Das kommt davon, wenn man die falschen Leute unterstützt: Der Erdöl-Magnat und Chef des Ölkonzerns Yukos, Michail Chodorkowski, war in einer spektakulären Aktion quer durch das Land zu einer Vernehmung zwangsvorgeführt worden, ehe die Generalstaatsanwaltschaft sechs Strafverfahren einleitete und Untersuchungshaft erwirkte. Oppositionelle Politiker reagierten besorgt über die Entwicklung. Die Ermittlungen im Umfeld von Yukos hatten begonnen, nachdem Chodorkowski Anfang dieses Sommers angekündigt hatte, er wolle im Wahlkampf vor der Parlamentswahl im Dezember den liberalen Parteien Jabloko und Union Rechter Kräfte helfen, die in Opposition zum Kreml stehen.
"Schaden von einer Milliarde Dollar"
Neben schwerem Betrug werden Chodorkowski, dessen Vermögen auf knapp acht Milliarden Dollar geschätzt wird, Unterschlagung und Steuerhinterziehung angelastet. Die Forderung nach Untersuchungshaft, der das Gericht nach mehrstündiger Anhörung und Beratung folgte, begründeten die Ermittler damit, das Chodorkowski dem russischen Staat "Schaden in Höhe von über einer Milliarde Dollar zugefügt" habe. Bei einer Verurteilung drohen dem Chef des zweitgrößten russischen Ölkonzerns bis zu zehn Jahre Haft.
Filmreife Festnahme
Am Samstagmorgen war der Öl-Magnat bei einer Zwischenlandung seines Flugzeugs in Nowosibirsk von Angehörigen des Inlandsgeheimdienstes FSB festgesetzt und umgehend nach Moskau gebracht worden. Chodorkowski wurde in das Moskauer Untersuchungsgefängnis "Matrosskaja tischina" (Matrosen-Ruhe, nach einem im 18. Jahrhundert dort gebauten Krankenhaus für Matrosen benannt) überstellt, wo er nach offiziellen Angaben in eine Gemeinschaftszelle kam. "Für eine Sonderbehandlung gibt es keinen Grund, und auch das Gesetz sieht dies nicht vor", sagte am Sonntag Vize-Justizminister Juri Kalinin. Die Generalstaatsanwaltschaft in Moskau begründete ihr Vorgehen damit, Chodorkowski sei zuvor nicht zu einer Vernehmung erschienen. "Er hat die Vorladung demonstrativ ignoriert", sagte ein Justizsprecher. Yukos-Rechtsanwalt Anton Drel sprach von einem willkürlichen Vorgehen der Behörden.
Ermittlungen in über 50 Fällen
Nach der Vernehmung zu Fragen im Zusammenhang mit der früheren Festnahme von leitenden Yukos-Angestellten und dem Verdacht der Steuerhinterziehung innerhalb des Konzerns wurden die Strafverfahren gegen den Öl-Magnaten eingeleitet. Nach Worten eines Behördensprechers sind weitere Anklagen möglich, da die Staatsanwaltschaft in über 50 Fällen gegen Chodorkowski und Yukos ermittle. Die Konzernleitung bezeichnete die Anschuldigungen als "absurd" und vermutete politische Motive hinter den Ermittlungen.
Weitere Yukos-Manager im Visir
Die Justiz hatte im Juli einen der Yukos-Hauptaktionäre, Platon Lebedjew, wegen angeblichen Betrugs bei einem Privatisierungsgeschäft in den 90er Jahren festgenommen. Daneben läuft ein Verfahren wegen angeblichen Mordes gegen einen Mitarbeiter der Sicherheitsabteilung des Konzerns. Im Oktober wurde gegen einen weiteren Yukos-Manager ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet.
