Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion Wilhelm Schmidt sprach am Mittwoch von einer "gewissen Wahrscheinlichkeit", dass der Entwurf bereits kommende Woche im Kabinett beraten wird, die Reform der Pflegeversicherung wird also voraussichtlich noch vor der Sommerpause im Bundestag eingebracht.
1,1 Prozent vom Bruttolohn
Nach einem Bericht der "Berliner Zeitung" wird in den Koalitionsfraktionen darüber nachgedacht, den Beitragssatz der Kinderlosen über 23 Jahre anzuheben. Sie müssten dann 1,1 Prozent vom Bruttolohn bis zur Bemessungsgrenze bezahlen statt derzeit 0,85 Prozent. SPD-Fraktionsvize Michael Müller bestritt allerdings, dass dies bereits beschlossene Sache sei. Das sei bisher nicht in den Fraktionsgremien beraten und entschieden worden, sagte er im Inforadio vom RBB. Die Grünen-Pflegeexpertin Petra Selg meinte dazu, mit den Grünen sei ein solcher Plan ebenfalls nicht abgestimmt.
Das Bundesverfassungsgericht hat der Bundesregierung vorgeschrieben, von 2005 an müssten Eltern bei den Pflegebeiträgen besser gestellt werden als Versicherte ohne Kinder. Der zweite Teil der Reform soll aber erst im Herbst auf der Tagesordnung stehen. Sozialministerin Ulla Schmidt hatte eigentlich die gesamte Pflegereform auf einmal in Angriff nehmen und dabei unter anderem die Betreuung Demenzkranker verbessern wollen. Dieser Vorstoß wurde aber im Januar von Kanzler Gerhard Schröder gestoppt.
Herbe Unions-Kritik
Die Union kritisierte den "Etikettenschwindel in der Pflege". Unter dem Deckmantel der Umsetzung eines Verfassungsgerichtsurteils werde für Kinderlose "schamlos eine Beitragserhöhung vorgenommen, ohne dass irgendeine notwendige Leistungsverbesserung vorgesehen wird", kritisierten die Sozialexperten Andreas Storm und Annette Widmann-Mauz. Die bayerische Sozialministerin Christa Stevens warf der Bundesregierung gar vor, die Reform seit drei Jahren zu verschleppen. Die von der "Berliner Zeitung" wiedergegebenen Pläne seien auch nicht kinderfreundlich, weil eine höhere Kinderzahl nicht angemessen berücksichtigt würde. Sie forderte erneut einen Kinderbonus.
Der FDP-Abgeordnete Daniel Bahr kritisierte, die Bundesregierung wolle das Verfassungsgerichtsurteil für Beitragserhöhungen missbrauchen. "Erziehende werden durch den Vorschlag der Bundesregierung nicht spürbar entlastet, sondern lediglich von der Erhöhung ausgenommen." Der rot-grünen Regierung gehe es nur darum, die aktuellen Defizite in der Pflegekasse auszugleichen.
Eine Minireform löse die Probleme der Pflegeversicherung nicht, kritisierte der Sozialverband Deutschland (SoVD). Erst einmal würden die Kinderlosen zur Kasse gebeten, die Strukturreform folge später. "Das ist Flickwerk", sagte Verbandspräsident Adolf Bauer. Er mahnte eine strukturelle Reform an, die die Versorgung Demenzkranker verbessere, die ambulante Pflege stärke und die Leistungen der Pflegeversicherung dynamisiere.