Attacken auf Gegner, unerwartete Verkündungen zu politischen Entscheidungen und dazwischen Kommentare zum TV-Programm: Wie kein anderer US-Präsident sprach Donald Trump direkt zur Öffentlichkeit. Sein Twitter-Account war sein Megafon und erreichte Hunderte Millionen Menschen. Bis er gesperrt wurde. Nun sollen die Nutzer entscheiden, ob die Sperre aufgehoben wird.
Das verkündete Twitters neuer Besitzer Elon Musk gestern auf dem Kurznachrichten-Dienst. Mit einer Umfrage unter seinen Followern forderte er diese auf, über eine Rückkehr zum Kurznachrichten-Dienst abzustimmen. Bis Sonntag kurz nach Mitternacht sollen sie schlicht mit "Ja" oder "Nein" abstimmen. Bisher fällt die Entscheidung ganz leicht zugunsten des Ex-Präsidenten aus.
Warten auf Donald Trumps Rückkehr
Trump war in der Folge des Sturms auf das Kapitol nach langem Hadern von Twitter gesperrt worden. Obwohl er regelmässig gegen die Richtlinien verstieß, etwa mit persönlichen Attacken oder der Verbreitung nachweislich falscher Behauptungen, hatte der Kurznachrichtendienst lange Zeit wegen seiner Relevanz beide Augen zugedrückt. Als Trump seine Anhänger am 6. Januar 2021 quasi offen zum Angriff auf die US-Demokratie aufrief, hatte das Unternehmen aber offenbar genug. Auch die Meta-Töchter Facebook und Instagram hatten deswegen den damals noch im Amt befindlichen Präsidenten von ihren Plattformen gesperrt.
Bereits bei den ersten Diskussionen um einen Twitter-Kauf hatte Elon Musk die Entscheidung im Mai als Fehler bezeichnet. Man habe dadurch "einen großen Teil des Landes entfremdet". Das Ziel, Trump die Plattform zu entziehen, sei seiner Ansicht nach ebenfalls verfehlt worden. Allerdings hatte Trumps eigene Plattform Truth Social nie auch nur in Ansätzen dieselbe Reichweite erzielt wie Twitter. Trump hatte nach der Übernahme durch Musk gelobt, Twitter sei nun endlich "in vernünftigen Händen".

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Fragwürdige Wortwahl
Die Wortwahl der Abstimmung ist vermutlich nicht versehentlich sehr ambivalent. Statt konkret nach einer Entsperrung des Ex-Präsidenten bei Twitter zu fragen, spricht Musk von einer "Wiedereinsetzung" des ehemaligen Präsidenten. Mit derselben Wortwahl hatte Trump mehrfach gefordert, sein Amt zurückzuerhalten, nachdem er die Wahl 2020 als "gestohlen" bezeichnet hatte. Auch Musks Folgetweet "Vox populi, vox dei" (Latein für "Die Wahl des Volkes ist die Wahl der Götter") lässt sich so interpretieren, als würde er Trumps Behauptung der Wahlfälschung teilen. Bei der Midterm-Wahl hatte er zudem offen für die Republikaner geworben. Allerdings hatte Musk die Formulierung auch gewählt, als er am Freitag ankündigte, dass drei weitere prominente Accounts entsperrt wurden.
Musk hatte am Freitag extrem kurzfristig alle Software-Entwickler des Konzerns ins Hauptquartier nach San Francisco beordert und auch ein Einfliegen aus anderen Standorten verlangt. Neben zahlreichen Fragen zur Programmierung der Seite verkündete er dort auch, wie man in Zukunft mit extremen Ansichten und Hassrede umgehen will. "Twitters neue Politik ist die Meinungsfreiheit, aber nicht ein Recht auf Reichweite", erklärte er danach auf Twitter. Man wolle negative und Hasskommentare weniger Menschen zeigen, zudem wolle der Dienst mit solchen Tweets kein Geld mehr verdienen.
Die Demonetarisierung von Hassrede dürfte auch als Signal an die Werbebranche verstanden werden. Musk hatte Twitter mit dem Ziel übernommen, dort eine extreme Meinungsfreiheit zu ermöglichen. Das verunsicherte viele Werbekunden: Weil Marken nicht neben extremistischen, beleidigenden oder anderweitig problematischen Tweets erscheinen wollen, kündigten viele Kunden eine Werbepause bei Twitter an.

Twitter braucht Geld
Für Musk ist das ein großes Problem. Schon vor dem Kauf machte Twitter trotz Einnahmen von mehr als fünf Milliarden Dollar im Jahr Verluste. Von Musk aufgenommene Schulden sorgen für eine zusätzliche Zins-Belastung von mindestens einer Milliarden Dollar jährlich. Der neue Chef setzt daher auf ein Abomodell und extreme Sparmaßnahmen, um den Dienst profitabel zu bekommen.
Die Radikalität der Maßnahmen könnte ihm aber auf Dauer auf die Füsse fallen. Musk hatte bereits mehr als die Hälfte der Mitarbeiter entlassen, als er die übrigen in einer Mail zu einer Entscheidung über ihr Bleiben aufforderte. Hunderte der Mitarbeiter entschieden sich zu gehen. Der extremste Fall ist ausgerechnet die Werbechefin. Robin Wheeler hatte vergangene Woche bereits das Unternehmen verlassen wollen, wurde von Musk zum Bleiben überredet. Am Freitag verkündete sie nun zum zweiten Mal in einer Woche, das Unternehmen zu verlassen. Dem Vertrauen der Werbekunden dürfte das wenig förderlich sein.
Quelle: Twitter, Wall Street Journal, The Verge