Alle waren sich sicher: Jetzt beginnt das langsame Ende des Ölzeitalters. Seit Jahresbeginn verzeichneten die Autosegmente mit niedrigen Kohlendioxidwerten und sparsamen Verbrauch zweistellige Zuwachsraten. Weil steigende Benzin- und Dieselpreise als Folge des hohen Ölkurses den Kauf von ökologischeren Autos auch ökonomisch sinnvoll machten. Und weil der deutsche Staat und die Europäische Union Anreize versprachen und mit Strafen drohten. Aber heute ist Konjunkturkrise. Die Wirtschaft macht weltweit schlapp. Der Ölpreis sinkt nicht nur, er fällt. Und sendet damit völlig falsche Zeichen. Autokunden und Industrie könnten sich von den scheinbar niedrigen Preisen dazu verführen lassen, wieder ins alte Verhalten zurückzufallen: Sparsame Autos bauen oder kaufen? Lohnt sich ja doch nicht. Und der Gesetzgeber? Ach, der kommt ja eh nicht zu Pott.
"Real Oil Price" immer noch sehr hoch
stern.de hat bei den Experten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) nachgefragt und sich den tatsächlichen Ölpreis ausrechnen lassen. Also nicht den, der im kleinen Randfenster der Nachrichtensender permanent den aktuellen Kaufpreis in US-Dollar ausweist. Sondern den in Euro, und zwar inflationsbereinigt. Der lag bei den letzten Höchstständen von über 140 Dollar bei tatsächlichen 74 Euro. Ein Niveau wie in der ersten Hälfte der 80er Jahre, in denen der "Real Oil Price" nach heutigem Geld bei 61 bis 76 Euro lag. Das hieß damals zweite Ölkrise und war zugleich der zweite Warnschuss. 2008 knallte der dritte. Mit Glück im Unglück: Der Wechselkurs zwischen Euro und Dollar milderte die Auswirkungen der starken Ausschläge für uns. Bei den in der ersten Jahreshälfte stetig steigenden Ölpreisen sank der Kurs des Greenbacks und dämpfte damit den negativen Realeffekt. Und nun geht es umgekehrt – der Euro ist schwach, und wir kommen nicht in den vollen Genuss sinkender Rohölkurse.
Der Käufer handelt ökonomisch
In den Managementabteilungen der Autokonzerne glühen derweil die Köpfe: Lohnen sich die gigantischen Investitionssummen in die Entwicklung von Elektroautos und anderen Sparkonzepten? Wenn der Ölpreis wieder auf das Level der 90er Jahre fällt, in denen der "Real Oil Price" zwischen elf und 24 Euro lag, könnte alle Elektro-Smarts und Hybrid-BMWs das Schicksal des 3-Liter-Lupos erleiden. Was sich betriebswirtschaftlich nicht zügig rechnet, wird aus ökologischen Gründen nur selten und dann nur von den so genannten LOHAS ("Lifestyle of Health and Sustainabilty") gekauft. Die müssen nicht aufs Geld schielen, weil sie es haben. Und den grünen Lebensstil finden sie cool.
Warum neu kaufen?
Dabei produziert die Autoindustrie immer mehr Wagen mit niedrigem Verbrauch. VW bringt noch dieses Jahr die zweite Version des Passat BlueMotion mit einem CO2-Ausstoß von 114 Gramm pro Kilometer oder 4,3 Litern Diesel. Eine kleine Sensation, fast nebenbei auf den Markt geworfen. Bei weiter fallendem Ölpreis werden sich Käufer aber fragen, wieso sie zum neuen Sparmobil greifen sollen. Der alte TDI nahm auch nur fünfeinhalb Liter. Die Autoindustrie hat bei Sicherheit, Komfort und Höchstleistung in den letzten 20 Jahren größere Fortschritte als beim Verbrauch gemacht – eine weitere Gefahr.
Keine Anreize, keine Strafen
Die droht zusätzlich von Staat und EU. Im Dezember 2007 kündigte die Bundesregierung die Einführung der CO2-basierten Kfz-Steuer an. Im Bund-Länder-Hickhack wurde sie zerrieben. Jetzt ist sie am Rand der Wiederauferstehung, getarnt als "Konjunkturprogramm". Kommt sie nicht, fehlt ein Anreiz für den Kauf spritschonender Wagen. Kommt sie, ist zu hoffen, dass sie deutlich genug ausfällt, um tatsächlich einen Lenkungseffekt zu haben. Ein Golf VI mit 1,4 Litern Hubraum kostet im Jahr nur 95 Euro. Peanuts im Vergleich zum Kaufpreis. Da müsste Schwarz-Rot wirklich mutig sein und kräftige Erhöhungen für starke Trinker durchsetzen, um Prospektlecker und Configurator-Klicker zu Neuwagenkäufern zu machen. Auch die EU ringt um einen Kompromiss zur Deckelung des Verbrauchs. Fällt die geplante Verordnung zur Reduzierung des Verbrauchs zu lasch aus oder wird sie am Ende sogar verschoben, wäre das ein weiterer Bärendienst für die Autoindustrie.
Peak Oil kommt sicher
Endkunden und Autoproduzenten dürfen sich von vorübergehend niedrigen Ölpreisen und fehlenden staatlichen Rahmenbedingungen nicht täuschen lassen. Eine weltweite Rezession könnte den Peak Oil, also den Punkt, an dem die dauerhafte Nachfrage die Fördermöglichkeiten übersteigt, höchstens hinauszögern. Er kommt aber ganz sicher. Wer als Halter dann den richtigen Wagen in der Garage hat, schont seine Kaufkraft. Und der Autoindustrie ist zu wünschen, dass sie den Fehler des Audi A2 nicht wiederholt. Der wurde ersatzlos gestrichen. Wäre er konsequent weiterentwickelt worden, könnte er in Zeiten der Kaufangst und Verunsicherung einer der wenigen Gassenhauer sein. Gebrauchte Exemplare werden teuer gehandelt.