»Pastor, mein Computer hat Probleme«, sagen die Kunden am Telefon, wenn sie mit Ulrich Fritsche sprechen. In Paracatu, Brasilien, ist »der Deutsche« eine bekannte Figur. Als er vor 17 Jahren in der Kleinstadt ankam, half der evangelische Geistliche bei seelischen und sozialen Sorgen. Heute kümmert sich der 50 Jahre alte Computerfreak um Soft- und Hardware der Kleinstadtbewohner.
»Brauchten die Herausforderung«
Unzufrieden sei er mit seinem Leben in Bayern nicht gewesen, sagt der gebürtige Thüringer. Nach zwei Jahren als Pastor in Nürnberg leitete er von 1979 bis 1985 eine evangelische Pfarrei in Bamberg. Seine Frau Annely war bei einer Krankenkasse angestellt. Die beiden Söhne waren damals fünf und sechs Jahre alt. »Eigentlich haben wir uns sehr gut gefühlt«, sagt die heute 47-jährige Annely, »aber wir brauchten wohl eine Herausforderung.«
»Wollte nicht daherkommen und sagen, wie's läuft«
Diese Herausforderung war die Dritte Welt. Klassische Missionsarbeit kam für Ulrich Fritsche nicht in Frage: »Ich wollte nicht als Weißer kommen und sagen, wie?s läuft. Ich wollte etwas lernen.« An Brasilien faszinierte den Pfarrer und seine Frau die bunte Völkermischung, die Vielfalt des Landes. 1983 bewarb sich Fritsche beim kirchlichen Auslandsamt, 1985 wurde der Antrag nach vielen bürokratischen Hürden bewilligt. Doch damit fingen die Probleme erst an.
»Wir kamen in Rio an mit vier Koffern«, berichtet Annely über den 16. April 1985, den Tag der Ankunft. Vorher die Landesprache zu lernen war unmöglich gewesen - die Fritsches verstanden und sprachen kein Wort. Sechs Monate lang wohnten die vier in einer (katholischen) Klosterzelle. Ein Bett, zwei Stühle, vier Koffer. Vater und Mutter paukten portugiesisch, die Kinder lernten die Sprache schneller beim Spielen auf der Straße.
Um die Wette predigen
Dann begann die Ochsentour. In Brasilien werden die Pastoren von ihren Gemeinden gewählt. Ist eine Stelle frei, werden Geistliche zu einer Schaupredigt geladen. Danach stimmen die Mitglieder ab, schließlich müssen sie den Pastor bezahlen. Was gut klingt, war für Fritsche eine Folter: »Das System ist brutal. Ich habe mich wie Freiwild gefühlt.« Bis er mit seinen mangelhaften Sprachkenntnissen und seinen wenigen Kontakten eine Stelle gefunden hatte, verging ein weiteres halbes Jahr.
Seine Gemeinde umfasste keine 50 Familien
Die Gemeinde, die ihn schließlich akzeptierte, hieß Paracatu. Ein landwirtschaftlich geprägtes Dorf, dass nach Goldfunden über Nacht zur Stadt herangewachsen war. Die evangelische Gemeinde umfasste keine 50 Familien. Lutheraner gibt es in Brasilien wenige, traditionell ist das Land katholisch, doch in den vergangenen Jahren sind teils unseriöse evangelische Freikirchen stark gewachsen. »Sie ziehen den armen Leuten das Geld aus der Tasche«, wie Annely klagt.
Gottesdienste im Wohnzimmer
Da standen die Fritsches nun in Paracatu, vier Menschen mit immer noch vier Koffern, aber weiterhin keinem Dach über dem Kopf, denn es gab weder Kirche noch Pfarrhaus. Eines der Gemeindemitglieder, Sohn deutscher Einwanderer, nahm die Pastorenfamilie auf, Gottesdienste fanden in seinem Wohnzimmer statt. Später kaufte die Gemeinde ein einsturzreifes Haus.
In dem 13 Jahren als Pfarrer in Paracatu baute Fritsche mit seiner Frau nicht nur eine Kirche und ein Gemeindezentrum auf. Sie begründeten eine Art Kranken-Absicherung und eine Nachhilfe- Organisation. Dann lief der Vertrag zwischen der bayerischen Landeskirche und Brasilien aus. Aber zurück wollten die Fritsches nicht. Die beiden Söhne waren erwachsen und wollten in Brasilien bleiben, vor allem die 1990 in Brasilien geborene Tocher Jandra würde sich mit ihrem überschäumenden Temperament kaum im kühlen Europa zurechtfinden, mutmaßten die Eltern.
Fast schon klassisch: der Computerladen in der Garage
So sagte Ulrich Fritsche der Kirche - vorläufig - Adieu. Er ließ sich unbefristet und unbezahlt beurlauben und eröffnete mit seinem Sohn Thomas in der Garage neben dem kleinen Haus einen Computerladen. Wieder eine neue Herausforderung. Auch Annely suchte in Brasilien eine Aufgabe: Sie hatte sich zur Krankenschwester ausbilden lassen und arbeitet heute in der Krankenstation des Viertels. 350 Reais verdient sie dort als Vollzeitkraft, 200 Reais kostet allein das Schulgeld für Jandra.
Sandra Trauner, dpa