Russische Wirtschaft reagiert verunsichert
Die Verhaftung Chodorkowskis hat für Verunsicherung unter Investoren und Analysten in Russland gesorgt. Der Handel mit Papieren von Chodorkowskis Ölkonzern Yukos wurde am Montagmittag nach starken Verlusten für eine Stunde ausgesetzt. Bis 17.00 Uhr Ortszeit fiel der Kurs um knapp 17 Prozent auf 11,97 Dollar. Im gleichen Zeitraum gab der RTS-Interfax-Index um 11,87 Prozent auf 524,30 Punkte nach. Analysten schlossen einen Schaden für das Investitionsklima in Russland nicht aus. Auch Gespräche über einen Einstieg westlicher Ölkonzerne bei dem fusionierten Unternehmen YukosSibneft wurden wegen der Verhaftung vorübergehend ausgesetzt, berichtete die "Financial Times". Wie bereits bei früheren Berichten über ein angebliches Interesse der US-Unternehmen ExxonMobil und ChevronTexaco verweigerte die Yukos-Zentrale in Moskau dazu jeden Kommentar.
Politische Strukturen oft undurchschaubar
Nach Einschätzung der Ratingagentur Standard & Poor's hat der Fall Chodorkowski keinen Einfluss auf das Rating von Yukos. In Russland blieben politische und juristische Strukturen häufig undurchschaubar und unvorhersehbar. Dieses Risiko sei bereits in die Wertung eingegangen, teilte die Agentur in Moskau mit. Analyst Christopfer Granville von der Investmentbank UFG nannte das Vorgehen der Justiz gegen Chodorkowski einen "unwürdigen Rückfall in die post-sowjetischen Zeiten Russlands". Die Investitionsbedingungen in Russland seien derzeit noch nicht bedroht. Es zeichne sich aber eine politische Krise ab, die das Wirtschaftswachstum sowie neue Investitionen untergraben könnte.
Rubelkurs spürbar betroffen
Die Inhaftierung Chodorkowskis traf auch den Rubelkurs spürbar. Am Montag verlor die russische Währung an der Moskauer Devisenbörse knapp 17 Kopeken auf 30,0847 Rubel je Dollar. Die Devisenhändler fürchteten einen Investitionsabfluss im Zusammenhang mit dem Vorgehen der Justiz gegen Chodorkowski, sagten Analysten.
Putin warnt vor Hysterie
Russlands Präsident Wladimir Putin hat nach der Festnahme des Milliardärs davor gewarnt, aus Angst vor einer Wiederverstaatlichung des größten Ölkonzerns des Landes in Hysterie zu verfallen. Vor dem russischen Parlament lehnte es Putin aber, den Fall mit einflussreichen Unternehmensvertretern zu besprechen. "Es wird solange kein Treffen und kein Verhandeln über die Aktivitäten der Strafverfolgungsbehörden geben, wie die Behörden im Rahmen des russischen Rechts handeln", sagte Putin. Dies war die erste öffentliche Stellungnahme Putins nach der Festnahme Chodorkowskis.
VomChemiker zum reichsten Russen
Michail Chodorkowski, gegenwärtig Russlands prominentester und auch reichster Untersuchungshäftling, hat seinen Weg zum Reichtum als Chemie-Ingenieur begonnen. Doch schon ein Jahr nach Erhalt seines Diploms an der Moskauer Mendelejew-Institut hielt er 1987 seine Urkunde als diplomierter Volkswirt des nicht minder angesehenen Plechanow-Instituts in den Händen. Von da ab begann sein Aufstieg an die Spitze von Russlands Finanzwelt. Noch zu Sowjetzeiten unter Präsident Michail Gorbatschow gelangte er an die Spitze einer kommerziellen Innovationsbank, die er 1990 aufkaufte und in Menatep-Invest umbenannte. Danach geriet Chodorkowski, der inzwischen der reformorientierten Regierung unter Präsident Boris Jelzin aufgefallen war, erstmals mit der Politik in Berührung. Er wurde 1992 zum Leiter des Investitionsfonds der Energie-Industrie und avancierte schon im Jahr darauf für mehrere Monate zum Vize-Energieminister.
