Nie wieder ... ... beim Mitmachfernsehen mitmachen

Viele Millionen Menschen sitzen Nacht für Nacht vor dem Fernseher und rufen bei dümmlichen Rätsel-Shows an. Die meisten tun das, weil sie auf Geldgewinne hoffen. Andere sind noch blöder - wie stern-Redakteur Sven Stillich.

Müde bin ich, aber ich bin nicht allein. Ich sitze auf dem Sofa, es ist dunkel draußen, und in meinem Fernseher sitzt eine Frau. Sie schreit mich an.

Schreien, deuten, fuchteln, zausen

"Das kann doch jetzt nicht wahr sein!", ruft sie schrill und fuchtelt mit den Armen. "Es muss doch jemand wach sein da draußen!" Dann deutet sie hektisch auf ein Pappschild neben ihr, auf dem Schwarz auf Gelb und groß "BERMEN" steht. Dann zerzaust sie ihre vom vielen Zausen bereits ziemlich zerzausten Haare noch ein wenig mehr und schreit: "Ist denn da niemand?!" Doch. Ich. Aber während ich müde "Ja, ich. Ich bin wach" denke, gestikuliert sie schon wieder in Richtung des "BERMEN", dieses Mal ein wenig höher, und da steht "Welcher Ortsname versteckt sich hier?"

Das geht bereits seit drei Stunden so: schreien, deuten, fuchteln, zausen.

Genauso lange weiß ich, dass die Lösung "Bremen" heißt, klar. Und selbst wenn alle Hochbegabten schon im Bett liegen sollten: Ich gehe davon aus, dass ich nicht der einzige Zuschauer im Bundesgebiet (sowie der Schweiz und Österreich) bin, der das schon rausbekommen hat.

Schlaflos auf dem Sofa

Mein Problem: Es ist zwar tiefste Nacht draußen, und inzwischen wird es auch in mir immer dunkler, ich sitze auf dem Sofa - aber ich kann nicht schlafen gehen, bevor das törichte Schauspiel sein Ende gefunden hat. Ich kann nicht. Ich brauche den Höhepunkt, ich will den erlösenden Anruf, die richtige Lösung, den ekstatischen Jubel der Frau hinter der Scheibe, das Ende. Würde ich jetzt ausschalten, wären die vergangenen Stunden die reinste Zeitverschwendung gewesen.

Die Frau vor mir jedoch fuchtelt und schreit weiter. Sie brüllt: "So schwer ist das doch nicht! Denken Sie doch mal nach!! Es geht um 500 Euro!" Ich weiß bis heute nicht, warum, aber: Etwas in meinem Kopf macht klick. Es reicht. Ich muss die Sache beschleunigen. Ich muss das selbst in die Hand nehmen. Ich greife zum Hörer.

Fast am Ziel

Und dann das: "BREMEN" will ich sagen, darauf bin ich vorbereitet. Doch es gibt gar niemanden, der mich nach der Lösung fragt. Jemand - es klingt wie ein Band - sagt etwas wie: "Leider hat es dieses Mal nicht geklappt. Danke für Ihren Anruf", dann macht es tüttüttüt. "Bald ist die Sendung zu Ende! Rufen Sie jetzt an! Ist denn da niemand?!", höre ich durch das Tüten die Frau, und ich überlege lange, ob ich lieber weinen oder doch hysterisch lachen soll.

Ich fühle mich nicht nur abgezockt, ich bin gerade abgezockt worden. So wie viele andere Idioten während der drei Stunden. Ich denke unvermittelt an MORD und TOTSCHALG, entscheide mich dann aber - inzwischen geht es um "750 Euro!" - doch dafür, mich anständig zu schämen wie selten zuvor. Denn ich habe angerufen.

Schwach geworden

Sie haben mich mürbe machen wollen, ich war zu schwach, sie wollten meine 49 Cent, und sie haben sie bekommen. Ich wollte eigentlich nur ins Bett, ich wollte nur, dass alles aufhört, aber die Frau im TV ist immer noch da. Und ihre Kolleginnen auf den anderen Sendern auch. Um die Uhrzeit kommt ja fast nichts anderes. Überall hektische Blondinen, die fuchteln, schreien und wollen, dass man Wörter rät, die mit "-schwein" enden.

Ich bin in dieser schmachvollen Nacht dann schnell ins Bett geschlichen. Kurz nach dem Anruf. Schlafen konnte ich nicht. Ich war noch immer wütend auf mich und wütend auf die Sender, die mit solch dubiosen "Ratespielen" mindestens Millionen, wenn nicht Abermillionen verdienen. Mit Trotteln wie mir. Irgendwann ging es mir besser. Ich habe öfter mal reingeschaut in diese Shows, aber ich habe nie wieder angerufen, egal, wie sehr der Fernseher gefleht hat. Ich bin geheilt. Ich kann ein sehr dummes Stück sein, das weiß ich seitdem von mir. Und diese Erkenntnis ist, mit sehr viel Abstand betrachtet, sogar viel mehr wert als 49 Cent aus dem Festnetz der Deutschen Telekom.

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Sven Stillich

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