Datenrekonstruktion Der Stasiakten-Puzzlelöser

Rund 600 Millionen handgerissene Papierschnipsel hat die Stasi in einer der größten Aktenvernichtungsaktionen der Geschichte hinterlassen. Mit Computerhilfe sollen die Akten wiederhergestellt werden.

Im Herbst 1989 begann eine der größten Aktenvernichtungsaktionen in der Geheimdienstgeschichte. Weil die Reißwölfe ausfielen, wurden Tausende von Stasi-Mitarbeitern - das Ende der DDR vor Augen - angewiesen, wichtige Dokumente zu zerreißen. Seit 1995 ist die Stasi-Akten-Behörde dabei, die in 16.000 Säcken lagernden Schnipsel wieder zusammenzusetzen. Per Hand würde das einige hundert Jahre dauern, neueste Computertechnologie schafft es in fünf. Das Projekt wurde in Berlin vorgestellt.

600 Millionen Schnipsel

Rund 600 Millionen Schnipsel harren derzeit der Rekonstruktion. Wenn sie wieder zusammengesetzt sind, braucht es 40.000 DVDs, um die 40 Millionen Aktenseiten mit einer Datenmenge von 100 Terrabyte zu fassen. "Wichtige Informationen" erhofft sich die Birthler-Behörde von der Auswertung, erklärt Mitarbeiter Günter Bormann. Es gebe noch viele Stasi-Opfer, die auf Akteneinsicht warten. Möglicherweise offenbare das Stasi-Puzzle auch noch "den einen oder anderen Fall mit strafrechtlicher Relevanz".

Lösung des Puzzles mit Spannung erwartet

Knapp 500.000 Seiten hat die Stasi-Akten-Behörde seit 1995 in mühevoller Handarbeit zusammengesetzt. Rund 1.000 geheimdienstliche Vorgänge konnten so rekonstruiert werden und deren Auswertung lässt die Stasi-Fahnder mit Spannung die Auflösung des noch wartenden Mega-Puzzles erwarten. Verpflichtungserklärungen, Opferunterlagen und ehemals streng geheime Unterlagen der für Auslandsspionage zuständigen Abteilung XV vermutet die Birthler-Behörde in dem Schnipsel-Salat.

Fraunhofer und Lufthansa helfen bei einmaliger Technologie

Für die Rekonstruktion per Computer haben das Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) und Lufthansa Systems tief in die Trickkiste gegriffen und eine Technologie entwickelt, die nach eigenen Angaben einmalig auf der Welt ist.

Zunächst werden mehrere Schnipsel auf einmal in eine Folie eingeschweißt. Das fördert die Haltbarkeit und erleichtert das anschließende Scannen. Von beiden Seiten werden die Schnipsel auf einer Scanstrecke erfasst und als Farbbild gespeichert. Dabei werden "beschreibbare Merkmale" wie Papierfarbe, Schnipsel-Kontur und Maschinen- oder Handschrift gespeichert.

Diese Daten wandern dann in eine Datenbank und die Merkmale der einzelnen Schnipsel können verglichen werden. Eine Erkennungssoftware sortiert Schnipsel für Schnipsel wieder zu einer Aktenseite zusammen.

Das Besondere: Krumme Kanten sind kein Problem

Der große Unterschied zu dem bereits praktizierten und technologisch ausgereiften Scannen von herkömmlichen Belegen liegt in der Beschaffenheit des Materials. Während Flug- oder Bahntickets mit geraden Kanten und einer bestimmten Größe aufwarten, ist jeder Stasi-Schnipsel individuell ausgeformt. Das erfordert neue Techniken und auch mehr Rechnerleistung - rund 100 Hochleistungs-PCs müssen zusammengeschaltet werden.

Der Bundestag muss zustimmen

Noch liegt erst eine Machbarkeitsstudie des Verfahrens vor. Über den tatsächlichen Einsatz müsste der Bundestag entscheiden, erklärt die Birthler-Behörde. Dabei setzen die Stasi-Wächter auf einen "fraktionsübergreifenden Bundestagsbeschluss" vom Dezember 2000, in dem der Wille kundgetan wurde, die mühevolle Rekonstruktion per Hand durch ein technologisches Verfahren zu unterstützen.

Über die Gesamtkosten schweigen sich die Beteiligten aus. Als Folge von Medienberichten geistert eine Summe zwischen 57 und 60 Millionen Euro durch die Landschaft. Die Birthler-Behörde verkündet nebulös, sie würde "pro Haushaltsjahr eine einstellige Millionensumme zusätzlich benötigen, um die Aufgabe innerhalb von fünf Jahren bewältigen zu können".

AP · DPA
Stefan Lang, AP

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