Tschechien Die Ärzte sind immer da

Das vor dem EU-Beitritt befürchtete Horrorszenario einer Massenabwanderung von Ärzten ins westliche Ausland hat nicht stattgefunden. Dennoch sind einige hundert gegangen - meist nach Deutschland.

Ein Jahr nach Tschechiens EU-Beitritt atmet die Ärztekammer des Landes auf: Die befürchtete Massenabwanderung heimischer Mediziner in westliche Mitgliedsländer blieb bisher aus. "Die Bilanz seit Mai 2004 zeigt, dass es um Einzelfälle geht", meint ein Sprecher der Dachorganisation in Prag. Ähnlich sieht es die Direktorin des Krankenhauses in Breclav (Mähren), Vladimira Danihelkova: "Die Lage ist keinesfalls dramatisch. Als EU-Mitglied müssen wir uns eben daran gewöhnen, dass Experten gehen und kommen."

Deutschland hat Bedarf für 15.000 Mediziner

Im September 2003 hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Bereitschaftsdienste von Ärzten in Krankenhäusern voll auf die Arbeitszeit anzurechnen seien. Das gelte auch dann, wenn ein Arzt während der Bereitschaft in der Klinik schlafen kann, urteilte das Gericht auf der Grundlage der Arbeitszeitrichtlinie. Ärzteverbände in Deutschland schätzten daraufhin, dass etwa 15.000 Mediziner zusätzlich eingestellt werden müssten - die meisten davon wohl aus Rumänien, Bulgarien, Tschechien, Polen und der Slowakei.

Nach Angaben der Ärztegewerkschaft in Prag arbeiten heute mehrere hundert tschechische Ärzte in deutschen Krankenhäusern. "Grund ist oft die Bezahlung: In Tschechien bekommt ein Spitzenarzt umgerechnet 1000 Euro im Monat, in Deutschland ist es leicht das Fünffache", betont der Vorsitzende Milan Kubek. Nachdem die Bundesanstalt für Arbeit im Frühjahr 2002 ihr Monopol abgegeben hatte, vermittelte allein die Leipziger Agentur Scherl & Partner innerhalb eines Jahres mehr als 40 Ärzte aus Osteuropa nach Deutschland.

Keine Völkerwanderung

Schon damals meinte ein Mitarbeiter des sächsischen Unternehmens, dass das Abwerben für die betroffenen Länder keinen Aderlass darstelle: "Es handelt sich ja nicht um eine Völkerwanderung von Tausenden Ärzten." Tatsächlich sei kein ausgesprochener Trend erkennbar, unterstreicht der Gesundheitsbeauftragte Josef Drbal. Und auch Erna Micudova vom Krankenhaus in Brno (Brünn) glaubt, dass nur "erfahrene Experten von Intensivstationen" im Ausland Chancen haben.

"Wenn jemand eine Fremdsprache beherrscht, kann er etwas in Deutschland, Österreich oder Großbritannien erreichen", meint Petr Svoboda von der Unfallklinik in Brno. "Den wirtschaftlichen Anreizen des westlichen Auslands können wir in Tschechien derzeit wenig entgegensetzen." Schon vor einigen Jahren hätten daher tschechische Krankenhäuser ihrerseits begonnen, Ärzte vor allem aus Weißrussland und der Ukraine anzuwerben, sagt Drbal: "Der Bedarf ist aber derzeit gering, weil eben die befürchtete Massenabwanderung tschechischer Mediziner ausgeblieben ist."

Der ganze Markt ist in Bewegung

Jedoch wird das ausländische Interesse an Tschechen nach Schätzungen der Ärztekammer in Prag langfristig eher steigen: "Wir stellen eine zunehmende Abwanderung von deutschen Medizinern nach Skandinavien und England fest, wo sie mehr verdienen können. Und diese Ärzte müssen ersetzt werden." Bei jenen Tschechen, die das Land verlassen, sieht aber Direktorin Danihelkova sogar einen Vorteil: "Auslands-Erfahrung ist doch ein Plus. Jeder Mediziner, der in unser Land zurückkehrt, bringt wichtiges Know-how mit."

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Wolfgang Jung/DPA