in Griechenland wieder gestärkt?
Nein, das große Kaufinteresse der Investoren zeigt, dass die Käufer darauf vertrauen, dass jemand Griechenlands Schulden bezahlen wird. Das heißt, der Markt ist zu dem Schluss gekommen, dass Griechenland im Falle einer Pleite geholfen werden würde. Zum Beispiel von der EU.

Zugleich wird aber berichtet, dass in den Finanzmärkten massiv auf eine Pleite Griechenlands gewettet wird. Was heißt das?
Wetten auf Pleiten werden immer abgeschlossen und zwar mit so genannten Credit Default Swaps. Diese sind eine Art Versicherung, die Anleger für den Fall abschließen, dass der Schuldner sein Geld nicht zurückzahlen kann. So etwas gibt es immer und dient vor allem dazu, die Risiken des Kreditgebers abzusichern. Doch diese Finanzinstrumente können das genaue Gegenteil bewirken. Wenn die Credit Default Swaps teuerer werden, kommen die Märkte zu dem Schluss, dass es Griechenland nicht gut geht. Dann steigt die Risikoprämie auf griechische Staatschulden. Dadurch fällt es Griechenland noch schwerer, seine Schulden zu bezahlen. Das führt wieder dazu, dass die Credit Default Swaps noch weiter raufgehen.

Und aus dieser Spirale gibt es kein Entrinnen?
Doch, zum Beispiel können andere Akteure wie die EU Hilfsmaßnahmen initiieren oder der griechische Staat macht Versprechungen, um das Vertrauen in seine Zahlungsfähigkeit wiederherzustellen. Die Finanzmärkte leisten dabei allerdings keinen positiven Beitrag zur Stabilisierung.

Haben die Staaten denn gar keine Handhabe gegen die Zockerei der Finanzmärkte?
Solange solche Finanztransaktionen legal sind, werden sie auch genutzt. Das muss unbedingt angegangen werden, aber nach der weltweiten Finanzkrise ist nichts geschehen, keine Regulierung, keine Harmonisierung der Finanzmarktregeln. Das ist aber eine der wichtigsten Hausaufgaben der Regierungen nach der Finanzkrise. Ein schweres Versäumnis.

Was passiert wenn Griechenland pleite geht?
Viele Länder sind schon bankrott gegangen, unter anderem Russland und Argentinien in den 90er Jahren. Wenn das passiert, hat der Staat kurzfristig wenig Zugang zu den Finanzmärkten, weil diese kein Vertrauen haben, dass neue Schulden zurückgezahlt würden. Griechenland muss aber Schulden machen können, um der Rezession beizukommen. Der Ausweg heißt dann Strukturanpassungsmaßnahmen, um die eigenen Einnahmen zu erhöhen und das Vertrauen der Märkte wiederherzustellen.

Welche Gefahren gehen denn für Deutschland und die anderen Euro-Länder von einer möglichen Pleite Griechenlands aus?
Es gibt zwei Bedrohungen: Erstens betrifft eine mögliche Pleite alle Banken, die griechische Anleihen und andere Papiere in ihrem Portofolio haben. Würde Griechenland pleite gehen, würden diese Werte einsacken. Dadurch könnte ein Systemrisiko entstehen, da einige Banken große Ausfälle hätten, was wiederum andere Banken bedrohen würde. Dann müsste der Steuerzahler dafür aufkommen, um eben diese Banken zu retten. Das wäre eine große Belastung für den Zusammenhalt in der Eurozone, wenn die Bürger für die verantwortungslose Finanzpolitik Griechenlands zahlen müssten. Das ist eine Bedrohung, aber die schätze ich nicht so groß ein.

Und die zweite Gefahr?
Die größere Bedrohung wäre Griechenland zu helfen, ohne zu gewährleisten, dass Griechenland mit seinen Schulden wieder ins Reine kommt. Das wäre ein Signal an alle strauchelnden Länder, dass im Falle des Falles schon die EU für die Schulden aufkommen würde. Das könnte zu steigenden Risikoprämien in ganz Europa führen, da nicht länger sicher gestellt ist, dass jede Regierung ihr möglichstes tut, um eine Staatspleite abzuwenden. Das würde Europa sehr belasten.

Was können die EU und Deutschland tun?
Ich fordere, dass Deutschland und die EU bereit sind, die Griechen zu unterstützen, aber unter der Bedingung, dass die Griechen eine Schuldenkommission annehmen. Diese Schuldenkommission würde gewährleisten, dass die Schuldenquote Griechenlands langfristig auf maximal sechzig Prozent kommt.

