Nach einem tagelangen Streit mit begleitendem Versorgungsboykott einigten sich Russland und die Ukraine am Mittwoch auf ein neues Preismodell für die strittigen Gaslieferungen. Deutschland und andere über Pipelines in der Ukraine versorgte Länder begrüßten die Einigung. Russland beendete noch am Mittwoch den Lieferstopp. Präsident Wladimir Putin erklärte, beide Länder hätten stabile Bedingungen für russische Gaslieferungen nach Europa für viele Jahre geschaffen. Bei einem Empfang des Gasprom-Chefs Alexej Miller in seinem Landsitz sagte Putin weiter, die bilateralen Beziehung mit Kiew seien auf eine neue Grundlage gestellt worden. Die Vereinbarung erkenne die Rechtmäßigkeit der russischen Position an, wurde Putin von der Nachrichtenagentur RIA-Nowosti zitiert.
Neuer Liefervertrag über fünf Jahre
Die Gasprom-Lieferungen an die Ukraine waren am 1. Januar eingestellt worden, weil das ukrainische Unternehmen Naftogas die verlangte Vervierfachung des Preises auf 230 Dollar abgelehnt und eine mehrjährige Anpassungszeit gefordert hatte. Daraufhin kam es auch zu einem Rückgang der über die Ukraine geführten Gaslieferungen an die EU-Länder. Russland beschuldigte die Ukraine, illegal Gas für sich abgezweigt zu haben. Die Ukraine führte die Lieferdrosselung hingegen auf technische Probleme wegen eines Druckabfalls in den Leitungen zurück.
Gasprom und der ukrainische Gasversorger Naftogas schalteten in den neuen Fünfjahresvertrag mit nominellen Weltmarktpreisen eine russisch-schweizerische Handelsfirma namens RosUkrEnergo ein, an dem Gasprom aber beteiligt ist. Gasprom liefert RosUkrEnergo Gas zum Preis von 230 Dollar (195 Euro) pro tausend Kubikmeter. RosUkrEnergo mischt dem teuren russischen preiswerteres turkmenisches Gas bei, wodurch der Preis für die Ukraine auf 95 Dollar (80 Euro) sinkt, wie beide Seiten mitteilten. Zudem zahlt Russland der Ukraine in bar und nicht wie bisher zur Verrechnung mehr für die Gasdurchleitung nach Westeuropa: Statt 1,09 Dollar künftig 1,60 Dollar (1,35 Euro) pro tausend Kubikmetern auf 100 Kilometern.
Aktionäre bekritteln Preisgestaltung
Der Vorstandsvorsitzende des vom Kreml kontrollierten Gasförderers Gasprom, Alexej Miller, betonte, mit dem Abkommen sei auch die Versorgungssicherheit für die Kunden in West- und Mitteleuropa wieder hergestellt. Sein Unternehmen erhalte für das eingespeiste Gas die seit Wochen von Kiew geforderte Summe. "Gasprom ist mit den erzielten Ergebnissen völlig zufrieden", sagte Miller. Minderheitsaktionäre des russischen Konzerns sprachen allerdings von einer undurchsichtigen Preisgestaltung. Letztlich unklar blieb auch, ob die Ukraine in Zukunft die alleinige Kontrolle über die Pipelines behält. Energieexperten vermuten, dass das Vorgehen von Gasprom gegen Kiew auch das Ziel hatte, sich die strategisch wichtigen Transitleitungen zu sichern.
Der russische Präsident Wladimir Putin lobte den ausgehandelten Kompromiss ausdrücklich. Die Übereinkunft werde sich auf die gesamte Breite der russisch-ukrainischen Beziehungen positiv auswirken. Es sei "wichtig, dass die russische Sicht der Preisgestaltung beim Gas als richtig anerkannt wurde", sagte Putin. Auch in Kiew würdigte Präsident Viktor Juschtschenko den ausgehandelten Kompromiss. "Die ukrainische Wirtschaft ist vollständig auf die neuen Bedingungen des Marktes vorbereitet", betonte Juschtschenko. Bislang hatte Russland der Ukraine einen Preis von 50 Dollar je 1000 Kubikmeter in Rechnung gestellt.
Merkel hält an Atomausstieg fest
Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßte, dass beide Seiten rasch auf die Aufforderungen etwa der EU reagiert hätten, den Konflikt beizulegen. Sie hätten gezeigt, dass sie sich ihrer Verantwortung für die Energieversorgung bewusst seien. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sagte, das Vertrauen in die Sicherheit der Gasversorgung Deutschlands und Westeuropas sei von Moskau und Kiew gefestigt worden: "Beide Seiten haben damit eine positive Antwort auf die Appelle Deutschlands und der EU gegeben." Gleichzeitig will Merkel nach den Worten eines Sprechers trotz vehementen Drucks der CSU am Atomausstieg festhalten. "Der Koalitionsvertrag lässt an dieser Stelle nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig", sagte Regierungssprecher Thomas Steg in Berlin. Die CSU-Spitze wandte sich erneut gegen eine baldige Abschaltung der Atomkraftwerke.
Die Europäische Union will ihre Energiepolitik überdenken und gegebenenfalls neu ausrichten. Das machten Kommission und Ratsvorsitz der EU in Brüssel deutlich. Beim Gas und allen anderen Energieträgern müsse die Versorgungssicherheit künftig eine größere Rolle spielen, sagte der österreichische Wirtschaftsminister Martin Bartenstein für die EU-Ratspräsidentschaft. EU-Energiekommissar Andris Piebalgs sagte in Brüssel, die Einigung sei wichtig gewesen, damit Russland und die Ukraine weiterhin als verlässliche Erdgaslieferanten für Europa gelten könnten. Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssten sich dennoch für die Herausforderungen auf dem Energiesektor wappnen. So sollte man auf einen besseren Energiemix von Atomkraft bis erneuerbarer Energie achten, empfahl Piebalgs.
Kiew will künftig Energie sparen
Der ukrainische Ministerpräsident Juri Jechanurow sagte, mit dem Kompromiss hätten alle gewonnen: Russland, die Ukraine und Europa. "Der gesunde Menschenverstand hat sich durchgesetzt." Er benannte auch eine erste Konsequenz für die energiehungrige Industrie seines Landes: "Wir werden alles dafür tun, den Verbrauch drastisch zu reduzieren." Die Opposition ermahnte die Regierung in Kiew, die Gaspreise im Land nicht zu erhöhen.
AP/DPA/Reuters