Die Bilder wiederholen sich. Ob G20-Treffen in Mexiko, EU-Gipfel in Brüssel oder die für das kommende Wochenende geplante Zusammenkunft der Bundeskanzlerin mit dem französischen Präsidenten und den Premierministern aus Italien und Spanien: immer steht Angela Merkel alleine einer Übermacht spendierfreudiger Männer gegenüber.
Alle wollen sie zwar Stabilität. Nur so könne das Vertrauen von Sparern und Investoren in den Euro zurückkehren. Kein Zweifel besteht unter den Regierungschefs, dass gesunde Finanzen unverzichtbar sind, um weit verbreitete Ängste vor Staatspleiten, erzwungenen Umschuldungen, Hyperinflation oder Währungszerfall zu beseitigen. Wie aber gelingt der Ausstieg aus einer Schuldenwirtschaft - die mittlerweile dazu führte, dass Geld entweder gar nicht mehr oder wenn, dann nur zu horrenden Zinsen nach Südeuropa verliehen wird, so wie es in den vergangenen Tagen für Spanien geschah?
Merkel in der Zwickmühle
Einzig die Bundeskanzlerin will Stabilität über weniger Ausgaben und einen harten Sparkurs erreichen. Ihre Kollegen hingegen plädieren dafür, aus den Schulden zu wachsen. Notfalls auch durch Konjunkturprogramme, die wiederum auf Pump finanziert werden. Selbst und gerade die europäischen Linken setzen in der Eurokrise auf die Wachstumskarte. Das überrascht. Während Jahrzehnten war ihnen dieses Ziel Graus und Gräuel. Da wurde über "Grenzen des Wachstums" diskutiert. Ein Ende des Wachstumsfetischismus war die Folgerung und die Forderung der Linken. Die europäische Staatschuldenkrise erwirkt ein Umdenken. Was Fukushima für die Energiepolitik der Schwarzen und Gelben, wird der Euro für die Wirtschaftspolitik der Roten und Grünen. Ein Grund zur ideologischen Umkehr.
Mit Nachdruck drängen in Deutschland die rot-grüne Opposition und im Ausland der neue französische Staatspräsident, der Sozialist Francois Hollande, die Bundeskanzlerin und ihre schwarz-gelbe Regierung zu einem Richtungswechsel. Wachstumsimpulse anstelle eines Sparkurses werden gefordert. Mit 120 Milliarden Euro will Hollande Wachstum und Beschäftigung fördern. Der von Angela Merkel eingeforderte europäische Fiskalpakt müsse von einem Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit und Investitionen in Forschung und Innovation sowie einem Ausbau von Leitungen für Energie, Kommunikation, erneuerbare Energien und Strukturhilfen für die schwächeren und überschuldeten Euro-Länder flankiert werden, verlangen hierzulande die Sozialdemokraten für ihre Zustimmung zum Fiskalpakt.
Soll Angela Merkel den von weiten Teilen der Bevölkerung gutgeheißenen und entsprechend unterstützten Sparkurs konsequent durchziehen? Oder soll sie ihn aufweichen, um die Linken ins gemeinsame Boot zur Eurorettung aufzunehmen, selbst wenn sie damit einen Ansehensverlust bei den Wähler(inne)n riskiert? Wer von der Bundeskanzlerin eine "entweder Sparen, oder Wachsen"-Entscheidung einfordert, verfällt einmal mehr in ein vereinfachtes ideologisches "Gut-Schlecht"-Denken. Klüger ist es in diesem Falle jedoch, eine "Sowohl als auch"-Strategie zu verfolgen. Denn in einer Situation, in der weite Teile Europas in der Krise sind und einzig Deutschland die wirtschaftliche Potenz hat, Schlimmeres zu verhüten, braucht es beides: eine Wachstums- und eine Stabilitätspolitik.
Die richtige Mischung machts
"Sparen" und "Wachsen" schließen einander nicht aus. Im Gegenteil: Sie bedingen sich gegenseitig. Wichtig sind jedoch das Timing und die Mischung. Ohne Wachstum ist alles nichts. Da hat die Opposition Recht. Aber ohne strukturelle Modernisierung der überalterten südeuropäischen Wirtschaftssysteme wird ein kreditfinanziertes Wachstum nicht nachhaltig sein. Deshalb hat die Bundeskanzlerin Recht. Wird das Strukturproblem in den überschuldeten Euroländern nicht gelöst, ist auch die Vertrauenskrise nicht in den Griff zu bekommen. Dann wird es immer wieder von neuem zu Spannungen und Konflikten innerhalb des Euro-Raumes kommen. Und immer mehr neues Geld muss dem alten, längst verlorenen nachgeworfen werden.
Bei einer Doppelstrategie des "Wachsens" und "Sparens" geht es wie beim Schachspiel Zug um Zug. Einmal müssen die überschuldeten Euro-Länder ihre Hausaufgaben erledigen, Verwaltung und Steuerbehörden modernisieren und schrittweise beginnen, ihre Staatshaushalte zu sanieren. Das einzufordern, ist Ziel des Fiskalpaktes. Dann aber bedarf es der finanziellen Hilfe von außen, insbesondere bei der Refinanzierung alter Staatsschulden, deren Fälligkeit in den nächsten Monaten ansteht. Die stärkeren Euro-Länder und damit insbesondere Deutschland müssen dem Süden bei der langen und langsamen Durchquerung des tiefen Tals der Tränen behilflich sein. Dafür sollen Hilfen und Rettungsschirme bereitgestellt werden. Denn erst wird bei Strukturreformen manches schlechter, bevor dann später vieles besser werden kann. In der Zeit des Wandels werden die Staatshaushalte eher höhere als geringere Defizite ausweisen. Diese größer werdenden Löcher gilt es zunächst von außen zu stopfen. Erst danach kann dann eine Reparatur von innen gelingen.
Angela Merkel wird nicht müde, immer und immer wieder die Doppelstrategie des "Wachsens" und "Sparens" zu erläutern. Wann endlich, werden ihr die Kollegen und die (deutsche) Bevölkerung wirklich zuhören?