Anzeige
Anzeige

Wohnungsnot in Deutschland Vonovia-Chef: "Bei uns gibt es keine Luxussanierungen"

Vonovia-Chef Rolf Buch
Vonovia-Chef Rolf Buch im Capital-Interview
© Malte Ossowski/SVEN SIMON/ / Picture Alliance
Konzerne wie Vonovia polarisieren: Sie verdienen prächtig mit ihren Wohnungen. Manche wollen sie verstaatlichen. Für den Chef von Vonovia, Rolf Buch, ist gerade die Börse die Lösung für die Wohnungsnot. Mit Capital sprach er über Enteignung und Wohnungsnot.
Von Jenny von Zepelin und Timo Pache

Herr Buch, einige Politiker diskutieren gerade eifrig die Enteignung großer Wohnungskonzerne. Müssten Sie nicht froh sein, wenn Ihnen der Staat die 400.000 Vonovia-Wohnungen zu den aktuellen Preisen abnehmen würde?

ROLF BUCH: Nein, über einen Zwangsverkauf wäre ich nicht froh. Wir sind mit unseren Wohnungen ganz zufrieden und möchten sie langfristig behalten.

Aber einen besseren Preis bekommen Sie kaum.

Unser gesamtes Portfolio ist 44 Mrd. Euro wert. Abzüglich der Schulden müsste eine Kommune oder ein Land immer noch einige Milliarden aufbringen, um unseren Marktpreis zu zahlen. Das ist doch absurd. Im Übrigen sind wir ein öffentliches Unternehmen, man kann unsere Aktien an der Börse kaufen und mit einer Mehrheit unsere Geschäftspolitik bestimmen. Dafür braucht es keine Enteignung. Ich glaube zudem nicht, dass damit die aktuellen Probleme gelöst werden.

Wie konnte es so weit kommen, dass wir wieder über Enteignung und Verstaatlichung diskutieren?

Wenn wir ehrlich sind, haben wir alle die Entwicklung in Deutschland falsch eingeschätzt. Vor 15 Jahren haben wir gedacht: Ab jetzt werden wir schrumpfen, die Städte werden irgendwann leer sein, wir brauchen weniger Wohnraum. Diesen langen Wirtschaftsaufschwung, den Zustrom in die Städte und aus anderen EU-Staaten, dann die Flüchtlinge – all das hat niemand für möglich gehalten. Und dann brauchen wir auch noch viel zu lange, um zu reagieren. Es ist schlimm, aber wir alle haben die Entwicklung verpennt.

Umsatz, Gewinn, Dividende – jedes Jahr legen Sie für Vonovia neue Rekordzahlen vor. Kann es sein, dass ein börsennotierter Konzern doch nicht der richtige Anbieter für bezahlbaren Wohnraum ist?

Ja, wir haben gute Zahlen. Aber bei den Problemen, vor denen wir stehen, sollten alle froh sein, wenn wir gesunde Unternehmen haben, die helfen können.

Das sehen Politiker wie Kevin Kühnert und Robert Habeck anders.

Die beiden könnten sich auch freuen, dass große Investoren aus dem Ausland bereit sind, mit ihrem Geld Wohnungen – nicht nur luxuriöse, sondern auch bezahlbare – in Deutschland zu bauen. Wir müssen in den nächsten zehn Jahren 800 Mrd. Euro investieren, um alle Ziele für den Wohnungsmarkt – energetische Sanierung, altersgerechte Bauten und Integration – zu erreichen. Woher soll dieses Geld kommen? Zusätzliche 80 Mrd. Euro pro Jahr gibt kein Staatshaushalt her. Wir brauchen auch andere Geldquellen.

Was kann Vonovia denn besser als andere Anbieter?

Wir sind mit einer durchschnittlichen Miete von 6,56 Euro pro Quadratmeter günstiger als viele andere Vermieter. Wir akzeptieren den Mietspiegel und halten uns an die Mietpreisbremse. Wenn unsere Zahlen besser werden, liegt das vor allem an unserer Größe: Je größer wir sind, desto günstiger können wie jede unserer Wohnungen bewirtschaften. Zum Beispiel bei Sanierungen: Kaum jemand in Deutschland kann so billig Fenster einkaufen wie wir.

Trotzdem beschweren sich Vonovia-Mieter über Luxussanierungen und dramatisch steigende Mieten.

Bei uns gibt es keine Luxussanierungen. Weshalb wir die Umlage, die wir nach einer Sanierung auf die Miete aufschlagen dürfen, für unsere Mieter bei 2 Euro pro Quadratmeter begrenzt haben, im Durchschnitt liegen wir bei 1,50 Euro.

Trotzdem viel, bei 60 Quadratmetern sind das 120 Euro im Monat.

Dafür haben wir ein gutes Härtefallmanagement. Übrigens, nach dem Gesetz wären auch 3 Euro erlaubt. Wir kalkulieren jetzt die Sanierungen so, dass 2 Euro reichen. Bedeutet aber, dass teurere Sanierungen ausfallen. Wir schieben im Grunde genommen den Klimaschutz auf, der für uns alle wichtig ist, um Mietern nicht zu viel zuzumuten. Ich finde das auch richtig, aber irgendwann müssen wir uns mal entscheiden, was wir wollen.

Dafür profitieren Ihre Investoren auch von Ihrem kräftigen Umsatz- und Gewinnwachstum. Denn deren Dividende finanzieren Sie ja auch durch Mieterhöhungen.

