Anzeige
Anzeige

Fukushima-Betreiber Tepco Japans lügnerischer Energieriese

Die Welt blickt auf die atomare Katastrophe von Fukushima. Mitverantwortlich ist ein Unternehmen, das Pannen in seinen Atomkraftwerken jahrelang vertuscht hat: der Energiekonzern Tepco.
Von Martin Kölling, Claudia Wanner und Michael Gassmann

Masashi Goto kennt den Unglücksreaktor, er kennt ihn von innen, kennt all seine Schwachstellen. Viele Jahre hat der Ingenieur, der im weißen Hemd und grauen Anzug dort oben auf dem Podium sitzt, für den Kraftwerksbauer Toshiba gearbeitet. Sein Spezialgebiet waren jene Sicherheitsbehälter, die auch das Herz des Reaktors in Fukushima umschließen, er war damals an ihrem Design beteiligt. Nun kann er nicht mehr an sich halten.

"Ich war damals davon ausgegangen, dass ich an der ultimativen Verteidigungslinie arbeite, am entscheidenden Werkstück, das die Bevölkerung vor der Strahlung schützt", sagt Goto. "Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass das nicht so ist, dass diese Behälter einer Katastrophe wie einem Erdbeben nicht standhalten." Vor vier Jahren, als schon einmal ein Beben ein Kernkraftwerk des Betreibers Tepco lahmlegte, hat Goto dann die Seiten gewechselt. Seitdem kämpft er gegen die Macht der japanischen Atomindustrie - und gegen das Schweigen des Energieriesen Tepco. "Ich hatte keine andere Wahl als auszuscheren und aufzuklären", sagt er.

Goto tritt als Vertreter für das "Citizen's Nuclear Information Center" auf, als Kronzeuge gegen Japans größten Energiekonzern. Er projiziert detaillierte Schaubilder an die Wand, redet über Sicherheitsbehälter, über Kühlsysteme. Er will die komplexe Lage erklären, die widersprüchlichen Meldungen der Behörden. Es ist ein Protest gegen die Informationspolitik der Regierung, die seit Tagen beschwichtigt. Gegen die japanischen Medien, die die offizielle Geschichte wiederholen. Und gegen den Betreiberkonzern Tepco, der schon wieder im Mittelpunkt steht. Ausgerechnet Tepco.

Tokyo Electric Power Company, kurz Tepco, ist Japans größter Energielieferant, nach Umsatz die Nummer sechs in der Welt. Ein Gigant mit rund 52.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von umgerechnet rund 38,3 Mrd. Euro. In den 50er Jahren als staatliches Unternehmen gegründet, war der Konzern eine wichtige Stütze für Japans ambitionierten wirtschaftlichen Aufstieg. Tepco lieferte die Energie für den Boom. Und weil Kohle, Öl und Gas nicht ausreichten, um den enormen Energiehunger der Volkswirtschaft zu stillen, setzte Tepco seit den 70er Jahren auf Atomstrom. Der Unglücksreaktor Fukushima I war der erste, der 1971 ans Netz ging.

Diesen Artikel haben wir für Sie in der...

Financial Times Deutschland gefunden.

Heftige Proteste gegen Tepco

Heute liefert Tepco rund ein Viertel des japanischen Atomstroms. Mithilfe einheimischer, amerikanischer und europäischer Anlagenbauer errichtete der Konzern nach und nach drei große Kraftwerkkomplexe mit insgesamt 17 Reaktoren, darunter mit Kashiwazaki-Kariwa das größte Kernkraftwerk der Welt. Zum Vergleich: In Deutschland betreiben die Konzerne Eon , RWE , Vattenfall und EnBW insgesamt ebenfalls 17 Blöcke, mit nur geringfügig höherer Gesamtleistung. Doch die Geschichte von Tepco ist alles andere als eine Erfolgsstory.

Die Geschichte ist geprägt von Skandalen, von Lug und Trug, von Täuschung und Verschleierung. Über zwei Jahrzehnte hatte das Unternehmen mit Stammsitz in Tokio systematisch Zwischenfälle verschwiegen, Sicherheitsberichte und Statistiken gefälscht, Probleme übergangen. Störfälle wurden als Reparatur- und Servicearbeiten deklariert, entsprechende Protokolle frisiert. Im August 2002 flog der Schwindel auf. Die Regierung in Tokio ließ alle 17 Reaktoren des Konzerns vom Netz nehmen. Das Land war geschockt. Aufsichtsratschef, Präsident und Vize-Präsident mussten gehen. Tepco wollte einen Neuanfang - daraus wurde nichts.

Als ein Jahr später die ersten Reaktoren wieder hochgefahren wurden, gab es landesweit heftige Proteste, ungewöhnlich im eher stillen Japan. Doch Regierung und Konzernspitze ließen sich davon nicht beeindrucken. Der Führungswechsel hätte reinigende Wirkung für das Unternehmen gehabt, wurde vermittelt. 2005 waren alle Meiler wieder am Netz, 2007 folgte der nächste Skandal.

