Causa Böhmermann Merkels peinliches Possenspiel

Ein Gastbeitrag von Joachim Steinhöfel
Die Bundeskanzlerin lässt ein Strafverfahren gegen Jan Böhmermann wegen "Majestätsbeleidigung" zu und will den Paragraf gleichzeitig abschaffen. Dadurch ist der Fall Böhmermann mausetot, bevor er geboren wird.

Am Freitag vergangener Woche trat Bundeskanzlerin Merkel (CDU) vor die Öffentlichkeit und gab ihre viel diskutierte Entscheidung in der Causa Böhmermann bekannt. Ganz zum Schluss wies Merkel darauf hin, dass "die Bundesregierung der Auffassung ist, dass Paragraf 103 des Strafgesetzbuches als Strafnorm zum Schutz der persönlichen Ehre für die Zukunft entbehrlich ist. Wir werden deshalb einen Gesetzentwurf zu seiner Aufhebung vorlegen. Der Gesetzentwurf soll noch in dieser Wahlperiode verabschiedet werden und 2018 in Kraft treten."

Ein Gesetzgebungsverfahren, das die simple Aufhebung einer Vorschrift (hier: Paragraf 103 StGB, vulgo: Majestätsbeleidigung) zum Gegenstand hat, dauert bei normalem Verfahrensgang sechs bis neun Monate. Spätestens Anfang 2017 wäre die Vorschrift also verschwunden. Und nicht erst 2018, wie Frau Merkel unerklärlicherweise bemerkt.

Dies hat - erst recht, weil öffentlich bekannt gemacht - erhebliche Rechtsfolgen. Denn nach der Strafprozessordnung (Paragraf 206b StPO) gilt: Wenn ein Strafgesetz, das zur Tatzeit gilt, vor der Entscheidung des Gerichts aufgehoben wird, stellt das Gericht das Verfahren durch Beschluss ein. Mit anderen Worten: Ist der Fall Böhmermann vor Wegfall der "Majestätsbeleidigungsvorschrift" nicht rechtskräftig geworden, gibt es keine Verurteilung und keine Strafe.

Böhmermann-Erdogan-Verfahren wird zur Posse

Natürlich weiß Böhmermanns Anwalt dies. Er wird daher alles tun, um das Verfahren zu verzögern: Verfahrensrügen, Verlegungsanträge, Befangenheitsanträge, Rechtsmittel.

Natürlich weiß dies auch die Staatsanwaltschaft und das mit der Sache befasste Gericht. Ersichtlich ist es völlig idiotisch, auch nur die geringste Energie in dieses Verfahren zu investieren, wenn schon an dessen Beginn mit Sicherheit feststeht, dass es früher oder später eingestellt werden muss. Die Justiz weiß ihre Ressourcen in der Regel sinnvoller und für wichtigere Strafverfahren einzusetzen.

Der Fall ist mausetot, bevor er geboren wurde

Joachim Nikolaus Steinhöfel

Jahrgang 1962, gilt als einer der renommiertesten Rechtsanwälte Deutschlands im Bereich Wettbewerbs- und Presserecht. 

Steinhöfel studierte Rechtswissenschaften an der Universität Hamburg und gründete 1989 seine Kanzlei "Rechtsanwälte Steinhöfel" in Hamburg. In seiner Laufbahn hat er mehr als 200 Fälle bis zum Bundesgerichtshof hochprozessiert und größtenteils auch gewonnen. Neben seiner Anwaltstätigkeit ist er Autor beim politischen Blog "Die Achse des Guten" und schreibt auf www.steinhoefel.com.

Und: Warum sollte sich eine Staatsanwaltschaft oder ein Gericht, egal wie jeweils entschieden wird (Wird durch die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben? Wird die Anklage vom Gericht zugelassen? Wird vom Gericht verurteilt oder freigesprochen?), ohne Not zum Gegenstand der sich schon jetzt überschlagenden öffentlichen Debatte machen?

Die Akte Böhmermann wird alles andere erleben als einen beschleunigten Verfahrensgang. Der Fall ist mausetot, bevor er geboren wird.

Womit wir wieder bei der Bundeskanzlerin wären, die jetzt, nach Rechts- und Verfassungsbrüchen in Serie (Energiewende, "Euro-Rettung", Flüchtlingskrise), den Rechtsstaat wieder entdeckt zu haben vorgibt. Auch sie weiß natürlich, wie das Verfahren gegen Böhmermann enden wird. Ist es doch ihre Regierung, die die "entbehrliche" Strafnorm durch das Parlament aufheben lassen möchte.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Merkel ist nicht die Retterin des Rechtsstaates, als die sie hier und da, wenn auch nur von einer Minderheit, gefeiert wird. Sie ist die Protagonistin eines schamlosen Possenspiels, mit dem die bundesdeutsche Bevölkerung, die deutsche Justiz und letztlich auch der türkische Staatspräsident für dumm verkauft werden sollen.