Heinrich von Pierer stand wie kaum ein anderer Manager für die Wirschaftsbosse der alten Deutschland AG. Gut 13 Jahre lenke er als Vorstandschef den Technologiekonzern Siemens, und sein Wechsel an die Spitze des Aufsichtsrats Anfang 2005 war eine Selbstverständlichkeit. Viele Mitarbeiter trauerten dem leutseligen und manchmal fast väterlichen Führungsstil des heute 66-Jährigen nach, nachdem der amerikanisch geprägte Klaus Kleinfeld den Chefsessel übernommen hatte und begann, die noch zu Pierers Zeit aufgestellten Renditeziele einzufordern.
Pierers Autorität war lange Zeit innerhalb und außerhalb von Deutschlands größtem industriellen Arbeitgeber unangefochten. Sowohl Bundeskanzler Gerhard Schröder als auch dessen Nachfolgerin Angela Merkel vertrauten auf seinen Rat. Im Jahr 2004 wurde Pierer zeitweise sogar als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten gehandelt. Im Ausland warb der promovierte Jurist im Auftrag der Bundesregierungen um Investitionen, er wurde international mit Auszeichnungen und akademischen Ehrentiteln überschüttet.
Nach seinem Wechsel in den Aufsichtsrat schienen sogar der Stellenabbau und die bisweilen harte Hand, mit der er Siemens führte, vergessen. Selbst die Mitarbeiter der einst gebeutelten Medizintechnik, die ihn zur Zeit der schmerzhaften Sanierung Ende der 1990er Jahre im fränkischen Dialekt den „Hal-Bierer“ nannten, hatten ihm verziehen. Es versprach ein glückliches Pensionistendasein mit einem Teilzeitjob im Aufsichtsrat zu werden.
Doch im Herbst vergangenen Jahres legte die Staatsanwaltschaft München Hand an das bis dato unbefleckte Lebenswerk Pierers. Mehrere Dutzend Beamte durchsuchten die Münchner Konzernzentrale und Außenstellen in Pierers Heimatstadt Erlangen. Es ging um schwarze Kassen mit dreistelligen Millionenbeträgen, von auch einige von Pierers engsten Vertrauten gewusst haben sollen. Siemens-Finanzchef Joe Kaeser nimmt seither dubiose Zahlungen über insgesamt 420 Millionen Euro unter die Lupe.
Zuwendungen von rund 34 Millionen Euro
In diesem Jahr setzten Nürnberger Ermittler noch einen drauf. Sie verhafteten den damaligen Chef der Arbeitnehmerorganisation AUB und kurz darauf den Zentralvorstand und Pierer-Zögling Johannes Feldmayer. Der Vorwurf: Siemens soll sich mit Zuwendungen von rund 34 Millionen Euro die AUB gewogen gehalten haben. Die Kritik aus Gewerkschaft, Politik und Öffentlichkeit an Pierer nahm zu.
Zunächst versuchte er mit einem Teilrückzug aus dem Prüfungsausschuss, der die Affären aufarbeiten soll, erfolglos die Wogen zu glätten. Bis zuletzt erklärte Pierer, er wisse nichts von all den Unregelmäßigkeiten in seiner Amtszeit als Konzernchef. „Eine persönliche Verantwortlichkeit mit Blick auf die laufenden Ermittlungen war nicht Grundlage meiner Entscheidung“, rechtfertigte er sich noch in seiner Rücktrittserklärung. Für ihn stünden die Konzerninteressen im Mittelpunkt: „Ich habe immer die Überzeugung vertreten, dass die Pflicht gegenüber dem Unternehmen und seinen weit mehr als 400.000 Mitarbeitern in aller Welt Vorrang vor eigenen Interessen haben muss.“ Ähnlich demütig vor dem Erfolg des großen Ganzen hatte vor drei Monaten Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber seinen Rücktritt angekündigt.