Wer diese Woche bei Penny einkauft, muss feststellen: Auf den Preisschildern von neun Produkten ist der günstigere Preis durchgestrichen, daneben steht ein höherer Preis. Die Würstchen kosten jetzt etwa 6,01 Euro statt 3,19 Euro, der Mozzarella 1,55 Euro statt 89 Cent und der Fruchtjoghurt 1,44 Euro statt 99 Cent. Die Discounter-Kette sagt: Das ist der "wahre" Preis. Denn was wir momentan normalerweise an der Supermarktkasse bezahlen, entspricht nicht den tatsächlichen Kosten (der stern berichtete).
Hinter den "wahren Kosten" stecken all die externen negativen Effekte, die die Produktion und der Konsum von Lebensmitteln auf die Umwelt haben. Anstatt an der Kasse mehr dafür zu bezahlen, dass Grundwasser verunreinigt wird oder dieselbetriebene Traktoren bei der Ernte CO2 ausstoßen, zahlt die Gesellschaft indirekt den Aufpreis.
Penny will auf diese Kosten aufmerksam machen und wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen. Das Projekt findet in Zusammenarbeit mit der Uni Greifswald und der Technischen Hochschule Nürnberg statt, die auch die Umweltkosten für die neun ausgewählten Produkte berechnet haben: Dazu wurde für jeden Schritt des Produktionsprozesses des jeweiligen Produkts die ökologische Wirkung ermittelt, zum Beispiel der Emissionsverbrauch. Diese wurden dann in Geldeinheiten umgewandelt und entsprechend mit den Schadenkosten verrechnet.
Lebensmittelpreise: "Billig kommt uns auf Dauer teuer zu stehen"
Die Preisveränderungen der angebotenen Produkte geben einen Hinweis darauf, was ihre Auswirkungen sind. Während konventionelle Wiener Würstchen und Käse teurer werden, steigt der Preis von veganen Schnitzeln nur von 2,69 Euro auf 2,83 Euro. Auch die Preise von Bio-Produkten steigen bei der Aktion weniger stark. "Die industrielle Fleischerzeugung zählt zu den Hauptverursachern von Nitrat im Grundwasser", erklärt Reinhild Benning von der Deutschen Umwelthilfe dem Wirtschaftsmagazin "Capital". Die Menschen in Regionen mit hoher Tierdichte hätten mit steigenden Wasserpreisen zu kämpfen. Benning meint: "Billig kommt uns auf Dauer teuer zu stehen."
Tatsächlich sind die sogenannten Umweltkosten wirtschaftlich relevant. 2020 verursachten die deutschen Treibhausgas- und Luftschadstoff-Emissionen Kosten in Höhe von mindestens 217 Milliarden Euro, gibt das Umweltbundesamt an. Werden die Auswirkungen des Klimawandels extremer, zum Beispiel durch Dürre oder Überschwemmungen, steigen auch die Kosten nochmal weiter.
Bisher ist jedoch keine dieser Auswirkungen in unseren Lebensmittelkonsum eingepreist. "Es gibt keine Regel, nach der ein Produkt teurer wird, je mehr Umweltschäden es verursacht", sagt Benning. "Im Gegenteil entnehmen wir der Natur etwas, ohne dafür zu bezahlen. Derzeit ist der Fleischpreis so gering, dass wir einen höheren Konsum haben, als wir ihn hätten, wenn die wahren Preise an den Regalen stünden."
Ökonomisch betrachtet verursachen die geringen Preise einen Marktfehler, erklärt der Ökonom Tobias Gaugler von der Technischen Hochschule Nürnberg. "Wir bezahlen einen Preis für Lebensmittel, der weit geringer ist als wir ihn der Umwelt, der Gesellschaft und künftigen Generationen schulden", sagt er. "Wenn die Effekte sozialer und ökonomischer Natur nicht in den Preis internalisiert sind, entsprechen weder die Preise noch die Nachfragemenge der Realität."
Wäre eine Korrektur des Marktfehlers schlecht für die Verbraucher?
So werde auch kein Anreiz geschaffen, die Entwicklung umweltfreundlicher Techniken und Produkte voranzutreiben, stellt das Umweltbundesamt fest. Eine flächendeckende Einführung der Umweltkosten ist laut Experten zwar möglich, würde den Endverbraucher aber enorm belasten. Viele Menschen könnten sich die steigenden Preise schlicht nicht leisten. Schon bei dieser Aktion fragt man sich: Wer kauft überhaupt die teureren Produkte? Penny hat die Mengenkalkulationen für die betroffenen Produkte angepasst und rechnet bei der Aktion mit einem Umsatzrückgang in Höhe eines einstelligen Millionenbetrags. Andererseits liegen die Wachstumsraten im Ökolandbau laut Umwelthilfe um ein Vielfaches höher als beim konventionellen Anbau.
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Sie sind reich an Proteinen, solange sie aus sauberen Gewässern stammen. Denn Muscheln filtern das Wasser, in dem sie wachsen. Weil Muscheln sich von Phytoplankton ernähren, benötigen sie nur einen Bruchteil des Ökosystems, um ihr Protein herzustellen. Kein anderes tierisches Eiweiß ist demnach nachhaltiger.
Trotzdem sind sich die Beteiligten einig: Eine dauerhafte Erhöhung der Kosten an der Kasse ist nicht die Lösung. Gaugler hält es ohnehin für sinnvoller, früher in der Kette anzusetzen. "Man könnte schon beim Erstinverkehrbringer ansetzen, der Umweltfolgen verursacht oder vielleicht sogar davor beim Düngemittelproduzenten oder bei Importen", sagt er. "Wenn wir innermarktliche Prozesse hätten, mit denen gar nicht so hohe Folgeschäden anfallen, wären auch die Vermeidungskosten geringer und der Endkunde weniger belastet." Heißt: Wenn es gar keine Umweltschäden gibt, gibt es auch keine Umweltkosten.
Denkbar seien Verbote bestimmter Antibiotika in der Tierhaltung, Abgaben für Stickstoff- und Pestizidausstoß und eine Obergrenze für CO2-Emissionen. An dieser Stelle sei die Politik gefragt. "Wir sehen primär die Politik in der Verantwortung", sagt Gaugler. "Sie muss Rahmenbedingungen setzen, damit für alle Einzelhändler und Discounter das gleiche Feld herrscht."
Bei der Penny-Aktion soll eine Studie mit Handlungsempfehlungen für Politik, Landwirtschaft und Gesellschaft entstehen. Und obwohl höhere Preise auf den ersten Blick nicht zum Kauf anregen, erhofft sich Penny von der Aktion wohl auch einen kleinen Marketing-Erfolg.
Dieser Artikel erschien zuerst an dieser Stelle beim Wirtschaftsmagazin "Capital", das wie der stern zu RTL Deutschland gehört.