Mobilitätstrend Die Spar-Radler kommen

Von Björn Scheele
Wozu einen Wagen kaufen, wenn es das Rad auch tut? Die Fließbänder der Autohersteller stehen still, die Fahrradbranche freut sich. Steigende Spritpreise bewegen immer mehr Deutsche zum Aufsatteln. Das ist gut für die Gesundheit, zeigt aber auch, dass sich viele die gewohnte Mobilität nicht mehr leisten können.

Deutschland gilt als Land der Autobahn, als tempofreie Rasezone im Herzen Europas. Aber als in diesem Jahr der Spritpreis scheinbar unaufhaltsam stieg, sah mancher Deutsche sein liebstes Kind mit anderen Augen und stieg aufs Fahrrad um. Wenn man aus dem Ausland kommt, fällt der Umstieg leichter – Deutschland ist offenbar gar nicht so fahrradfeindlich wie die Einheimischen denken. Sue Travis hat investiert – 400 Euro für ein neues Fahrrad. Die Engländerin zog vor zwei Monaten von Cottenham nach München. Ihr Fiat blieb auf der Insel zurück. In Deutschland wollte sie sich einen neuen Wagen kaufen, aber nach wenigen Wochen merkte die Engländerin, wie gut sie ohne Auto auskam. "Ich stellte schnell fest, dass Deutschland wie gemacht ist für Radfahrer. Gute Radwege und Fahrradshops", sagt die 36 Jährige.

In ihrer alten Heimatstadt war hingegen nicht ans Radfahren zu denken – keine Radwege, enge Straßen und kaum Akzeptanz von Seiten der Autofahrer. "Ich freue mich, hier Radfahren zu können. Nicht nur des Fahrens wegen – sondern auch finanziell." Die Engländerin hat ausgerechnet, dass sie etwa 500 Euro im Monat spart – durch den Wegfall von Autokauf, Sprit und Wartung. Auch wenn man die Kosten für Fahrrad, öffentliche Verkehrsmittel und gelegentliche Taxibenutzung abzieht, bleibt eine satte Ersparnis.

Einspar-Radler

Ähnliche Gedanken schießen auch den Deutschen durch den Kopf: Die reine Freude am Radfahren teilen nicht alle, aber die Mehr-Euros in der Tasche überzeugen auch Bewegungsmuffel. Wie eine aktuelle Umfrage des Zentrums für Gesundheit der Deutschen Sporthochschule Köln im Rahmen des Nationalen Radverkehrsplans (NRVP) des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung zeigt, fahren immerhin 45 Prozent der Deutschen regelmäßig Fahrrad, dass heißt mindestens dreimal pro Woche. Diese Werte bestätigt auch der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC). Durch ständig neue Preisrekorde an der Tankstelle steigen immer mehr Menschen auf das Fahrrad um. Der ADFC prognostiziert, dass 2008 mit einem Verkaufsrekord von Zweirädern zu rechnen ist. Karsten Klama, Marketing und Kommunikationsleiter beim ADFC, bekräftigt diese Aussage: "Die Fahrradbranche rechnet mit einem Zuwachs von 10 bis 20 Prozent dieses Jahr. Dabei stieg besonders der Teileverkauf in der Branche."

Im Klartext heißt das, dass viele Bürger ihre alten Räder wieder flott machen – besonders durch Reparaturen bei Fachhändlern. "Es findet ein Umdenken statt. Die Leute holen ihre Räder aus den Kellern und nutzen sie öfters, um steigenden Spritpreise zu entgehen", sagt Klama. Anders als bei Sportradlern – die für ihr Hobby auch höhere Preise akzeptieren – steht bei den Neu-Rdalern klar der Einsparwunsch im Vordergrund.

Klassisches Freizeitvergnügen

Doch obwohl der Drahtesel auch für die Fahrt ins Büro verwendet wird, finden sich die meisten Radler nach wie vor im Freizeitbereich. Mehr als zwei Millionen Deutsche unternehmen pro Jahr eine längere Radreise. "Das Rad verbinden viele Menschen nur mit Freizeit. Besonders dieses Jahr bemerkten wir einen großen Anstieg im Bereich Fahrradurlaub", sagt Klama. Er ist überzeugt, dass dies eine Art Urlaubsverschiebung darstellt – anstatt mit dem Wagen in die Ferien zu fahren, werden jetzt Radreisen angetreten. Die vielbeschworene Entlastung der Umwelt muss die Radfahrreise nicht bedeuten. Wer etwa sein Mountainbike mit Wagen in die Alpen transportiert, um dort seine Touren abzuspulen, wir nicht per se eine Achtungsgebietende Umweltbilanz vorzeigen können.

