Wegen der stark steigenden Infektionszahlen mit dem Coronavirus plant der Bund massive Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Nach den Beratungen von Kanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten über einen zweiten, zeitlich begrenzten, "Lockdown Light" sollen schon ab kommender Woche verschärfte Kontaktbeschränkungen und neuerliche Schließungen von Gastronomie sowie Kultur- und Freizeiteinrichtungen gelten (alles dazu lesen Sie hier in unserem Liveblog).
Doch wie hart würde ein neuerlicher Lockdown Wirtschaft und Unternehmer treffen? Ist eine solche Maßnahme, selbst wenn sie mehr Ausnahmen beinhalten sollte als im Frühjahr, ökonomisch verkraftbar und sinnvoll? Selbst die Chefs der wichtigsten deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute sind sich darin uneinig.
DIW-Chef Fratzscher: "Lockdown auch wirtschaftlich sinnvoll"
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, und einer der einflussreichsten Ökonomen des Landes, befürwortet einen solchen Lockdown Light. "Maßnahmen, die die zweite Infektionswelle so schnell und erfolgreich begrenzen wie möglich, sind auch wirtschaftlich sinnvoll", sagte Fratzscher dem SWR.
Denn je länger die zweite Welle andauere, desto größer sei nicht nur der gesundheitliche sondern auch der wirtschaftliche Schaden. "Wenn man jetzt noch zwei, drei Wochen wartet, bis die Anzahl der Infizierten weiter steigt, dann ist nicht nur der Schaden kurzfristig größer, sondern es wird auch länger dauern, bis man wieder zu einer neuen Normalität zurückkehrt", so Fratzscher. "Viele Unternehmen werden von dieser zweiten Welle hart getroffen, aber es ist sicher einfacher, zwei bis drei Wochen mit weniger Umsätzen wegzustecken als zwei oder drei Monate."
Michael Hüther: Kein Lockdown – mit dem Virus leben
Deutlich kritischer sieht Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, einen zweiten Lockdown. "Es werden Strukturen zerstört, die mit Geld nicht zu retten sind; die Bedrohung ist existenziell. Es wäre deshalb sträflich naiv zu glauben, der zweite Lockdown sei nur eine Wiederholung des ersten", schreibt Hüther in einem Gastbeitrag für das "Handelsblatt".
Der stationäre Einzelhandel, Hotels und Gaststätten, Messen und der gesamte Kulturbetrieb seien seit Beginn der Pandemie weit vom Normalbetrieb entfernt. Das Eigenkapital sei vielfach aufgezehrt, sodass ein zweiter Lockdown noch härtere Konsequenzen haben werde. "Viele Geschäftsmodelle würden nicht überleben." Hüther fordert den Staat auf, sich mit weiteren Lockdowns zurückzuhalten und appelliert an die Mitverantwortung des Einzelnen, um ein Leben mit dem Virus erträglich zu gestalten.
ifo-Chef Fuest für regionale Mini-Lockdowns
Eine dritte Position vertritt Clemens Fuest, Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo) in München. Auch er lehnt einen bundesweiten Lockdown ab und fordert stattdessen regionale Lösungen. "Regionale Lockdown-Maßnahmen, angepasst in ihrem Ausmaß an die Infektionslage vor Ort, sind die bessere Lösung", sagte Fuest in einem Interview mit dem "Mannheimer Morgen". Der Schutz der Gesundheit habe zwar Vorrang, die Maßnahmen müssten aber verhältnismäßig sein.
Einig sind sich die Ökonomen immerhin in einem: Kindergärten und Schulen sollten, anders als im ersten Lockdown, diesmal so lange wie möglich offen bleiben.