Niemals soll die Geschichte dieses Abends geschrieben werden. Dafür ist sie viel zu heikel. Vielleicht darf man sagen, worum es bei der Veranstaltung vergangene Woche in Frankfurt ging, denn das steht in der offiziellen Einladung: Ernst Welteke "nimmt Platz auf unserer Blauen Couch und lässt sich befragen zum Thema: Der Adlon-Fehler. Eine Geschichte von Moral, Macht und Medien". Der aus dem Amt gejagte Bundesbankpräsident rechnet also ab mit seinen Gegnern. Das ist spannend. Nur leider geheim. Wer dennoch darüber schreiben will, der müsse, sagt der Moderator, seine Texte zur Genehmigung vorlegen. Ein in Demokratien unübliches Verfahren. Die Wahrheit, das wird schnell klar, würde den Zensor niemals passieren. Deshalb muss sie an ihm vorbeigeschmuggelt werden. Denn Aufklärung, so sagen alle Beteiligten, sei doch das Wichtigste.
Da sitzt also der einst mächtige Notenbanker auf Einladung der Deutschen Flugsicherung auf einer Couch. Man darf seine Rolle wohl als die eines Patienten bezeichnen. Denn der Moderator selbst - offenkundig ein enger Freund - nennt sein mitfühlendes Interview "fast ein Therapiegespräch". Der Patient fühlt sich in jeder Minute unschuldig, auch wenn er sich vielleicht ein wenig ungeschickt angestellt habe. Von der Dresdner Bank ließ sich Welteke ein paar Tage im schönen und sündteuren Berliner Hotel Adlon sponsern - seine Frau und sein kleines Kind und sein großer Sohn und dessen Freundin waren auch dabei. Das hat ihn Amt und Ansehen gekostet. Für Welteke ist Welteke ein Opfer. Oder, wie der Moderator sagt, ein "Kollateralopfer" - also sozusagen beim Zusammenprall dunkler Mächte zu Schaden gekommen. Nachts, sagt Welteke, würde er besser schlafen, wenn er wüsste, wer die Intrige gesponnen habe. Hans Eichel vielleicht? "Kein Kommentar, der hat es schwer genug."
Er fuchtelt mit einem dicken Band herum, in dem die Berichte über ihn fein säuberlich gesammelt sind. "Alle Beweise" habe er dabei. Aber er braucht sie nicht. Die Sätze aus den Artikeln, in denen etwas nicht stimmt, kann er auswendig. Er zitiert und klagt. Manches, was geschrieben wurde, war tatsächlich dick aufgetragen. Ja, er war nicht nur zum Spaß in Berlin. Er hat einen Vortrag gehalten, Interviews gegeben. Am Ende der therapeutischen Sitzung fühlt er sich "befreit". Es ist raus.
Nach der Selbstvorführung des traurigen Helden im Alten Foyer des Frankfurter Städel-Museums geht die Gesellschaft auf die Terrasse. Grün beschlipste Hostessen sorgen für Nachschub an Bier und Wein. Kaum einer der rund hundert Gäste versteht, was mit Welteke, diesem aufrechten Sozialdemokraten, los ist. Er wirkt trotzig. In einem Moment präsentiert er sich als Mann aus dem Volke, dessen alte Schwiegereltern sich nicht mehr in die Kneipe trauen, wenn wieder etwas Böses in der Zeitung steht. Dann gibt er den Erfolgstypen, dem als Bundesbankpräsidenten in offizieller Mission eine Suite auf Staatskosten zugestanden hätte. Was ist oder war er denn nun? Armes Opfer oder reicher Banker mit dickem Spesenkonto? Irgendwie hat er sich verheddert.
Welteke, der 61 Jahre alt ist, war Landtagsabgeordneter, Fraktionsvorsitzender, erst Wirtschafts-, dann Finanzminister in Hessen, Chef der Landeszentralbank, Präsident der Bundesbank. So einer, denkt man, kennt die Regeln des Geschäfts. Viele, sagt er, hätten ihn gewarnt, sich auf das blaue Sofa zu setzen. Aber der Wunsch, alles zu erklären und mit den Fingern auf die zu zeigen, die ihn zur Strecke gebracht haben, war stärker. Für ein Interview ist er nicht zu haben, aber er hört nicht auf zu reden. Lange noch steht Welteke zwischen Häppchenessern und Biertrinkern.
Alles werde verdreht, immer noch. Gerade heute sei wieder ein Artikel - ein angebliches Interview - erschienen. Da heißt es, jetzt jammere der "Party-Banker" über seine finanzielle Lage nach dem Rücktritt: "Mir bleiben nur 8.000 Euro." Das sei auch noch brutto, dann die Unterhaltszahlungen für die erste Ehefrau, die studierenden Söhne. Wie das in die Zeitung gekommen sei, wolle er nicht kommentieren. Er jedenfalls habe "Bild" kein Interview gegeben. Ob er denn mit einem Redakteur gesprochen habe, und der habe es dann ohne sein Wissen gedruckt? Da nickt er. Was wahrscheinlich schon wieder geheim oder vertraulich war. Denn, so fragt Welteke: "Kann man denn mit Journalisten nicht wie mit vernünftigen Menschen unter vier Augen sprechen?"
Nein. Immer besteht die Gefahr, dass sie ihre Arbeit machen, statt ihre Texte zur Genehmigung vorzulegen. 36 Stunden nach der "Weltekes Welt"-Show liegen die ersten Berichte am Kiosk.