Zum Glück bin ich nicht in Australien. Da ist ja per se alles giftig, was Zähne hat. Hier in Florida ist es nicht ganz so schlimm. Trotzdem: Bei einem Besuch im Wäschezimmer meines Miethauses, in dem die Waschmaschine und der Trockner stehen, wird mir auf einmal ganz anders. Auf der Wand direkt vor mir klebt eine gewaltige Spinne. Sie ist handtellergroß, grau, schaut mich aus acht Augen abschätzend an und vibriert dabei mit ihren langen Beinen, die sie als Jagdspinne ausweisen - ein schneller Flitzer ist das auf jeden Fall.
Natürlich möchte man so einen Untermieter nicht im Haus wissen, wenn nachts das Licht ausgeht und man mit offenem Mund auf dem Rücken liegend im Bett schnarcht. Schöner wäre es, ein paar Querstraßen zwischen sich und dem achtbeinigen Gast zu bringen. Natürlich möchte ich ein so edles Tier nicht mit der zusammengerollten Zeitung zermatschen. Zumal dann bestimmt ein geschätztes Pfund Spinnenglibber an der weißen Wand kleben und langsam auf meine Wäsche heruntertropfen würde.
Also bücke ich mich und hebe einen Plastik-Buddeleimer und eine Kehrschaufel auf. Tatsächlich gelingt es mir, die Spinne beherzt in den Eimer zu bugsieren. Doch hier habe ich keine tumbe Radnetzspinne vor mir, sondern einen rennstarken Jäger. Blitzschnell springt die Spinne aus dem Eimer, mir auf die Hand, rast blitzschnell meinen Arm hoch, stößt sich ab, landet wieder an der Wand und verschwindet hinter einem Wasserboiler. Irks. Immerhin hat sie mir nicht ins Ohrläppchen gebissen. Ich renne in die Küche, hole ein großes Glas und nehme die Verfolgung auf. Mit Besenstiel und Glas scheuche ich den Schumi der Spinnentiere immer wieder aus einem Versteck heraus. Doch das Tier ist schneller - und verschwindet schließlich in einer Ecke, in der ich sie nicht mehr ausmachen kann.
Auf dem Kopf von Küblböck
Na super. Allein mit der Riesenspinne! Ich glaube mich an diese Art Spinnen zu erinnern. Im RTL-Dschungelcamp hat man diese Art glaube ich immer den Küblböcks auf den Kopf fallen lassen. Ein Hunchback oder so etwas in der Art - das war der Name der Spinne. Und anscheinend waren sie harmlos, denn sonst würde man sie ja nicht den B-Promis ins Gesicht-Terrarium stecken. Zeit für Google, seinen Info-Zauber zu weben. Ich laufe ins Wohnzimmer zu meinem Notebook und freue mich, dass ich hier WLAN habe.
Ich gebe "Spiders of Florida" in die Suchmaschine ein. Ich bekomme gleich mehrere Treffer. Der "Pest Alert" zeigt mir die wirklich giftigen Spinnen Floridas. Bei den Witwen handelt es sich um die klassischen Kugelspinnen mit dem roten Uhrenglas auf dem schwarzen Bauch. Klar, eine Schwarze Witwe erkenne ich problemlos. Die findet man oft unter Büschen, die sind sehr stationär und sehr langsam. In Griechenland auf Lesbos habe ich mal welche gefangen. Und dann ist da noch der Recluse Spider, auch als Braune Spinne bekannt. Völlig unscheinbar, versteckt sich aber gern in Kleidung, die irgendwo über einen Stuhl geworfen wird. Beißt dann beherzt zu, sobald die Kleidung wieder angezogen wird. Der Horror: Der Effekt zeigt sich erst Stunden später: Es bildet sich eine Hautnekrose - das Gewebe um den Biss stirbt vollständig ab.
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Carsten Scheibe geht unter die textBOOSTer und bringt die Texte anderer in Form, sodass sie sich frisch, verständlich und kundenorientiert lesen lassen. Ganz egal, ob es um Homepages, Newsletter oder um PowerPoint-Präsentationen geht: Nicht nur auf die äußere Form, sondern auch auf den Inhalt kommt es an. Wer Probleme hat, selbst die richtigen Worte zu finden, beauftragt eben einen professionellen Buchstabenjongleur.
Gut, da ist "meine" Spinne nicht mit dabei. Ich lande bei der University of Florida und den "Common Florida Spiders". Hier werden die wichtigsten Spinnen vorgestellt, darunter auch der Golden Silk Spider, der hier nur Banana Spider genannt wird. Das ist eine goldene Radnetzspinne, die gewaltige Netze spinnt und oft auf dem Weg zum Strand in den Büschen anzutreffen ist. Allein der Körper des Weibchens kann vier Zentimeter lang werden. Cooles Tierchen. Ums Haus herum ist auch ein Spiny Orb-Weaver aktiv. Diese Radnetzspinne sieht aus wie eine weiße Kaugummikugel mit roten Dornen an den Seiten. Auch harmlos. Meine Spinne ist auch in dieser Aufstellung nicht dabei.
Ausgerechnet bei Wikipedia werde ich am Ende fündig. Ich habe eine Riesenkrabbenspinne vor mir, die es in Australien (Dschungelcamp!!!) und in den USA nur in Florida (!!!) und Hawaii gibt. Große Arten erinnern an Vogelspinnen, sie können beißen, sind aber nicht besonders giftig. Dass sie während des Paarungsrituals Geräusche von sich geben kann, wollte ich gar nicht wissen. Beunruhigend finde ich die Information, dass sie sich auch gern in Autos aufhalten.
Das bewegt sich doch was ...
Ich überlebe danke des neuen Google-Wissens einige Tage gemeinsam mit dem neuen Freund im Haus. Dann muss ich wieder in die Waschküche. Während ich die Wäsche sortiere, huscht mein Blick in jede Ecke. Und da, was ist das? Hinter dem Türpfosten, dort, wo auch der Lichtschalter ist und wo ich immer blind hintaste, um beim Betreten des Raums den Schalter zu finden, schaut ein Stück Stroh hinter dem Rahmen hervor. Und auf einmal bewegt sich der Strohhalm und die Spinne huscht hervor. Der "Halm" war eines ihrer Beine. Hektisch rennt sie an der Wand hin und her, bis sie in ganzer Pracht in einem Regal hängen bleibt. Ich lasse alles fallen, greife das bereitstehende Glas, verbaue mit diversem Kram die Fluchtmöglichkeiten aus dem Regal - und mit einem beherzten Vorstoß fange ich die Spinne mit dem Glas ein. Ein wenig knifflig wird es noch, eine Zeitung zwischen Glas und Wand zu bekommen, dann habe ich den Arachniden endlich gefangen. In Unterhosen und T-Shirt verlasse ich das Haus, laufe die erwähnten zwei Querstraßen, schere mich nicht um die fragenden Blicke der Nachbarn und lasse das Tier auf einem leer stehenden Grundstück mit einem dichten Gebüsch frei. Fast dankbar huscht der Kumpel davon - vielleicht war es ja auch für ihn nicht ganz stressfrei.
Eine Glosse von Carsten Scheibe, Typemania