stern-Kolumne "Winnemuth" Alles gut?

  • von Meike Winnemuth
Was hat diese harmlose Frage nach Ihrem Befinden mit Glühbirnen zu tun? Mehr als Sie denken.

Guten Tag, frohes neues Jahr, alles gut bei Ihnen? Sie haben völlig recht: Wer so fragt, den interessiert die Antwort einen Dreck. Möglicherweise sollte ich anders beginnen:

Seit einiger Zeit beobachte ich eine schleichende Erosion in der Alltagsbegrüßung. Von "Na, wie geht's?" bröckelte es über "Geht's dir gut?" bis zum derzeitigen kieselsteingroßen Standardgruß "Alles gut?". Auf die mittlerweile historische Frage "Wie geht es dir?" konnte man sich noch aufgefordert fühlen, in zwei bis drei Sätzen zu antworten, nicht zu ausführlich und nur im Rahmen allgemeiner Höflichkeit der Wahrheit entsprechend, aber immerhin. Bei der Variante "Wie geht's, was treibst du gerade?" war sogar eine einminütige Selbstdarstellung inklusive der aktuellen Karrierestufe erlaubt.

Danach ging es rapide bergab mit dem geheuchelten Interesse. "Geht's dir gut?" kam zwar auf den ersten Blick sympathisch-empathisch daher, ließ aber nur eine Antwortmöglichkeit zu: "Danke, und selbst?" Die jüngste Emanation "Alles gut?" dagegen gestattet nur noch ein stummes, bestenfalls lächelndes Kopfnicken. Zwei Worte, eine knappe Geste – die Twitterversion moderner Anteilnahme.

Meike Winnemuth

Die Bestsellerautorin ("Das große Los") schreibt wöchentlich im stern. Und freut sich auf Sie. Was bewegt Sie gerade? Tauschen Sie sich mit unserer Kolumnistin aus: www.facebook.com/winnemuth. Die Termine ihrer Lesereise finden Sie auf vormirdiewelt.de
© Urban Zintel/DPA

Rituelles Gesabbel verknappen

Das könnte man nun als Fortschritt betrachten, als Entschlackung eines hohlen Rituals. Denn schon das Händeschütteln ist ja eine seit Jahrhunderten inhaltsleere Geste: Da wird freundlich die leere Waffenhand präsentiert – ich tu dir nichts, tu du mir auch nichts –, was überflüssig geworden ist, seitdem Schwerter aus der Mode sind.

Auch ich finde es prinzipiell nicht schlecht, rituelles Gesabbel zu verknappen. Gewisse Dinge will ich nun wirklich nicht wissen, zum Beispiel, was sich andere Leute an guten Vorsätzen fürs neue Jahr vorgenommen und welchen davon sie schon am 2. Januar gebrochen haben. Oder was sie geträumt haben. Bitte, könnte man sich das mal als guten Vorsatz vornehmen? Mir nie wieder Träume zu erzählen? Besonders jene nicht, in denen ich vorkomme?

Aber ich schweife ab, wie es das verdammte Recht von Kolumnisten ist, ich wollte nämlich gar nicht über Begrüßungen schreiben, sondern über Glühbirnen. Da gibt es einen Zusammenhang, glauben Sie mir: Kann es sein, dass wir die Tendenz haben, komplizierte Zusammenhänge, die wichtig für unser Seelenheil und unsere Menschlichkeit sind, brutal zu vereinfachen, während wir andererseits banalen Alltagsmist in den Rang von Hirnchirurgie erheben?

Wieso zum Beispiel ringt man sich unter Mühen ein "Alles gut?" ab, wenn man einander doch in die Augen schauen und wirklich nach dem Rechten fragen sollte? Wieso genügt für jede langwierige und schmerzhafte Trennung eines Paares neuerdings die grässliche Überschrift "Liebes-Aus"? Halten wir es nicht aus, dass die Dinge immer so uneindeutig sind und nie in einen Satz passen?

Die Kolumne ...

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Bitte hell und gemütlich

Wieso muss man andererseits neuerdings ein Physik-Proseminar belegt haben, um eine Glühbirne zu kaufen? Dass 40 Watt 415 Lumen entspricht und 60 Watt 710, kann ich mir gerade noch merken (bei LED sind das 7 bis 8 bzw. 9 bis 10 Watt, erklär mir das mal einer – nein, lieber nicht), aber dass ich mir auch noch Kelvin-Zahlen von 2000 bis 3300 (warmweiß) bzw. ab 5300 (Fabrikhalle) merken muss, bringt mich zur Raserei. Ich möchte vorschlagen: Irgendjemand kauft mir bitte eine Glühbirne, die hell, aber gemütlich ist (genauer habe ich es nicht), und ich stelle im Gegenzug ernst gemeinte, mitfühlende Fragen nach seiner Befindlichkeit. Es muss doch möglich sein, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren.

Ach, ich hör ja schon auf. Kolumnen-Aus. Alles gut.

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