Steve Case will im Mai auf der Hauptversammlung des weltgrößten Medien- und Onlineunternehmens AOL Time Warner Inc. als Verwaltungsratsvorsitzender zurücktreten. Er will jedoch Mitglied des Aufsichtsgremiums und gemeinsamer Leiter des Strategieausschusses im Verwaltungsrat bleiben. Dies hat AOL Time Warner am Sonntagabend in New York mitgeteilt.
Case, der ehemalige Chef der Onlinefirma America Online, hatte den Kauf des amerikanischen Medienkonzerns Time Warner im Januar 2001 für 103 Milliarden Dollar (98,6 Mrd Euro) eingefädelt. Der monumentale Zusammenschluss hatte jedoch sehr enttäuschende Ergebnisse gebracht.
Die Aktien des Unternehmens notierten am vergangenen Freitag mit 14,88 Dollar um 54 Prozent unter dem Zwölfmonatshoch. AOL Time Warner leidet unter dem schwachen Internet-Anzeigengeschäft bei AOL, einem viel langsameren AOL-Kundenzuwachs, Bilanzierungsunregelmäßigkeiten sowie Untersuchungen der Ordnungshüter. Das Unternehmen hatte wegen des dramatischen Wertverfalls bereits im vergangenen Jahr Wertberichtigungen von 54 Milliarden Dollar vorgenommen und könnte möglicherweise weitere zehn Milliarden Dollar abschreiben.
Case hatte den Unternehmenschef Richard Parsons und den Verwaltungsrat von seiner Entscheidung informiert. Er begründete den Rücktritt damit, dass das Unternehmen in dieser kritischen Zeit keine Ablenkungen brauche. Einige Aktionäre konzentrierten ihre Enttäuschung über die Leistungen des Unternehmens nach dem Zusammenschluss auf ihn persönlich, erklärte er. Sein Rücktritt sei im besten Interesse der Gesellschaft.
Der Zorn der enttäuschten AOL-Time-Warner-Aktionäre hatte sich vor allem auf Case konzentriert. Er hatte mit den während der Internet-Spekulationsphase dramatisch gestiegenen America-Online-Aktien den weltgrößten Medienriesen Time Warner geschluckt, ehe die Spekulationsblase platzte.
Case hob das neue AOL-Management und die neuen AOL-Geschäftspläne hervor. Es sei die richtige Zeit, um den Rücktritt anzukündigen. Er wolle als Verwaltungsratsmitglied und gemeinsamer Leiter des Strategieausschusses eine ausgeglichene Perspektive sicherstellen. Er sei erfreut, dass Case auch nach seinem Rücktritt als Verwaltungsratsvorsitzender im Mai aktiver Direktor (Verwaltungsratsmitglied) bleibe, betonte Konzernchef Parsons.
Case ist der letzte der ehemaligen America-Online-Spitzenmanager, der bei AOL Time Warner noch eine führende Rolle gespielt hatte. Inzwischen besteht das gesamte Spitzenmanagement aus Time-Warner-Führungskräften. Gerald Levin, der frühere Time-Warner-Chef und spätere Unternehmenschef von AOL Time Warner, war 2002 ausgeschieden. Er hatte gemeinsam mit Case den Zusammenschluss von America Online und Time Warner durchgedrückt. Robert Pittman, der die Tagesgeschäfte von AOL Time Warner und zeitweise auch AOL geführt hatte, musste im vergangenen Jahr ebenfalls den Hut nehmen.