Wenn am Ende des Monats kein Geld mehr da ist, versuchen sich viele Menschen, kurzfristig Geld zu leihen – bei Verwandten, Freunden oder in Form von Krediten. Letzteres geht inzwischen digital per App: Man gibt seine Daten ein, vollzieht meist noch einen Verifizierungsprozess und schon erhält man die gewünschte finanzielle Unterstützung – zumindest in der Theorie. Dass dieses Vorhaben für Kreditnehmer gefährlich werden kann, haben nun Redakteure und Redakteurinnen der BBC nach einer monatelangen Recherche aufgedeckt: Kunden, speziell in Indien, werden nach der Kreditbeantragung geschröpft, erniedrigt und teilweise gar in den Suizid getrieben.
Kreditrückzahlung nur für Gebühren genutzt
Clou der Kredithai-artigen Methode sei es, dass von der vereinbarten Kreditsumme nur ein gewisser Teil ausgezahlt werde, der Rest verbleibe als Gebühr schon von Anfang an beim Verleiher. Erste Raten für die Rückzahlung würden vom Kreditgeber nicht zur Tilgung des Kredits, sondern zu großen Teilen zur Begleichung der Leihgebühren verwendet. Folge: Schon nach kurzer Zeit stehen die Kreditnehmer erneut ohne Geld da, haben aber in der Zwischenzeit zusätzliche Schulden angehäuft. Viele müssten daraufhin einen weiteren Kredit aufnehmen. Ein Teufelskreis beginnt.
Die Masche der App-Betreiber im Anschluss: Mit sämtlichen Kontaktdaten, Fotos und Ausweispapieren, die für die Erstregistrierung vorgezeigt wurden, die Kunden erpressen. Sobald es zu einer Verzögerung der Ratenrückzahlung komme, "geben sie diese Informationen an ein Callcenter weiter, wo junge Agenten [...] darauf trainiert werden, Menschen durch Belästigung und Demütigung zur Rückzahlung zu bewegen."

Firma sendete allen Kontakten ein Nacktfoto
Am Beispiel einer Mutter aus Indien – wobei diese betrügerische Masche auch in anderen Regionen der Welt vorkomme – zeigt die BBC auf, wie schnell eine Notlage eskaliert. Die Frau borgte sich über mehrere Apps 47.000 Rupien (rund 530 Euro) und sollte diese nach sieben Tagen zurückgezahlt haben, was ihr nicht gelang. Durch Folgekredite häuften sich ihre Schulden auf zwei Millionen Rupien (rund 22.600 Euro) an. Warnanrufe, Drohungen und Belästigungen durch die Geldeintreiber folgten prompt. Man drohte ihr damit, "allen 486 Kontakten in ihrem Telefon eine Nachricht zu senden und ihnen mitzuteilen, dass sie eine Diebin und eine Hure sei. Als sie drohten, auch den Ruf ihrer Tochter zu schädigen", sei vermeintlich der Tiefpunkt erreicht gewesen.
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Der Frau sei es schließlich gelungen, die Kreditsumme zurückzuzahlen. Eines Tages habe jedoch ein Kollege ihr etwas auf seinem Handy gezeigt: ein Nacktbild, vermeintlich von ihr selbst. Das Foto sei grob mit Photoshop bearbeitet worden und ihr Kopf "klebte am Körper einer anderen Person". Trotz der laienhaften Bildkomposition habe es sie "mit Ekel und Scham" erfüllt. Die Kreditfirma habe das Bild an jeden einzelnen Kontakt in ihrem Telefonbuch gesendet. Vor Verzweiflung habe die Frau daran gedacht, sich umzubringen.
Ganze 60 Fälle von Suizid habe die Recherche im Zusammenhang mit derartigen Erpressungsversuchen allein in Indien zu Tage gefördert. Zwar sei die konkrete App, anhand der die BBC die Vorgehensweise aufzeigt, inzwischen im Google-App-Store nicht mehr verfügbar. Ähnliche Kredit-Apps stehen jedoch nach wie vor zum Download bereit.
Quellen: BBC, "Interview Times"
Sie haben suizidale Gedanken? Hilfe bietet die Telefonseelsorge. Sie ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr unter 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222 erreichbar. Auch eine Beratung über E-Mail ist möglich. Eine Liste mit bundesweiten Hilfsstellen findet sich auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.
Für Kinder und Jugendliche steht auch die Nummer gegen Kummer von Montag bis Samstag jeweils von 14 bis 20 Uhr zur Verfügung - die Nummer lautet 116 111.