Das Radfahren im Alltag sieht in den Niederlanden oder Dänemark etwas anders aus. Bei der Umfrage des Zentrums für Gesundheit der Deutschen Sporthochschule Köln zeigte sich, dass die Niederländer und Dänen das Fahrrad öfter im Alltäglichen nutzen, als die Deutschen. Nur 19 Prozent gaben an, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren. In den Niederlanden und Dänemark sind es hingegen 31 und 30 Prozent. Auch hier zeigte sich, dass das Fahrrad für die Deutschen eng an die Freizeitbeschäftigung gekoppelt ist. 70 Prozent radeln in ihrer Freizeit, während dies nur 63 Prozent der Niederländer und 58 Prozent der Dänen bevorzugen. Für den ADFC-Sprecher steht jedoch fest: Der Trend wird sich noch verschieben – bessere Radwege und steigende Spritpreise werden viele umdenken lassen. Das Rad wird zum Alltagsgefährt.

Deutschland einig Fahrradland?

Zwar nutzt laut Studie knapp jeder zweite Bundesbürger das Fahrrad mindestens drei Mal in der Woche, doch zeigen sich dabei klare Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Gebieten. Die aktivsten Radfahrer sind die Bewohner von Groß- und Mittelstädten. Hier wird nicht nur regelmäßiger Rad gefahren als auf dem Land, auch die zurückgelegten Strecken sind länger. Ungefähr 16 Prozent der Groß- und Mittelstädter fahren mehr als 30 Kilometer pro Woche. In Großstädten ist das Fahrrad oftmals das schnellste Verkehrsmittel. Im Unterschied zu den ländlichen Regionen, nutzen die Bewohner von Groß- und Mittelstädten ihr Fahrrad über die Freizeit hinaus auch deutlich stärker für den Weg zur Arbeit oder Einkäufe. Auf dem Land fällt die Statistik hingegen ernüchternd aus: lediglich 9 Prozent fahren mehr als 30 Kilometer. Das liegt zum einen an einer durchschnittlich älteren Landbevölkerung zum anderen an infrastrukturellen Gegebenheiten: Supermarkt und Arbeitplatz sind nicht um die Ecke. "Oftmals gibt es kaum Alternativen auf dem Land. Die Abdeckung durch öffentliche Verkehrsmittel ist schwach. So haben besonders Pendler kaum eine Chance, auf das Auto zu verzichten", sagt Klama.

Dass es auch anders geht kann, zeigt Karlsruhe. Die Stadt glänzt mit einer guten Verkehrsanbindung der Dörfer und kleineren Gemeinden. Hier nutzen viele Pendler die öffentlichen Verkehrsmittel in Kombination mit dem Fahrrad. Sei es um zum Abfahrtsort zu gelangen oder in der Stadt den restlichen Weg zur Arbeit zurückzulegen.

So macht es auch Frau Travis: Wenn sie aus ihrem Münchener Vorort in die Innenstadt muss. Sie nutzt ihr Rad um zur S-Bahn zu kommen. Bis jetzt ist sie zufrieden und vermisst nur an einigen Tagen ihr Auto – besonders, wenn es regnet. Und auch beim Einkaufen musste sie sich umstellen - sie geht jetzt dreimal in der Woche zum Supermarkt, anstatt einmal. "Es war schon einfacher, die Sachen in den Kofferraum zu packen, aber das sind nur Kleinigkeiten. Das Auto machte mir Sorgen: Mein Portemonnaie war dünner, tanken wurde zur Frustration und wenn mal etwas kaputt ging, musste ich mir das Geld irgendwo absparen", unterstreicht sie ihren Entschluss.

Sue Travis gehört eben nicht zu den genuß- und fitnessorientierten Freizeitradlern, sie steigt aus handfesten Gründen aufs Rad um. Hier zeigt sich eine Entwicklung an, die einen unsozialen Beigeschmack hat: Die grenzenlose Auto-Mobilität der Vergangenheit kann sich ein größer werdender Teil der Bevölkerung einfcah nicht mehr leisten.