Teil 2: Was Tepco verschwieg

Ein interner Bericht entlarvte, dass Tepco auch nach 2002 immer wieder dramatische Vorfälle gegenüber den Behörden verschwiegen hatte. Selbst das Austreten von radioaktivem Dampf aus Rissen in den Rohren wurde nicht gemeldet. Wieder war die Öffentlichkeit schockiert. Und zu dem Schock kam wenig später das Entsetzen. Als im Juli 2007 in Japan die Erde bebte, geriet in Kashiwazaki ein Transformator in Brand. Der Konzern hatte nach eigenem Eingeständnis eine geologische Problemzone direkt unterhalb des Reaktors übersehen. Das Unternehmen beschwichtigte, die Lage sei unter Kontrolle. Eine Lüge. Tepco musste einräumen, dass mit dem Abwasser radioaktives Material ausgetreten sei. Wieder wurde der Meiler vom Netz genommen, wieder musste der Konzernchef gehen. Im Juni 2008 übernahm Masataka Shimizu das Präsidentenamt.

Der heute 66-Jährige war angetreten, um den Konzern auf Vordermann zu bringen, die starre Bürokratie zu entschlacken und endgültig aufzuräumen. Ausgerechnet einer, der seit mehr als vier Jahrzehnten im Konzern Karriere gemacht hatte. Immerhin: Shimizu hörte auf die immer wieder geäußerten Sicherheitsbedenken, schob die Inbetriebnahme von zwei Reaktorblöcken in Fukushima auf. Noch vor einem halben Jahr versprach er, Tepco werde alle Anstrengungen unternehmen, "dass unsere Kernkraftwerke Katastrophen standhalten können". "Das Wissen und die Weisheit, die wir auf dem langen und schwierigen Weg der Erholung erworben haben, sind wertvolle Ressourcen, die uns helfen werden, das Management zu verbessern", sagte er damals. Jetzt hält er sich bedeckt, lässt Konzernsprecher und Politiker Stellung beziehen. Er selbst schweigt.

So wie es immer war in einer Industrie, die sich selbst als geschlossene Gesellschaft versteht. Selbst in der Branche gelten die japanischen Erzeuger als wenig zugänglich. "Japan ist ein in sich geschlossener Markt", sagt ein westlicher Insider, der nicht genannt werden will. Die gesamte Nuklearindustrie, von den Reaktor- und Komponentenherstellern bis hin zu den Betreibern, sei strikt nach den Zielen der nationalen Industriepolitik ausgerichtet. Es gehe um die Sicherung der japanischen Energieversorgung. Außer dem routinemäßigen Austausch in sicherheitstechnischen Fragen gebe es kaum Kontakte zu anderen Regionen. Mentalität und politische Ziele seien nicht auf Offenheit ausgelegt.

Es besteht die Gefahr von weiteren Explosionen

Dabei ist das Informationsbedürfnis in diesen Tagen größer denn je. Der Reaktor Fukushima I ist von dem Erdbeben besonders betroffen. Eine Hiobsbotschaft jagt die nächste.

Teil 3: Marktführer vor dem Wandel

Mehrfach stellte Tepco neue Meldungen auf seine Internetseite, Titel: "Weißer Rauch rund um das Kernkraftwerk Fukushima Daiichi". Immer wieder musste die Mitteilung aktualisiert werden, doch auch in der dritten Version hieß es lediglich, man "glaube", der Reaktorsicherheitsbehälter sei intakt geblieben. Mehr konnten die besorgten Japaner online nicht erfahren. Stattdessen bedankte sich das Unternehmen bei seinen Kunden für die "Zusammenarbeit bei der Verringerung des Stromverbrauchs durch Vermeiden unnötiger Beleuchtung und elektrischer Geräte". Man erwarte noch für eine Weile eine "äußerst herausfordernde Situation".

Wie herausfordernd die für das Unternehmen selbst ist, zeigt sich jetzt. Über sechs Jahrzehnte hat Tepco den japanischen Strommarkt dominiert. Die Katastrophe von Fukushima könnte das Ende dieser Machtstellung bedeuten. Das Unternehmen ist hoch verschuldet, wie es die möglichen Folgen eines atomaren Katastrophe bewältigen sollte, ist völlig unklar. Der Aktienkurs sackte am Montag um 23,5 Prozent ab, die Kosten für Kreditausfallversicherungen schossen in die Höhe.

Inzwischen wird schon über einen Kollaps des Konzerns spekuliert. Kommentatoren bezeichnen den Energieversorger zwar als zu groß und mächtig, um ihn pleite gehen zu lassen - als "too big to fail". Doch die Frage, wie Tepco diese Situation ohne fremde Hilfe durchstehen soll, steht im Raum. Zumal die betroffenen Kraftwerke nicht versichert sind.

Dabei hatte Konzernchef Shimizu noch vor wenigen Monaten ganz andere Pläne vorgestellt, seine "Vision 2020". Tepco sollte nach den Skandaljahren endlich wieder wachsen, mit Atomkraft und im Ausland. Das Ausland werde in den kommenden zehn Jahren "der Motor für Wachstum" sein, sagte Shimizu. Im Februar stieg er mit zwölf Prozent beim thailändischen Stromversorger Egco ein. Auf die Frage, wie er seine Strategie mit einem Satz umreißen würde, sagte er damals: "Wir gehen von der Verteidigung zum Angriff über."

FTD

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel