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Computerspiele "Jugendschutz endet an der Wohnungstür"

Die Altersfreigaben von Computerspielen scheinen kaum Wirkung zu haben. Eine Studie hat ergeben, dass jeder zweite Jugendliche Spiele spielt, für die er zu jung ist. Das Problem der Jugendschützer: Die Eltern helfen nicht mit.

Ein rotes Warnschild mit der Aufschrift "Keine Jugendfreigabe" kennzeichnet die Verpackung von Computerspielen wie "Half-Life 2". Doch auf den Schulhöfen deutscher Großstädte wird fachkundig über die besten Strategien diskutiert, wie man in diesem "Ego-Shooter" ins nächste Level gelangt. "Es ist kein Problem, an die Spiele zu kommen", sagt der 16-jährige Sebastian, der schon seit drei Jahren Ballerspiele am Computer spielt.

"Man schickt Verwandte oder Kollegen ins Geschäft, leiht sich das Spiel aus oder versucht selber sein Glück an der Kasse", erklärt Sebastian. "In meinem Fall wissen es meine Eltern, und bei meinen Freunden sind solche Spiele sehr verbreitet. Die Alterseinstufung spielt dabei absolut keine Rolle." Bestätigt wird dies jetzt von einer Untersuchung der Trendforscher des Jugendmarktforschungsinstituts tfactory. Demnach spielen etwa 50 Prozent der 13- bis 14-Jährigen "Counter Strike", das nur für Erwachsene zugelassen ist. Nicht anders sieht es aus mit "Half-Life", "Doom" oder "Return to Castle Wolfenstein", die alle zum Genre der Ego-Shooter zählen.

Es ist egal, was auf der Packung klebt

"Half-Life" haben bereits ein Drittel der 11- bis 14-Jährigen gespielt. "Es ist ihnen egal, was für Labels die Erwachsenen auf die Spiele kleben", erklärt Bernhard Heinzlmeier, Geschäftsführer von tfactory. "Dabei ist auch nicht auszuschließen, dass die Aufkleber erst die Aufmerksamkeit auf Spiele ohne Jugendfreigabe lenken." Unter Experten sind die Auswirkungen von Ego-Shootern auf die Handlungen von Kindern und Jugendlichen umstritten. In der öffentlichen Diskussion werden diese Computerspiele regelmäßig für Gewalt und Aggressionen unter Heranwachsenden verantwortlich gemacht. Dabei dürften Elternhaus und soziales Umfeld viel wichtiger für die Entwicklung eines Kindes sein als die Beschäftigung mit einem Computerspiel.

Mädchen interessieren sich weniger für Ballerspiele

Weibliche Spieler greifen weit weniger zu gewalttätigen Spielen, aber durch die Diskussion über „Counter-Strike“ nach dem Amoklauf von Erfurt ist der Anteil der Mädchen unter 18 Jahren auf 20 Prozent gestiegen. "Entweder man gehört zu der Terror-Fraktion oder zur Counter-Fraktion", erklärt die Auszubildende Sabine Rösing das Spielprinzip. "Dann sind je nach Gruppenzugehörigkeit zum Beispiel Bomben zu legen oder Geiseln zu nehmen." Sabine tritt vor allem auf LAN-Partys gegen andere Spieler an und meint: "Ich sehe das Problem eher darin, wenn man alleine zuhause vor dem Rechner sitzt und nichts anderes mehr macht. Es ist außerdem ein riesiger Unterschied, ob ich virtuell eine Waffe in die Hand nehme, oder das im realen Leben tue."

Die Eltern kümmern sich einfach nicht

Zwei Mal im Jahr führt das Unternehmen tfactory in Deutschland eine Trendforschung unter Jugendlichen durch. In diesem Jahr lag der Schwerpunkt auf Computerspielen. Das Unternehmen tfactory hat in sechs deutschen Großstädten Befragungen von Jugendlichen durchgeführt, um Meinungsführer in verschiedenen Altersgruppen zu ermitteln. Anschließend wurden diese 900 Jugendlichen in einem 45-minütigen Interview ausführlich befragt. "Nach meiner Meinung hat der Jugendschutz auf allen Ebenen versagt", sagt tfactory-Geschäftsführer Heinzlmeier. "Das gilt für die Ausgehzeiten, den Alkoholkonsum und natürlich auch für die Computerspiele." Wenn die Behörden glaubten, den Jugendschutz durchsetzen zu können, sei dies eine Fiktion. "In Wirklichkeit kümmern sich vor allem die Eltern nicht darum, was ihre Kinder am Computer spielen." Etwa 80 Prozent der Kinder spielen die verbotenen Spiele auf einem Computer im elterlichen Haushalt. Dabei wenden 50 Prozent der 11- bis 18-Jährigen täglich bis zu zwei Stunden für ihr Hobby auf. Auch bei den Kindern im Alter von elf und zwölf Jahren verbringen 36 Prozent der Kinder über zwei Stunden täglich beim Computerspiel.

Die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) bewertet Spiele mit Blick auf Jugendschutz und Strafrecht. Nach der Prüfung nehmen die Gutachter eine Einstufung nach Altersgruppen vor. "Im letzten Jahr haben wir 19 Mal eine Kennzeichnung abgelehnt und 17 der Spiele sind nicht produziert worden", sagt USK-Geschäftsführer Peter Gerstenberger. "Bei Half Life 2 und Doom sind die Gutachter zu dem Schluss gekommen, dass es sich um reine Erwachsenenprodukte handelt, die auch keine Jugendfreigabe erhalten haben." Solche Spiele dürfen nur an Erwachsene verkauft werden, und den Händlern droht bei Verstößen eine hohe Geldstrafe. Allerdings spielen die Heranwachsenden nicht nur Ego-Shooter. Ganz oben auf der Beliebtheitsskala stehen "Die Sims", eine Simulation des alltäglichen Lebens. Auch die Fußballspiele aus der FIFA-Reihe von Electronic Arts werden meist lieber gespielt als die virtuelle Ballerei am PC. "Der Jugendschutz ist etwas für den öffentlichen Raum, und der endet an der Wohnungstür", sagt Gerstenberger.

Michael Voregger/AP AP

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