So eine Kommission könnte aber nur beraten, sie wäre gegenüber der griechischen Regierung ja nicht weisungsbefugt.
Und ob sie das wäre. Regierungschef Giorgos Papandreou müsste ein Gesetz schaffen, wonach der griechische Staat immer nur dann ein Defizit machen darf, wenn die unabhängige Schuldenkommission es genehmigt hat. Das wäre ein glaubwürdiges Signal an die Märkte, dass Griechenland seinen Schuldenberg abbaut. Die Schuldenkommission müsste natürlich vollkommen unabhängig sein. Die Regierung könnte noch immer Schulden machen, um die Wirtschaft wiederanzukurbeln. Die Kommission würde das dann zur Kenntnis nehmen und für alle anderen Phasen des Konjunkturzyklus festschreiben, wie hoch das Defizit jeweils sein darf. So könnte der Weg zurück unter die Grenze von 60 Prozent Neuverschuldung gefunden werden, wie es der Stabilitätspakt der EU vorsieht. Auch wenn dieser Weg sehr lang und mühselig werden könnte, würde eine Schuldenkommission gewährleisten, dass er bis zum Ende gegangen wird.

Ist der Plan wirklich realistisch, denn welche Regierung lässt sich schon gern entmündigen?
Das einzige, was Griechenland nicht länger könnte, ist eine unverantwortliche Fiskalpolitik zu betreiben. Ich möchte mal eine Regierung sehen, die darauf beharrt, diese Möglichkeit zu haben. Athen kann ja weiterhin frei über die Art und Höhe Steuern bestimmen und frei über die Komposition der Ausgaben entscheiden. Jeder Staat sollte so einer Einschränkung unterliegen.

Welche Hilfen könnte die EU denn leisten, wenn Griechenland die Schuldenkommission annähme?
Das Schöne ist ja, würde die Schuldenkommission angenommen, würden sich auch die Finanzmärkte beruhigen. Die Risikoprämien auf die griechischen Schulden würden rasch fallen, es wäre leichter, sie zu bezahlen. Dann bräuchte man vielleicht noch eine Garantie - eine Art Rettungsschirm der EU für den Fall, dass Griechenland seine Schulden doch nicht zahlt. Aber dann hätte die EU durch die Schuldenkommission die Sicherheit, dass sie das Geld irgendwann zurückbekäme.

Unter den Staaten, die ebenfalls nahe der Pleite stehen, werden immer wieder Italien, Spanien und Portugal genannt. Sind deren Haushaltskrisen denn ähnlich gravierend?
Ich würde auch Großbritannien auf diese Liste setzen, und weitere könnten dazu kommen. Allerdings sehen deren Probleme alle anders aus, jedes Land verfügt über Besonderheiten. Aber all diese Staaten sind zu hoch verschuldet und haben eine intransparente Haushaltspolitik geführt. Griechenland ist genau hierüber gestolpert, weitere könnten folgen.

Griechenland weist die Verantwortung für die Krise von sich und verweist auf die Weltwirtschaftskrise. Zurecht?
Es liegt so viel Schuld bei den Griechen selbst, dass es nützlich wäre, sich darauf zu konzentrieren. Griechenland braucht eine Strukturreform, eine Steuerreform, die Bürokratie muss abgebaut werden, Griechenland muss konkurrenzfähiger werden, indem man den Wettbewerb im Innern fordert, was hoffentlich auch die Exportwirtschaft wieder auf die Beine bringt. Da sollte man anfangen, da kann man meisten bewegen.

Muss sich der einzelne Bürger in Deutschland über die Krise in Griechenland ernsthaft Sorgen machen?
Über Griechenland als einzelnes Land nicht. Aber wenn Griechenland zum Präzedenzfall wird, wie man andere Länder behandelt, dann schon. Das griechische Bruttonationalprodukt ist nur kleiner Teil desjenigen der EU. Aber wenn wir dann die anderen Länder hinzuzählen, die in einem pessimistischen Szenario auch auf Hilfe angewiesen sein könnten, dann kommt viel mehr zusammen. Griechenland als Präzedenzfall ist sehr, sehr wichtig, Griechenland als Einzelfall ist es nicht.

Dennis Snower

Angelika Warmuth/DPA Der Ökonom Dennis Snower ist Vorsitzender des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, einem der renommiertesten Think-Tanks in Deutschland. Snower hat in den USA studiert und in London habilitiert. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört Geldpolitik und die Reform der Wohlfahrtsstaaten

Sebastian Huld