Gasstreit Weshalb Moskau Minsk den Hahn abdreht

Von Ulrich Heyden
Gazprom, russischer Energiegigant, Schalke-Sponsor und Schröder-Arbeitgeber, macht im Gasstreit mit Weißrussland ernst: Ab Freitag werden die Lieferungen fast halbiert. Aber worum geht es bei dem Streit eigentlich? Und wer hat in dem Konflikt welche Interessen. stern.de erläutert die Hintergründe.

Am Freitag soll es so weit sein: Um acht Uhr deutscher Zeit sollen russische Sanktionen gegen Weißrussland greifen. Der halbstaatliche Konzern Gazprom plant, seine Gas-Lieferungen ins Nachbarland um 45 Prozent zu drosseln. Dies wurde in einer Erklärung vom Mittwoch angekündigt. Der russische Gasmonopolist begründet die Lieferreduzierung mit Zahlungsrückständen Weißrusslands in Höhe von insgesamt 456 Millionen Dollar.

Moskau fürchtet Gasklau

Auch für Europa könnte der Streit theoretisch Folgen haben. Weißrussland ist ein kritisches Transitland für das Gas auf seinem Weg in den Westen. Über das weissrussische Territorium läuft die Jamal-Gaspipeline, eine der Energieadern, über die Europa mit Gas versorgt wird. Die russischen Exporteure befürchten offenbar, dass Minsk im Streit um die Schulden Gas illegal entnehmen könnte. Es wäre nicht das erste Mal: Erst im Januar hatte Weißrussland wegen eines Streits über die von Russland neu eingeführten Zölle für russisches Öl, die Druschba-Transitpipeline angezapft.

Vor diesem Hintergrund ist den Europäern sehr an einer Beilegung des Streits gelegen. Die Europäische Kommission drang während des Streits zur vergangenen Jahreswende auf eine Einigung zwischen Russland und Weißrussland. Eine Vermittlerrolle von EU-Experten bei den Verhandlungen zwischen Gasprom und dem weißrussischen Pipeline-Unternehmen Beltransgas lehnte der russische Konzern allerdings ab. Man werde den Konflikt "zweiseitig" lösen, sagte Gasprom-Sprecher Sergej Kuprijanow. Man gehe davon aus, "dass Weißrussland alle seine Verpflichtung erfüllt", die es für die Transitbeförderung von russischem Gas nach Europa "übernommen hat".

Weißrussland zahlungsunfähig

Ausgangspunkt des Konflikts ist eine erkleckliche Erhöhung der Preise für russisches Öl und Gas. Wenige Stunden vor Beginn des Jahres 2007 hatten sich Russen und Weißrussen auf einen Preis von 100 Dollar pro 1.000 Kubikmeter Gas geeinigt. Bis dahin zahlte Weißrussland mit 46 Dollar den niedrigsten Gaspreis aller ehemaligen Sowjetrepubliken. Dabei liegt der aktuelle Preis von 100 Dollar immer noch 50 Prozent unter dem Tarif, den beispielsweise Estland entrichten muss. Doch auch diese Summe kann sich das durch den autoritären Kurs der Regierung Lukaschenko international isolierte, rohstoffarme Land kaum leisten.

Weißrussland bittet um Kredit

Durch die Erhöhung der Preise ist die weißrussische Regierung in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten und hatte sich auch bei westlichen Banken um Kredite bemüht. Minsk führte mit Moskau Verhandlungen über eine Umschuldung und bat die russische Regierung um einen Kredit in Höhe von 1,5 Milliarden Dollar. Am Dienstag traf der weißrussische Ministerpräsident Sergej Sidorski zu Verhandlungen mit seinem russischen Amtskollegen Michail Fradkow in Moskau ein. Doch der russische Premier wollte keine Zusagen machen. Fradkow erklärte lediglich, Kreditfragen seien "schwierig" und könnten "nicht in einer Stunde" entschieden werden.

Kreml will weißrussischen Gehorsam erzwingen

Der Kreml ist es offenbar leid, dass Weißrussland weiter subventionierte Energiepreise von Russland erwartet, sich politisch aber nicht dem Willen Russlands unterordnen will. Nun hofft die russische Regierung, Minsk zur Anpassung an die Wünsche Moskaus zwingen zu können. Russische Unternehmen stehen bereit, bei der laufenden Privatisierung weißrussischer Staatsbetriebe mitzumischen. Dem russischen Gasprom-Konzern gehören bereits 12,5 Prozent der Aktien des weißrussischen Pipeline-Unternehmens Beltransgas. Nach einer im Mai unterschriebenen Vereinbarung wird Gasprom innerhalb der nächsten drei Jahre die Hälfte der Beltransgas-Aktien erwerben.

Lukaschenko kritisiert Ostsee-Pipeline

Weil Moskau gegenüber Minsk keine wirtschaftliche Bevorzugung von Weißrussland mehr zulassen will, kommt es zwischen den "Bruderstaaten" immer häufiger zu Konflikten. Vor Kurzem kritisierte der autoritäre weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko die Preiserhöhungen als Ausplünderung seines Landes. Russland wolle an Weißrussland "zwei Milliarden Dollar verdienen", schimpfte Lukaschenko. Außerdem kritisierte der Präsident den Bau der geplanten Ostseepipeline, die um Weißrussland herum geführt werden soll. Das Projekt, das mit Unterstützung des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder eingefädelt worden ist und Gas quer über die Ostsee von St. Petersburg nach Greifswald transportieren soll, trifft auch in Polen und den baltischen Staaten auf starken Widerstand.