Seit Jahr und Tag tingelt Mercedes mit dem so genannten Grand Sports Tourer über Messen und Stände, nun konnten endlich die ersten handverschraubten Vorserienmodelle über Schweizer Straßen bewegt werden.
Zunächst ist die Idee zu loben, eine Interpretation des Themas "Mini-Van" auch den gehobenen Ständen anzubieten. Nicht einzusehen, dass im günstigen und sozialverträglichen Preisbereich immer mehr schlaue und individuelle Konzepte angeboten werden, für diejenigen aber, die Transportraum für die ganze Familien suchen und im Regal oberhalb des 50.000 Euro Preisschildes wühlen, nur die altbekannte Luxuslimousine angeboten wird. Da greift man ja schon aus Frust zum prestigeträchtigen Geländewagen.
Technische Daten
Mercedes R-Klasse R500
Motor: V8-Zylinder
Hubraum: 4.966 ccm
Leistung: 306 PS
Drehmoment: 460 Nm
Von 0 auf 100: 7,0 sec
Höchstgeschw.: 245 km/h
Verbrauch (Mix): 13,3 Liter
Kofferraum: 314 bis 2.385 Liter
Länge: 5130 mm
Breite: 1922 mm
Höhe: 1656 mm
Nomen est omen
Muss man bei der B-Klasse schon ein wenig länger überlegen, warum sie ein "Sports Tourer" sein darf, während der überaus flotte neue Zafira ein "Pampersbomber" sein muss, hat es die R-Klasse vergleichsweise einfach: ein solches Fahrzeug gibt es woanders nicht. Den Laderaum bieten nur die zivilen Varianten der Nutzfahrzeuge oder die Langschiffe aus der "Mini-Van"-Klasse wie der Grand Voyager oder der Grand Espace. Auf den ersten Blick ist eine Verwechslung ausgeschlossen. Zu lang, zu elegant und zu prächtig wirkt die Familien-Titanic des Automobilbaus. Etwa so, wie man sich schon immer den etwas hochgeratenen Kombi zur S-Klasse gewünscht hätte. Gerade die Langversion schafft es gekonnt, die Dimension von über fünf Metern Länge geschickt zu verbergen. Die aufsteigende Linie an der Seite, die dynamische Form der Scheiben signalisieren Dynamik und Kraft. Das Heck wirkt stramm und ohne Tadel, nur die Frontpartie schnuffelt wie ein Delfin durch die Wellen des Verkehrs. Aus einigen Perspektiven schwappt der Wagen dann wie eine barocke Donauwelle heran.
Lass es gleiten
Gefahren wurde der Wagen mit amerikanischer Fahrwerksabstimmung und den beiden Benzin-Motoren, der Sechszylinder-Diesel war noch nicht verfügbar. Dabei sollte sein Drehmoment der richtige Antrieb für die Riesenschnitte sein. Der "kleine" Benziner mit "nur" 272 PS konnte zumindest nicht rundum glücklich machen. Nicht etwa, dass er die 2,5 Tonnen nicht hätte bewegen können. Doch der in dieser Klasse erwünschte Eindruck "müheloser Kraftentfaltung" kam zumindest in kurvigen Bergfahrten nicht auf. Das Update auf 306 PS behebt das Leistungs-Manko, aber ein Sportwagen wird auch mit dem Achtzylinder nicht geboren. Perfekt motorisiert wird die R-Klasse erst ein Jahr nach dem Verkaufsstart, dann kommt der V8-Diesel mit 730 Nm Drehmoment. Im Oktober wird der US-Markt mit dem Edel-Kombi beglückt, Europa muss bis zum Februar des nächsten Jahres warten.
Wie die Raumgestaltung erwarten ließ, handelt es sich bei der R-Klasse um ein äußerst komfortables Reise- und Langstreckenfahrzeug, bei dem vor allen Komfort und Variabilität im Innenraum groß geschrieben wurde. Handling und Agilität können für ein Fahrzeug dieser Dimension ebenfalls überzeugen. Die Einschränkung liegt auf dem Wort "Dimension", denn selbst die Ingenieure vom Daimler können die Physik nicht außer Kraft setzen. Trotz Allradantrieb drücken die 2,5-Tonnen in zu forsch gefahrenen Kurven mächtig nach außen und lassen sich natürlich nicht wie ein Sportflitzer bewegen. Hier ähnelt die R(aum)-Klasse dem Mini-Van mehr, als erwünscht. Für Europa wird es eine andere Fahrwerksabstimmung mit größeren Stabilisatoren und direkter Lenkung geben.
