Deutsche Kreditinstitute haben offenbar in großem Stil griechische Staatsanleihen abgestoßen und damit gegen ein Abkommen mit der Bundesregierung verstoßen: Seit Anfang Mai 2010 hätten sich deutsche Banken und Versicherer von einem Drittel ihrer Griechenland-Anleihen getrennt, berichtet die "Financial Times Deutschland". Dies gehe aus den Bundesbank-Zahlen zu den Auslandforderungen der Institute gegenüber dem griechischen Staat hervor. Demnach hielten die Banken im Januar und Februar 2011 noch Anleihen Athens über 10,3 Milliarden Euro - Ende April 2010 seien es noch 16 Milliarden Euro gewesen.
Damals hatten sich die Banken und Versicherer nach einem Treffen mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) verpflichtet, bestehende Kreditlinien gegenüber Griechenland und griechischen Banken aufrechtzuerhalten und sich dort nicht aus dem Anleihegeschäft zurückzuziehen. Dies sollte ein Beitrag zum ersten Rettungspaket für Griechenland sein.
Experten halten Schuldenerlass für unverzichtbar
Führende Ökonomen fordern derweil einen Schuldenerlass für Athen. Allein mit einer Laufzeitverlängerung für bestehende Staatsanleihen seien die Griechen nicht vor der Pleite zu retten, "denn das Land hat kein bloßes Liquiditätsproblem, sondern ist insolvent", sagte der Chef des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn, der "Rheinischen Post". Auch der Finanzwissenschaftler Clemens Fuest erklärte, eine Pleite Griechenlands lasse sich mit der Laufzeitverlängerung nicht verhindern, sondern nur hinauszögern.
"Da man das griechische Staatsvermögen kurzfristig nicht verkaufen kann, führt an einem Schuldenerlass kein Weg mehr vorbei", sagte Sinn. Die Befürchtung der Europäischen Zentralbank (EZB), dass es im Falle eines Schuldenschnitts zum Zusammenbruch des Bankensystems kommen könnte, teilte der Ifo-Chef nicht. "Die Märkte haben die Abwertung der griechischen Papiere um gut 40 Prozent lange realisiert. Niemand ist mehr überrascht, wenn die Politik anerkennt, was der Markt schon lange weiß." Die Banken hätten für diesen Fall schon Vorsorge getroffen
Griechenland braucht offenbar weitere 90 Milliarden
Am Mittwochabend hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble in den Regierungsfraktionen um Unterstützung für neue Hilfen an Griechenland geworben. Schäuble bezifferte dabei nach Angaben von Teilnehmern den zusätzlichen Bedarf für Athen bis 2014 auf rund 90 Milliarden Euro.
Die Troika aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und EU-Kommission hält es in ihrem Prüfbericht für nahezu ausgeschlossen, dass Griechenland 2012 auf die Finanzmärkte zurückkehrt. Der am Mittwoch veröffentlichte Bericht stellt fest, dass Griechenland neue Hilfen von außen braucht, um seine Probleme zu lösen. "In Anbetracht der Unwahrscheinlichkeit einer Rückkehr Griechenlands auf die Finanzmärkte im Jahr 2012 ist das Anpassungsprogramm nun unterfinanziert", heißt es in den Ergebnissen der Troika-Prüfungen. "Die nächste Auszahlung (aus dem laufenden Hilfepaket) kann nicht stattfinden, bevor das Problem dieser Unterfinanzierung gelöst ist." Die Euro-Regierungen bereiten deshalb ein neues, möglicherweise über drei Jahre laufenden Hilfsprogramm vor.
Schäuble will private Gläubiger ins Boot holen
Merkel unterstützte den Angaben zufolge die Forderung Schäubles nach einer Beteiligung privater Gläubiger an einem neuen Hilfspaket. Der Finanzminister hatte sich zuvor für eine "weiche" Umschuldung Griechenlands ausgesprochen. Mit einem längeren Zahlungsaufschub und neuen Finanzspritzen soll dem pleitebedrohten Land eine Atempause verschafft werden.
Am Donnerstag wollen die Fraktionen einen Entschließungsantrag vorlegen, der am Freitag im Bundestag beschlossen werden soll. Griechenland waren vor rund einem Jahr internationale Notkredite über insgesamt rund 110 Milliarden Euro zugesprochen worden. Dennoch kann das Land seinen Schuldenberg von mehr als 350 Milliarden Euro bisher nicht wie vereinbart abtragen. Die Entscheidung über ein weiteres milliardenschweres Hilfspaket könnten die EU-Finanzminister am 20. Juni oder aber die Staats- und Regierungschefs beim anstehenden EU-Gipfel am 23. und 24. Juni treffen.