Ich wehre mich gegen den Eindruck, dass wir unsere Mieter ausnehmen. Unsere Gewinne in Deutschland investieren wir komplett in die Sanierung des Bestands und den Neubau – komplett! Jetzt könnten wir unsere Dividenden, die aus den Verkaufserlösen kommen, kürzen, aber dann müssten wir mehr investieren. Nur ganz ehrlich: Wir bekommen das Geld doch gar nicht ausgegeben, wir könnten gar nicht mehr bauen oder sanieren. Das müssen wir Kevin Kühnert und allen anderen offenbar noch besser erklären.

Wir diskutieren über Wohnungsnot, und Sie können nicht ein paar Millionen mehr investieren?

Ja, auch unsere Investoren in den USA oder Asien verstehen das nicht. Aber wir in Deutschland haben verlernt zu bauen. Es fehlen die Leute dafür – in der Verwaltung, in den Unternehmen und in der Bevölkerung. Wir könnten auf unseren Grundstücken 36.000 zusätzliche Wohnungen bauen. Aber wir bekommen keine Baugenehmigungen, die Behörden kommen nicht hinterher.

Das ist die bekannte Klage über die überforderte Verwaltung.

Nicht nur. Die Zahl der Vorschriften hat sich vervierfacht, von 5000 auf 20.000. Die gibt es nur auf Deutsch, da helfen uns keine spanischen Ingenieure und Architekten. Mehr Regeln und weniger Leute führen zu Stau bei den Genehmigungen. Und dann gibt es den Widerstand von Anwohnern, weil niemand möchte, dass in seiner Nachbarschaft gebaut wird. Die Leute wollen keinen Lärm und keinen Dreck – und Bauen macht nun mal Lärm und Dreck. Ich kann das verstehen, aber das ist wirklich frustrierend.

Aber es sind sich doch alle einig, dass mehr gebaut werden soll.

Ja, in den Sonntagsreden immer gerne. Aber niemand ist derzeit in der Lage, in der Bevölkerung die dafür nötige Akzeptanz zu schaffen. Viele Bürgermeister erteilen kurz vor einer Wahl keine Baugenehmigungen mehr; zumal wenn sie ahnen, dass die neuen Bewohner politisch vielleicht ganz anders ticken als ihre bisherige Klientel. Die Kommunen weisen kein neues Bauland aus, weil sie nicht von der Wertsteigerung durch die Umwandlung von Acker- in Bauland profitieren. Dafür haben sie aber hohe Kosten für die neue Infrastruktur. Nur: Ich kann nicht mehr Klimaschutz wollen, aber jede Sanierung ablehnen. Ich kann nicht mehr Wohnungen fordern, aber jedes Bauprojekt bekämpfen. Wenn wir das nicht lösen, wird die Bevölkerung sauer – zu Recht.

Der Groll trifft nun Sie. Wie fühlt es sich an, Buhmann der Nation zu sein?

Als ich von Bertelsmann zur Deutschen Annigton – so hieß Vonovia damals noch – gewechselt bin, war mir schon klar, dass mich hier ein sehr viel politischerer Job erwartet. Ich wusste, dass man auch mal negativ dastehen kann. Die teilweise absurden Züge der jetzigen Diskussion hatte ich allerdings nicht erwartet. Den Druck aus der Gesellschaft halte ich dennoch für berechtigt. Denn Wohnungen sind kein Auto und keine Urlaubsreise, sondern ein elementares Bedürfnis. Wenn wir nicht sehr viel mehr tun, um allen Menschen ordentlichen und bezahlbaren Wohnraum bieten zu können, ist unser gesellschaftlicher Friede gefährdet – ich meine das ganz ernst.

Was können Sie denn tun, um den Missstand zu beheben?

Wir arbeiten an vielen Projekten. Wir testen zum Beispiel eine engere Zusammenarbeit zwischen unserer Bauabteilung und dem Bauamt einer großen Kommune hier im Ruhrgebiet und wie wir Prozesse optimieren können. Außerdem entwickeln wir Modelle für serielles Bauen, um die Baukosten noch weiter zu senken. In einem Kodex haben wir zusätzlich festgeschrieben, wie wir unsere gesellschaftliche Aufgabe verstehen und welchen Beitrag wir leisten wollen und können. Aber ich bin nicht demokratisch legitimiert, den gesellschaftlichen Diskurs zu moderieren.

Wir haben jetzt viel über Missstände geredet. Gibt es irgendwo ein Vorbild, an dem wir uns orientieren können?

Es gibt viele gute Beispiele: Hier in NRW etwa haben wir einen klaren Förderrahmen für den sozialen Wohnungsbau, mit dem können wir gut arbeiten. Sachsen hat so etwas auch – andere Bundesländer leider nicht. Das Modell in NRW könnten sie einfach abschreiben, dann wären viele Probleme gelöst. Aber so weiß ich nicht, wie wir in den großen Städten die vielen Menschen unterbringen sollen, die jedes Jahr da hinziehen.

Wien wird auch immer genannt.

Wien ist tatsächlich spannend. Aber auch komplizierter, als es hier oft dargestellt wird. Die Mieten sind nicht vergleichbar, und die sozialen Wohnungen, von denen es dort wirklich viele gibt, sind in Wahrheit schwer zu bekommen. Und Mieter bringen beim Einzug in solch eine Wohnung Geld mit, ähnlich wie bei einer Genossenschaft. Aber Wien betreibt seit mehr als 100 Jahren sozialen Wohnungsbau, wandelt konsequent selbst Ackerland in Bauland um. Wenn wir das in Deutschland so handhaben würden wie die Wiener, dann würde uns das jedes Jahr 20 Mrd. Euro kosten. Und zwar über Jahrzehnte. Das muss man sich leisten können und auch wollen.

Das Interview ist in Capital 06/2019 erschienen. Interesse an Capital? Hier geht es zum Abo-Shop, wo Sie die Print-Ausgabe bestellen können. Unsere Digital-Ausgabe gibt es bei iTunes und GooglePlay.

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel