Ein Schreckgespenst geistert durch die Medien: Es nennt sich »Pleite« und rasselt gar fürchterlich mit den Ketten. Schon gehen die Umsatzzahlen für den Computerverkauf zurück, verlieren die gedruckten Magazine Werbeaufträge und müssen die Online-Portale erstmals auf so komische Dinge wie »Gewinn« achten. Angesichts desinteressierter Kunden wird eine ungeliebte, aber äußerst scharfe Tochter aus dem Verließ der Burg befreit: Sex muss wieder her. Mit aller Macht.
»Kunde, ich brauch' mehr Geld«
Sex sells. Das weiß jeder. Nur leider ist Sex auch so ein schrecklich anrüchiges Ding. Das mag ja auch ganz fürchterlich aufregend sein. Aaaaber: Bitte nicht hier. Bitte woanders. Lange Zeit haben die Online-Magazine versucht, das Thema Sex ganz in diesem Sinne auszuklammern und stattdessen hehren Journalismus zu veröffentlichen. Wurde es den Verantwortlichen gedankt? Natürlich. Die Besucherzahlen waren gut, das Image auch. Nur: Inzwischen ist es fast egal, wie viele Besucher kommen. Allein über die Bannerwerbung lassen sich die Ausgaben kaum noch finanzieren. Besser wäre es schon, wenn der Besucher auch ein klein wenig Geld dalassen würde. Die Erotik-Branche grölt und klatscht sich auf die Schenkel: Bei ihr mussten die Besucher schon immer bis zu 50 Mark im Monat bezahlen, um sich ins Reich der sexten Sinne und prallen Schenkel voranklicken zu können. Und die Besucher zahlten gerne.
In Zeiten der Not frisst der Teufel Fliegen. Derzeit wird in vielen Online-Redaktionen gemampft, was das Zeug hält. Auf Teufel komm raus wird überall mehr Sex und Erotik in die früher so seriösen Homepages gestopft. Irgendwie muss sich das ja einmal auszahlen. Früher oder später.
Nackte Frauen contra nackte Festplatten
Auch die Magazine wissen um die Zugkraft nackter Brüste. Können sie aus Image-Gründen noch nicht mit völlig entblößten Unbekannten aufwarten, muss hochkarätiger Ersatz her. Laetitia Casta auf dem Cover hat zwar nicht auch nur ansatzweise etwas mit Computern zu tun. Ihr mehr als eng geschnürtes Oberteil weckt beim Betrachter aber schnell Assoziationen von reißendem Stoff, der bis an die Grenzen seiner Elastizität gedehnt wurde. Schnell wandert die Zeitschrift in den Einkaufwagen. Man(n) wollte sich ja sowieso mal wieder etwas intensiver über den Computer informieren. Auch Jennifer Lopez, Angelina Jolie und andere Sexbomben der Moderne tummeln sich auf einmal in sexy Posen auf den PC-Titeln. Na, kein Wunder: Gibt es etwas abtörnenderes als nackte Festplatten?
»Ich lese doch nur die Interviews«
Ist das Image erst ruiniert, lebt's sich völlig ungeniert. Hier wird knallhart auf dem Cover geworben: 100 aktuelle Computer-Programme. Viele Workshops. Und als Bonus gibt's noch 50 Sexbilder auf der Heft-CD mit dazu. Da kann sich der Familienvater noch immer locker bei der Mutti rausreden: Schatz, ich les' doch nur die Interviews.
Gerüchteweise geht es in diesem Jahr auch in der Software-Branche ans Eingemachte. Über zehn Namen bekannter Software-Firmen sind uns zugetragen worden. Allen soll das Wasser bis weit über die Augenbrauen stehen – von dem einen oder anderen Konkurs ist bereits die Rede. Sollte auch hier die Erotik die Rettung sein? Uns schwant Übles. Etwa ein MP3-Player in Form zweier nackter Brüste. Ein Klick auf den linken Nippel lädt die Playlist, ein Klick auf den rechten startet die Wiedergabe. Und dann wackelt das digitale Fleisch im Takt zur Musik: Wer braucht da schon einen Oszillografen? Eher einen Pornografen. Denn im Zeitalter der Sprachausgabe ist inzwischen alles möglich. Auch eine sündig gehauchte Frauenstimme, die sich aus dem Off dafür bedankt, dass der Anwender einen Button soooo besonders schön und einfühlsam gedrückt hat. Natürlich kann das Laufwerk auch lautstark darum betteln, dass ihm doch bitte, bitte etwas eingeschob... aber nein, vielleicht wäre es dann doch besser, manche Firmen würden das nächste Jahr nicht mehr erleben.
Ramonas Computer-Club?
Bis die Frau von Jürgen Drews den WDR Computer Club moderiert und die c't auf dem Cover Frauen-Pinups abdruckt, ist es aber zum Glück noch eine Weile hin. Vielleicht zwei Wochen. Wussten Sie eigentlich schon, dass jeder PC-Käufer im Fachhandel jetzt anstelle von MS Office ein kostenloses Playboy-Abo geschenkt bekommt? Sehen Sie, diese spitzenbesetzte Entwicklung hat auch ihre Vorteile.
Carsten Scheibe