Mit drastischen Einsparungen und weit reichenden Tarifzugeständnissen der Belegschaft will Europas größter Autokonzern Volkswagen die aktuelle Ertragskrise überwinden und seine Wettbewerbsfähigkeit steigern. Angesichts des Kostendrucks in der von Preiskämpfen gezeichneten Branche will der Vorstand die Arbeitsverhältnisse neu ordnen und leitet den Ausstieg aus dem Haustarif ein. Ähnlich wie vor einem Jahrzehnt, als VW durch die Vier-Tage-Woche den Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen verhinderte, sollen erneut die Beschäftigten mit Verzicht auf Lohnzuwächse Stellen in Deutschland sichern.
Nullrunde gleich zwei Jahre lang
Löhne und Gehälter sollen in den sechs westdeutschen Automobilwerken gleich zwei Jahre lang nicht steigen, kündigte VW-Personalchef Peter Hartz am Montag in Wolfsburg an. "Es besteht null Spielraum für Einkommenserhöhungen." Letztlich gehe es um die Entscheidung "Arbeitsplatz oder Lohnerhöhung", betonte Hartz. Die Belegschaft solle bei den Mitte September beginnenden Tarifverhandlungen mit der IG Metall einem Konzept zustimmen, durch das die Personalkosten binnen sechs Jahren um zwei Milliarden Euro gesenkt würden. Neu eingestellte Beschäftigte sollen bei VW ab 2005 nur noch nach dem Flächentarif arbeiten. Der VW-Haustarifvertrag sichert den rund 103.000 Beschäftigten der westdeutschen Werke - konzernweit hat VW in Deutschland gut 176.000 Mitarbeiter - bislang Einkommensvorteile von elf Prozent im Vergleich zur deutschen Konkurrenz und von 20 Prozent gegenüber der übrigen Metallindustrie.
Wenn es VW nicht gelinge, den Haustarif günstiger zu gestalten, "müssen wir sehen, wie wir die Wettbewerbsfähigkeit herstellen", sagte Hartz, der als Mitglied der IG Metall bei Volkswagen die Position des Arbeitsdirektors bekleidet. Die Gewerkschaft drohte umgehend eine harte Tarifauseinandersetzung an. "Falls der Vorstand bei seinen überzogenen Forderungen bleibt, wird es eine sehr konfliktträchtige Tarifrunde, auf die wir aber hervorragend vorbereitet sind", sagte Bezirkschef Hartmut Meine mit Blick auf den hohen Organisationsgrad seiner Gewerkschaft von 97 Prozent bei VW. Meine kritisierte zudem, dass Volkswagen nicht zu der von der IG Metall geforderten zehnjährigen Arbeitsplatzgarantie bereit sei. Eine solche Garantie war von Wirtschaftsexperten schon als "abwegig" und "unverantwortlich" kritisiert worden, VW lehnte dies am Montag ebenso ab. Die Gewerkschaft will verhindern, dass der Konzern angesichts der Überkapazitäten in vielen Werken im Inland Personal abbaut und Arbeitsplätze nach Osteuropa verlagert.
Wettbewerbsnachteil durch Personalkosten
"Die Volkswagen AG hat in ihren sechs westdeutschen Werken gegenüber den deutschen Wettbewerbern einen deutlichen Nachteil bei den Personalkosten", begründete Hartz die Einsparungen. Um in dem harten Wettbewerb auch künftig eine große Zahl von Beschäftigten im Inland haben zu können, seien Zugeständnisse der Belegschaft nötig. "Wir müssen gemeinsam und mit Mut auch an unbequeme Lösungen herangehen, und nicht den bequemen Weg der Standortverlagerung oder Standortflucht ins Ausland einschlagen." Börsianer kritisieren, dass Volkswagen mit zu hohen Kosten produziert und im Vergleich zu seinen Konkurrenten zu wenig Gewinn erwirtschaftet. Die VW-Aktie legte in einem festen Gesamtmarkt mehr als drei Prozent auf fast 32 Euro zu und gehörte zu den größten Gewinnern im Deutschen Aktienindex (Dax).
VW will der IG Metall vorschlagen, das Vergütungssystem mit 22 Entgeltstufen und mehr als 4000 Tätigkeitsbeschreibungen deutlich auf zwölf Stufen zu reduzieren. Langfristig soll fast ein Drittel des Gesamteinkommens der Beschäftigten vom Gewinn des Unternehmens abhängig sein. Generell solle flexibler gearbeitet werden. Der Konzern wolle ein "demographisches Arbeitszeitmodell", erläuterte Hartz. In jungen Jahren sollten Beschäftigte mehr arbeiten und die auf Konten gutgeschriebene Arbeitszeit dann im Alter durch Freizeit abbauen. Überstunden sollten erst beim Überschreiten der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 40 Stunden gezahlt werden, bisher gilt dies ab 35 Wochenstunden. Auch sollen sich einzelne Standorte im internen Wettbewerb um Ausschreibungen freiwillig dazu verpflichten können, bei Bedarf temporär ohne Lohnausgleich länger zu Arbeiten als "Gegenleistung für Einmal-Investitionen".
Sparprogramm läuft weiter
Wegen der schwachen Autokonjunktur und des nach Worten von VW-Chef Bernd Pischetsrieder miserablen Geschäftsverlaufs im ersten Halbjahr hat Volkswagen unlängst seine Gewinnprognose für 2004 drastisch gesenkt. Statt der ursprünglich angepeilten 2,5 Milliarden Euro rechnet der Konzern nur noch mit einem operativen Gewinn vor Sondereinflüssen von 1,9 Milliarden Euro. Mit dem bereits laufenden Sparprogramm "ForMotion" zur Straffung der Strukturen will der Konzern in diesem Jahr mehr als eine Milliarde, im nächsten Jahr gut drei Milliarden Euro einsparen.