Nahverkehr mit Rekordjahr Bahn, Bus, Auto: Deutschlands Städte stecken im Mobilitätsdilemma

Der Öffentliche Nahverkehr erlebte 2016 ein Rekordjahr - nie fuhren mehr Menschen mit Bussen und Bahnen. Dennoch steigt auch die Zahl der zugelassenen Autos. Deutschland braucht neue Mobilitätsideen für die Großstädte.

Am Heiligabend herrschte in der Innenstadt von Hamburg totale Flaute. Die Wohngebiete waren wie ausgestorben. Dort, wo Menschen abends stundenlang nach Parkplätzen suchen müssen, gab es unzählige freie Flächen. Ganz klar: Die Studenten und jungen Familien waren ausgeflogen, um daheim bei den Eltern das Weihnachtsfest zu feiern. Das merkte man spätestens dann, wenn man ein Carsharing-Auto brauchte. Denn die parkten vor allem in den teuren Gebieten um die Alster oder in den grünen Vororten. Die geteilten Autos waren also keine Alternative, um die eigene Wohngegend zu verlassen. 

Nahverkehr boomt

Der Öffentliche Nahverkehr hatte sich auf die Reisefreudigkeit der Hansestadt eingestellt. Busse und Bahnen fuhren deutlich häufiger als an anderen Feiertagen. Die Menschentrauben an den wichtigen Bushaltestellen zeigen: Ohne Nahverkehr geht nichts in der Stadt. Deutschlandweit verzeichnen Busse und Bahnen im gerade abgelaufenen Jahr einen neuen Rekord: 2016 sind 10,2 Milliarden Fahrkarten verkauft worden, ein Plus von 1,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, berichtet die "DPA". Seit 1997 sei die Zahl der verkauften Karten kontinuierlich gestiegen.

Und das ist kaum verwunderlich, denn die Beliebtheit des Nahverkehrs wächst mit den Städten. Inzwischen leben weltweit mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Zwar sei 2014 erstmals seit zwanzig Jahren der Wanderungssaldo - also die Differenz aus Zu- und Fortzügen - in den sieben größten Städten der Republik negativ gewesen. Und dieser Trend habe sich 2015 fortgesetzt, so der "Spiegel". Dennoch: Städte - und vor allem das nahe Umland - boomen. Menschen ziehen aus schlecht angebundenen Ecken Deutschlands in Metropolregionen. Das Münchener Umland boomt, nördlich von Berlin dehnt sich die Stadt weiter aus und südlich von Hamburg wird der Zuzug auch deutlich zunehmen, so das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung. Und so dehnen sich die Städte aus wie ein Fleck. 

Immer mehr Autos in den Städten

Mehr Menschen brauchen clevere Beförderungsmöglichkeiten, das ist klar. Denn schon heute sind die Hauptverkehrswege der Städte vollkommen überlastet. Trotzdem steigt die Zahl der zugelassenen Autos - Deutschland bleibt eine Auto-Nation. Wie eine Untersuchung der OECD 2014 zeigte, kommen auf 100 Einwohner 52 Autos. Damit liegt Deutschland deutlich über der Autodichte von Schweden oder Großbritannien. Und die zunehmende Autodichte ist nicht nur auf ländliche Regionen beschränkt - auch in den Städten gibt es immer mehr Autofahrer. In Berlin waren 2016 rund 1,18 Millionen PKW angemeldet, in Hamburg waren es mehr als 761.000. 2008 gab es in der Hauptstadt nur rund 1,09 Millionen Autos, an der Elbe waren es rund 712.000.

Doch je dichter ein Stadtteil besiedelt ist, um so weniger Menschen besitzen dort ein Auto. Der eigene Wagen steht in Randgebieten und Vororten in der Auffahrt. Diese Erkenntnis stützte schon 2012 Ferdinand Dudenhöffer, der an der Universität Duisburg-Essen die Studie "Car Centers Automotive Research (CAR)" durchgeführt hat. "Es gilt: Je ländlicher die Gegend, umso mehr Autos besitzen die Bürger. Oder umgekehrt, je größer die Stadt, umso weniger Autos pro Einwohner", sagte Dudenhöffer dem "Spiegel". "Die Urbanisierung läuft", so Dudenhöffer, "die Großstädte werden immer dichter besiedelt. Damit wird sich der Trend zu weniger Autos in Zukunft noch verstärken."

Die Zukunft des Nahverkehrs

Für den Öffentlichen Nahverkehr heißt das: "Wir wollen und müssen weiter wachsen, um die künftigen Herausforderungen an den städtischen Verkehr, zum Beispiel in Sachen Klimaschutz, zu bewältigen", so Jürgen Fenske, Präsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen. Neue Bahnstrecken im Stadtgebiet, umweltfreundlichere Busse mit alternativen Antrieben, Stadträder - auf Deutschlands Städte kommt Arbeit zu. Und die Autoindustrie? Mit Car-Sharing und E-Autos wird sich auch das Fahren in Zukunft verändern.

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