Im Tarifkonflikt der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie wollen Klaus Zwickel und Martin Kannegiesser als Spitzen von IG Metall und Arbeitgeberverband Gesamtmetall eine Kompromisslösung ausloten. Dazu wollen sich die beiden am Donnerstag, einen Tag vor Wiederaufnahme der Verhandlungen in Berlin über die 35- Stunden-Woche, zu einem Sondierungsgespräch treffen. Wie die IG Metall am Mittwoch mitteilte, soll dabei auch die eigentliche Tarifverhandlung vorbereitet werden. Der Ort des Spitzengesprächs blieb zunächst unbekannt.
Nach den Worten von Zwickel ist es das Ziel des Sondierungsgesprächs, "auszuloten, ob es eine Einigungschance gibt". Zu Forderungen der Arbeitgeber, die Streiks sofort auszusetzen, sagte er, dafür gebe es "überhaupt keine Veranlassung".
Neue Gespräche am Freitag
Die regionalen Verhandlungsführer kommen am Freitag in Berlin zusammen. Die Gespräche waren seit dem 12. Mai unterbrochen. Derzeit arbeiten die Ost-Metaller 38 Stunden die Woche, drei Stunden mehr als ihre Kollegen im Westen. Insgesamt sind 310 000 Menschen in der Metall- und Elektroindustrie im Osten beschäftigt.
IG-Metall-Streikführer Hasso Düvel hat die Gesprächsbereitschaft der Gewerkschaft erneut unterstrichen. "Wir wollen eine Lösung am Verhandlungstisch", sagte Düvel im InfoRadio Berlin-Brandenburg. Beide Seiten müssten auf eine Lösung hinarbeiten, dann gebe es eine Chance für eine Lösung. "Es geht nur nicht, wenn auf einer Seite blockiert wird. Beide müssen sich bewegen."
Die Arbeitgeber wollen allerdings "ohne Vorbedingungen" in die Gespräche am Freitag zu gehen. Einen Stufenplan wie in der Stahlindustrie, in der die 35-Stunden-Woche bis 2009 kommen soll, lehnte Verhandlungsführer Roland Fischer weiterhin strikt ab. Der Präsident des Verbandes der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie, Bodo Finger, sagte am Mittwoch im InfoRadio Berlin-Brandenburg, "wir verhandeln und bemühen uns, diesen Arbeitskampf vom Tisch zu kriegen, aber: das Ergebnis muss stimmen". Auf keinen Fall seien die Arbeitgeber bereit, "von unserer Linie, die wir seit vier Wochen vertreten, abzuweichen."
Streikaussetzung bei ZF ein "Zeichen des guten Willens"
Trotz der Einigung auf eine neue Verhandlungsrunde hat die IG Metall ihren Streik für die 35-Stunden-Woche im Osten am Mittwoch fortgesetzt. In Berlin, Brandenburg und Sachsen sind 8500 Metaller zum Arbeitskampf aufgerufen. Bestreikt werden nach Gewerkschaftsangaben zehn Betriebe, darunter Otis in Berlin, Francotyp Postalia in Birkenwerder, DaimlerChrysler und ThyssenKrupp in Ludwigsfelde. Beim Brandenburger Autozulieferer ZF Getriebe soll der Arbeitskampf am Donnerstag ausgesetzt werden, um die Auswirkungen auf westdeutsche Abnehmer so gering wie möglich zu halten. Düvel bezeichnete dies als "Zeichen des guten Willens".
Der Streik bei ZF hat bei BMW in Regensburg und München die Bänder für die Fertigung der 3er-Reihe seit Montag lahm gelegt. Davon sind 10 000 Beschäftigte betroffen. Auch am Mittwoch standen die Bänder still. Der Konzern geht aber davon aus, dass die Fertigung am Montag wieder aufgenommen werden kann, wie eine Sprecherin sagte.
VW-Betriebsrat: Kein Austritt geplant
Der VW-Gesamtbetriebsrat wies unterdessen angebliche Überlegungen des Automobilherstellers zu einem Austritt aus dem Arbeitgeberverband in Sachsen als "reine Spekulation" zurück. Ein solcher Schritt als Konsequenz aus dem Streik um die 35-Stunden-Woche in der ostdeutschen Metallindustrie sei nur die "allerletzte Möglichkeit", sagte eine Betriebsratssprecherin. Die 'Financial Times Deutschland' hatte über angebliche Gespräche zwischen Betriebsrat und VW-Spitze mit dem Ziel eines Verbandsaustrittes berichtet. VW ist mit 7400 Mitarbeitern größtes Mitglied des Verbands der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie.
Volkswagen wird von Freitag auch in Wolfsburg von den Streikfolgen betroffen sein. Die Produktion von Golf und Lupo muss wegen fehlender Teile aus den bestreikten Werken in Zwickau und Chemnitz eingestellt werden. Die Wolfsburger Beschäftigten werden deshalb für Freitag und falls nötig auch am Montag ihre Arbeitszeitkonten belasten. Ab Dienstag werde Kurzarbeitergeld beantragt, falls keine Produktion möglich sein sollte. In der Montage sind insgesamt rund 20 000 Mitarbeiter tätig. Laut VW-Spitze beträgt der Produktionsausfall insgesamt rund 20 000 Fahrzeuge.
Erneute Drohung mit Streiks auch im Westen
IG-Metall-Vize Jürgen Peters bekräftigte unterdessen das zentrale Ziel der 35-Stunden-Woche und drohte erneut mit Aktionen in Westdeutschland, falls dies nicht durchgesetzt werden kann. "Wir wollen einfach nur den Grundsatz 'gleiche Arbeit und gleiche Arbeitszeit für gleiches Geld' umsetzen", sagte Peters der 'Bild'- Zeitung. "Wenn wir am Wochenende keine Lösung im Sinne eines festgelegten Stufenplans zur Einführung der 35-Stunden- Woche erreichen, wird der Westen den Osten unterstützen." Gegenüber der Hannoveraner 'Neuen Presse' zeigte sich der designierte IG-Metall-Vorsitzende "beunruhigt und verblüfft" über das negative öffentliche Echo auf den Streik der ostdeutschen Metaller.
Auch die sächsische Landesregierung habe etwa die Pflicht, "für gleiche Arbeits- und Lebensbedingungen in Ost und West einzutreten", sagte Peters an die Adresse von Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU). Die Metall- und Elektroindustrie im Osten habe eine Produktivität, die eine stufenweise Angleichung der 35-Stunden-Woche ohne Probleme verkraften könne. Der Gewerkschafter appellierte an den Einigungswillen der Arbeitgeber. "Für unsere Seite kann ich das garantieren."