Ab 1995 fest im Ölgeschäft
Eine Ironie des Schicksals wollte es wohl, dass er 1994-1995 Mitglied der Arbeitskommission der Regierung "zur Verbesserung der Zahlungsdisziplin" wurde. Heute steht massive Steuerhinterziehung als einer der Hauptvorwürfe der Justiz gegen Chodorkowski. 1995 sattelte Chodorkowski schließlich fest auf das Geschäft mit Erdöl um. Seine Ölgesellschaft Rosprom fusionierte schnell mit der Konkurrenzfirma Yukos - unter öffentlich kaum bekannten Geschäftsbedingungen. Seitdem hat er Yukos zum zweitgrößten Ölkonzern Russlands hochgearbeitet.
Erfolgreicher Buchautor
Einen Teil seiner Geheimnisse auf dem Weg zu geschäftlichem Erfolg hat der Öl-Magnat 1992 in dem Buch "Der Mann mit dem Rubel" verraten, das er zusammen mit seinem damaligen Stellvertreter Leonid Newslinni herausgab. Der am 26. Juni 1963 in Moskau geborene Chodorkowski ist verheiratet und hat drei Kinder. Sein Hobby scheint außergewöhnlich - der Milliardär sammelt Tagebücher und Notizblöcke.
Putin und die Oligarchen
Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2000 versucht der russische Präsident Wladimir Putin die Macht der unter seinem Vorgänger Boris Jelzin in Schlüsselpositionen der Wirtschaft gelangten so genannten Oligarchen zu brechen. Zu den Wirtschaft- und Pressegroßunternehmern, die in der "Gründerzeit" der russischen Wirtschaft einflussreiche Finanz- und Medienkonzerne aufgebaut haben und in das Visier Putins gerieten, gehört auch der jetzt festgenommene Milliardär Michail Chodorkowski. Vor dem zum Kreml in Opposition gegangenen Chodorkowski hatte es eine ganze Reihe weiterer Oligarchen getroffen, gegen die Justiz und Steuerbehörden immer offensiver vorgehen.
Die Mächtigen fliehen ins Ausland
Schon im Juli war Platon Lebedjew, einer der wichtigsten Männer des Yukos-Konzerns, wegen angeblichen Betrugs bei einem Privatisierungsgeschäft festgenommen worden. Lebedjew, der die Finanzgruppe Menatep leitete, ist noch in Untersuchungshaft. Zwei der ehemals mächtigen Wirtschaftsbosse leben heute als Verfolgte im Ausland: Der Medien- und Aluminiumunternehmer Boris Beresowski und der Medienunternehmer Wladimir Gussinski. Beide hatten sich offen gegen Putin gestellt und mit Hilfe ihrer Medien Oppositionspolitik betrieben. Der milliardenschwere Beresowski, gegen den ein russischer Haftbefehl wegen "räuberischer Erpressung" besteht, ging 2000 nach London, wo er politisches Asyl erhielt. Einen Auslieferungsantrag Russlands lehnte Großbritannien im September ab und gewährte Beresowski Flüchtlingsstatus. Auch Gussinski, dessen Fernsehsender NTW im Jahr 2001 von der Regierung übernommen und dessen Konzern Media-Most zerschlagen worden war, hatte sich vorzeitig abgesetzt und lebt heute vorwiegend in Spanien.
Auch Abramowitsch vor der "Flucht"
Nicht ganz in das Stereotyp der russischen Oligarchen passt ein weiterer Prominenter: Von dem Milliardär Roman Abramowitsch (36) wird vermutet, dass er sein gesamtes Vermögen in Russland verkaufen will, um Problemen mit Putin zu entgehen. Abramowitsch, der an 40 verschiedenen Unternehmen wie einem Aluminium- und einem Ölkonzern beteiligt ist, hatte im Juli den traditionsreichen britischen Fußballklub Chelsea gekauft und will - dem Vernehmen nach - dauerhaft nach London gehen.