Das Wohlstandsimage
In Deutschland gilt Kinderreichtum als größte Gefahrenquelle für dauerhaften Bargeldmangel. Eines signalisiert die R-Klasse deutlich: Ihrem Fahrer ist es gelungen, dieses Missgeschick zu vermeiden. Er kombiniert Familienglück mit praller Brieftasche. Unübersehbar zeigt der Wagen allen, die es wissen oder auch nicht wissen wollen, dass hier die Familie des Besser-Besserverdieners daherrollt. Anderer Mini-Vans signalisieren, wissen die PR-Stratege von Mercedes, dass der "Fahrer seinen Speer zu Hause an die Wand gehängt hat." Wie wahr, seufzt man, denn wer mit dem Touran vor der Disko vorfährt, kann kaum als Single durchgehen. Aber den verschärften Sex-Appeal, den ein Porsche serienmäßig mitliefert, garantiert die R-Klasse dem Fahrer ganz gewiss nicht. Ihr Signal lautet weit eher: "hier kommt der dicke Max mit der dicken Marie". Zumindest von außen, denn im Inneren wurde der Schlagobers von Prunk und Protz eher ungleichmäßig verteilt. Am Raum wurde nicht gespart, auch der Bezug der Ledersitze besitzt eine Qualität, wie man sie nur in besseren Clubs geboten bekommt. Doch bei Material und Gestaltung von Armaturenbrett und Cockpit hört die Herrlichkeit auf, hier zeigt sich mehr Verwandtschaft mit der B-Klasse, als das Preisgefälle akzeptabel erscheinen lässt. Vom Glanz der goldenen Jahre ist da nichts zu spüren, für ein Fahrzeug, das wohlig eingerichtet gut und gern 70.000 Euro kosten wird, wirkt das Ambiente teilweise spartanisch.
Kostbarkeit im Überfluss
Wirklich kostbar sind die Dinge, die sich nicht beliebig vervielfachen lassen. Ausblick und Raum etwa, Disziplinen in denen R-Klasse tatsächlich eine eigene Klasse bildet. Wer einmal auf den Sesseln der zweiten Reihe Platz genommen hat, fühlt sich wahrhaft als Reisender. Draußen gleitet die Landschaft vorbei, nirgends ist man beengt oder behindert, es könnte Tage lang so weiter gehen. Im Vergleich zu diesem Gestühl verwenden andere Wagen nur Sperrsitze mit Sichtbehinderung. Der Zugang zu den beiden Plätzen der dritten Reihe ist elegant gelöst, auch hier sitzt man gut. Aber das "Pullmann-Gefühl" gibt es nicht. So oder so ist die dritte Reihe das angestammte Reservat der Gelenkigen im Lande. Im Familienfall bieten sie Platz für den Nachwuchs, im Buisinessbereich darf der Trainee hinten sitzen. So verschwenderisch wird der Raum fürs Wohlgefühl der Passagiere verbraucht, dass bei sechs Personen der Gepäckraum bedenklich schwindet. Für die große Reise braucht es dann allen Ernstes einen Dachgepäckträger, kann der Sports Tourer doch schlecht mit einem Lastanhänger kombiniert werden. Mit vier und auch mit fünf Passagieren wird die Gepäckraumkrise vermieden, dann sollte sich genug Raum fürs Köfferchen finden.
Hemmungen unerwünscht
Am Ende steht der Fahrer der neuesten Kreation von Daimler Chrysler etwas ratlos gegenüber. Ist diese Irritation das Zeichen dafür, dass wirklich etwas Neues geschaffen wurde? Etwas, das sich nicht sofort in einer Gedanken-Schublade abladen lässt? Beim wem es angesichts dieser Innovation gefunkt hat, sollte auf jeden Fall sollte zur Langversion greifen, getreu der Devise "wenn schon, denn schon." Auch mit der Kurz-Version wird aus dem Asphaltdampfer kein Schnellboot. Wichtig sind weiterhin unerschöpfliche Mittel und die Absicht, im Kreis der Lieben häufig ganz lange Reisen zu unternehmen. So entspannt, wie mit im R-Modell kommt man sonst gewiss nicht ans Ziel.