Ich treffe mich mit Jörgi, Cookie und Robert im La Iguana in Dallgow-Döberitz, das ist eine Cocktailbar neben der Autobahn, in der es einfach alles gibt, was man trinken kann. Ich bestelle mir trotzdem eine originale Caipirinha mit viel Mauritius-Zucker und staune, als Robert ein Diktiergerät aus der Tasche holt und es mitten auf den Tisch stellt. Ich schaue ihn fragend an und als das nichts hilft, ziehe ich auch noch eine Augenbraue nach oben.
Robert zuckt mit den Schultern: "Sorry, Jungs, aber wir schreiben das Jahr 2010. Habt ihr denn noch nix von der neuen Geschäftsessen-Verordnung gehört?"
Wir schütteln alle erst mit dem Kopf und dann unseren Cocktail in uns hinein. Robert drückt auf Aufnahme: "Ihr wisst doch, dass ihr in euren Firmen alle Geschäftsbriefe zehn Jahre lang aufheben müsst. Nur die wenigsten wissen, dass dies auch für die gesammelten E-Mails gilt. Jede dämliche Firmen-Mail muss aufgehoben, archiviert und ggf. dem Finanzamt zugänglich gemacht werden. Ich weiß zwar nicht, was die mit meinem Gestammel und zig tausend Porno-Mails anfangen wollen, aber bitte. Na ja, nun ist denen aufgefallen, dass mündliche Gespräche ja noch gar nicht protokolliert werden. Seit dem 1. Januar 2010 ist es Pflicht, jedes Telefonat und jedes Geschäftsgespräch aufzuzeichnen. Wer sich daran nicht hält, zahlt bis zu 50.000 Euro Strafe. Und da wir immer über unsere Firmen quatschen, zeichne ich unsere Unterhaltung also lieber auf."
"Du bist ja bescheuert", sagt Jörgi. "Stell dir vor, unsere Frauen bekommen diese Bänder in die Hände. Das wäre schlimmer als 50.000 Euro."
Höhere Gewalt
Wir nicken mit dem Kopf und drücken auf die Aus-Taste. Robert schaut sich um, ob nicht doch jemand vom Finanzamt hinter einer Zeitung hockt und ihn beobachtet. Dann resigniert er und zuckt mit den Schultern. "Ich hab's immerhin versucht", flüstert er. "Das ist dann höhere Gewalt."
Jörgi hat auch etwas beizusteuern. Er verschüttet vor lauter Aufregung fast seinen Sex at the beach: "Die neue Organisation Web-Surf-Control WSC prüft ja jetzt auch verbindlich deutsche Homepages und gibt ihnen eine bindende Altersempfehlung. Das finde ich gut, weil Betrügerseiten beim Test sofort ausgefiltert werden und es endlich einmal einen effektiven Kinderschutz im Web gibt. Die Browser-Hersteller unterstützen das ja und erlauben es nicht mehr, Seiten ohne das Siegel aufzurufen, wenn man den Browser von Deutschland aus startet. Aber wisst ihr, was die Überprüfung kostet? 500 Euro pauschal im Jahr pro Domain und dann noch mal 1 Euro pro Web-Seite. Alleine unser Online-Content hat inzwischen 5.000 Seiten. Wir zahlen uns jetzt dumm und dusselig. Hinzu kommt, dass wir alle Web-Seiten als PDFs archivieren müssen. Jede kleine Änderung muss sofort in einer neuen PDF-Version konserviert werden. Wir haben jetzt eine Studentin bei uns, die macht nix anderes mehr."
Ich wende ein: "So, wie ich dich kenne, hat sie bestimmt einen prallen Knackarsch. Sorg nloß dafür, dass sie die PDFs auch gleich an die Deutsche Bibliothek schickt. Online-Publikationen müssen da ja schon seit 2008 archiviert werden."
Mehr von Carsten Scheibe
In seiner Freizeit geht Carsten Scheibe golfen - und arbeitet daran, dass der Golfball auf der selben Bahn ankommt, von der er abschlägt. Wenn's mit dem Spielen nicht so gut klappt, schreibt er lieber - für das eigene, kostenfrei in den Golf-Clubs ausliegende Magazin "Mein Golf-Heft". Das gibt's mit allen Artikeln auch im Internet. Natürlich ist der PC auch hier ein Thema.
"Oh, Mann!" Jörgi fasst sich an die Stirn. "Die ganze Bürokratie sorgt dafür, dass ich meinen eigentlichen Job nicht mehr länger machen kann - keine Zeit mehr. Vor allem lohnt er sich langsam nicht mehr bei den ganzen Abgaben. Insolvenzüberbrückungsgeldumlage, Unfallversicherung, IHK, Künstlersozialkasse - und für unsere Bürorechner möchte die GEZ auch noch Rundfunkgebühren haben."
Die IT-Sozialkasse
Cookie mischt sich ein und hebt dabei vier Finger, um dem Barkeeper so zu signalisieren, dass wir dringend flüssigen Nachschub brauchen. Dann erzählt auch er: "Künstlersozialkasse kennt ihr ja. Wenn man in der Firma einen externen Künstler oder Kreativen bezahlt, der Layout oder Webdesign macht, dann muss man ein paar Prozent der Auftragssumme an die Künstlersozialkasse blechen. Die geben dann was zur Krankenversicherung der Kreativen dazu. Ich weiß zwar nicht, warum ich die Künstler mitfinanzieren soll, aber sei's drum. Seit 2009 gibt's jetzt schon wieder etwas Neues. Die IT-Sozialkasse. Habt ihr schon gehört? Das ist das gleiche, nur für die Computerfreaks. Bei jedem Programmierer, jedem Systemadministrator und jeden Hardware-Frickler, den ich extern beauftrage, muss ich jetzt auch schon wieder 5 Prozent blechen. Das gilt nur nicht bei GmbHs. Deswegen buchen wir jetzt nur noch bei größeren Firmen. Das ist zwar oft teurer, aber dann kriegt das Geld wenigstens der, der auch dafür gearbeitet hat."
Dass ich schon zum vierten Caipirinha greife, hat natürlich auch einen Grund: "Ich hab heute meinen E-Mail-Steuerbescheid für 2010 bekommen. 15.000 Euro soll ich nachzahlen. Weil ich so viele Mailings verschickt habe. Ich sag euch, bald ist es wieder billiger, Briefe mit der normalen Post zu versenden."
Alle nicken bedächtig: Die 2010 neu eingeführte E-Mail-Steuer tut allen weh. Wir bestellen noch eine Runde und beschließen dann, zur allgemeinen Aufmunterung wieder über unsere Frauen zu lästern.